Dieselskandal:"Ein bisschen mitverantwortlich"

Die Autoindustrie ist bislang nicht damit aufgefallen, besonders reumütig zu sein. Jetzt schlägt VW-Markenvorstand Herbert Diess einen Ton an, der wohl das Gefühl vieler Kunden trifft.

Von Max Hägler und Angelika Slavik, Hamburg/München

Wichtige Menschen haben sich im Lauf der Zeit Gedanken über das Verhältnis von Reue und Schuld gemacht. Ist Reue die Voraussetzung für Vergebung? Oder macht sie alles nur noch schlimmer? Nicht sehr viele der Menschen, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben, kamen aus der Autoindustrie. Vielmehr konnte man, vor allem in den vergangenen Jahren, den Eindruck gewinnen, das Eingestehen eigener Versäumnisse sei in der Branche der Autohersteller schlicht nicht vorgesehen. Technisch einfach nicht realisierbar.

Herbert Diess ist einer der Erfahrensten in diesem Gewerbe. Der Maschinenbauer hat lange beim Autozulieferer Bosch gearbeitet, war Vorstand bei BMW und dort kurz vorm Sprung auf den Chefposten. Jetzt führt der 59-Jährige die Marke Volkswagen, also den wichtigsten Hersteller des VW-Konzerns. Und der gebürtige Münchner spricht nun so deutlich wie bislang kein anderer Automanager aus, was diese Industrie in Deutschland falsch gemacht hat mit Blick auf den Diesel und die schlechte Luft in den Städten.

Es gebe "eine Diskrepanz haben zwischen den Vorgaben an die Emissionswerte, die Automobilhersteller erfüllen, und den Zielwerten in den Städten", sagt Diess am Mittwoch bei der VW-Jahrespressekonferenz. Das ist neu: "Ich fühl' mich auch da ein bisschen mitverantwortlich. Weil man diese Entwicklung, die in den letzten Monaten eskaliert ist, vielleicht schon ein bisschen vorab sehen hätte können", gesteht er. "Wenn wir uns die Zahlen genau angeguckt hätten - wir, ich sag' mal, Entwickler in der Autoindustrie hätten (...) wahrscheinlich gemerkt, dass die Stickoxidwerte in den Städten nicht schnell genug fallen."

Die Werte fallen, ja, das betonen die Manager stets. "Aber wahrscheinlich nicht schnell genug", sagt jetzt Diess. Da ist er offener. Vielleicht sei da "ein Fehler im Zusammenspiel mit unserem Verband, mit der Politik" gewesen, "diese Situation nicht früh genug zu erkennen."

Man kann davon ausgehen, dass viele Manager die Aussichten kannten; der SZ liegen etwa Audi-Dokumente vor, die vor Jahren bereits vor Stickoxid-Überschreitungen warnten. Doch unbeachtlich dessen zogen sich die Hersteller bislang auf die Argumentation zurück, die Dieselautos in Deutschland seien nun mal zugelassen. Man könne nichts dafür, dass der Abgasausstoß auf der Straße höher sei als auf dem Prüfstand: Der Gesetzgeber habe das eben nicht genau geregelt. Nachgeschoben meist diese Erklärung: Man musste die Abgasreinigung mitunter zurückschalten, weil sonst das Auto kaputt ginge. Nie sprachen die Manager jedoch darüber, dass bereits seit Jahren gute, wenn auch teure Katalysatoren zur Verfügung gestanden hätten. Oder dass es nicht darum geht, den Wortlaut von Abgasnormen zu erfüllen, sondern auch darum, das Ziel einer Regel im Blick zu behalten - die bessere Luft.

Jetzt also Diess, als Erster, offener als andere. Allerdings, seine Konsequenz ist dieselbe wie bei allen anderen: Die Nachrüstung älterer Wagen mit solchen Katalysatoren hält auch er für zu aufwendig, es müssten schnellere Lösungen her. "Wir haben viele enttäuschte Kunden", sagt Diess. Menschen, die erst vor kurzem Autos gekauft hätten und nun nicht wüssten, wie lange diese noch fahren dürften. VW wolle alles tun, um Fahrverbote zu verhindern - auch, weil man von einem Restwertverlust der Autos selbst betroffen wäre: Viele Kunden würden ihre Autos leasen. "Die stehen bei uns in den Büchern", sagt Diess. Und der Skandal ist auch so schon teuer für VW. 80 Milliarden Euro Umsatz gab es 2017 und eine operative Rendite von vier Prozent, doch der Gewinn unterm Strich geht gegen Null wegen des Dieseldesasters.

Auch über andere Risiken spricht Diess recht klar: Der neue Prüfzyklus WLTP könne aufs Ergebnis drücken. WLTP, darunter versteht man den recht scharfen Autotest im Hinblick auf Sprit und Stickoxide unter realistischeren Bedingungen als bisher. Wenn VW davor Respekt hat, bedeutet das wohl: Immer noch sind viele Wagen auf Prüfstände hin optimiert, die Verbrauchs- und Abgaswerte dürften also steigen.

Dabei sind schon jetzt der Verbrauch und der damit zusammenhängende Ausstoß von Kohlendioxid ein Problem. 20 bis 30 Gramm CO₂ pro Kilometer liege die Industrie über den EU-Vorgaben, die von 2020 an gelten, sagt Diess. Und das sei der Hauptgrund, wieso VW ab 2019 so sehr auf E-Autos setzt. Es geht nicht so sehr um Coolness oder bessere Luft. Es geht darum, hohe Strafzahlungen abzuwehren. Den Zwang sehen sie dabei als Chance: Bis 2025 will VW Weltmarktführer bei der E-Mobilität sein. Das Ziel ist weit. Im vergangenen Jahr verkaufte man 43 000 E-Wagen, bei insgesamt 6,23 Millionen Autos.

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