Diesel-Skandal:Wieso sich VW auf dünnem Eis bewegt

Die US-Umweltbehörde EPA beschuldigt VW, weitere Dieselmotoren manipuliert zu haben. Der Konzern dementiert brüsk. Die Verteidigungsstrategie von Volkswagen könnte zusammenbrechen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Nun also steht erstmals Aussage gegen Aussage: Die US-Umweltbehörde EPA hat nach eigenem Bekunden in den Dieselmotoren von sechs weiteren Modellen des Volkswagen-Konzerns eine Software entdeckt, die den Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickstoffoxide manipuliert.

Anders als in den bisher bekannten Fällen handelt es sich nicht um Klein- und Mittelklassewagen, sondern um die mit Drei-Liter-Motoren ausgestatteten Dickschiffe des Konzerns: den VW Touareg aus dem Jahr 2014, den Porsche Cayenne (2015) sowie die Audi-Modelle A6 Quattro, A7 Quattro, A8 und Q5 des neuesten Modelljahrs 2016.

Halten die Testergebnisse einer Überprüfung stand, bräche die gesamte bisherige Verteidigungsstrategie des Konzerns zusammen.

Volkswagen weist die Vorwürfe entsprechend zurück und behauptet stattdessen, "dass keine Software bei den Drei-Liter-V6-Diesel-Aggregaten installiert wurde, um die Abgaswerte in unzulässiger Weise zu verändern". Man werde "mit der EPA vollumfänglich kooperieren, um den Sachverhalt rückhaltlos aufzuklären".

Hohes Risiko für Volkswagen

Irgendjemand bewegt sich da auf ganz dünnem Eis - und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es sich dabei nicht um die US-Behörde handelt. Zwar scheint die Sache diesmal nicht ganz so eindeutig zu sein wie im Fall der heimlich manipulierten Motoren mit 1,2 bis zwei Litern Hubraum. Die EPA selbst spricht davon, dass sie in den untersuchten Autos eine "Zusatzeinrichtung zur Emissionskontrolle", eine sogenannte AECD (Auxiliary Emission Control Device), entdeckt habe. VW habe deren Sinn und Zweck bei der Beantragung einer Zulassung für die Modelle aber "nicht offengelegt, beschrieben und begründet".

Zum Verständnis: Autohersteller dürfen AECDs für bestimmte Ausnahmesituationen in ihre Fahrzeuge einbauen. Sie müssen aber jährlich für jedes Modell neu genehmigt werden. Eine AECD, die darauf abziele, Abgastests zu umgehen, sei dagegen grundsätzlich unzulässig, so die EPA.

Wahrscheinlich kann man im konkreten Fall lange darüber streiten, ob die fragliche "Zusatzeinrichtung" - de facto eine Software - ausschließlich dazu diente, sonst nicht zu bestehende Abgastests zu bestehen, oder ob das für VW nur ein segensreicher Nebeneffekt war.

So oder so aber ist die Stellungnahme, die Volkswagen am Montagabend veröffentlichte, ein dicker Hund: Man habe von der EPA die Mitteilung erhalten, heißt es in der Erklärung, dass die Funktion einer Software "im Genehmigungsprozess nicht hinreichend beschrieben worden sei". Das klingt so harmlos, als habe die Behörde bemängelt, dass der Aschenbecher falsch herum eingebaut worden sei.

Erste Anwaltskanzleien kündigen nächste Klagewelle an

Tatsächlich hatten die EPA-Verantwortlichen zuvor im Gespräch mit Journalisten ganze andere Vokabeln in den Mund genommen: Von einem neuerlichen "Betrug" durch Volkswagen war da die Rede und davon, dass das Unternehmen einmal mehr die "Gesundheit insbesondere von Kindern und älteren Menschen" in den USA aufs Spiel gesetzt habe. Die ersten Anwaltskanzleien kündigten bereits die nächste Klagewelle an.

Zu den wenigen Dingen, die Volkswagen in dem Skandal bisher auf der Haben-Seite verbuchen konnte, gehörten die klaren öffentlichen Schuldeingeständnisse, die führende Manager beinahe vom ersten Tag an ablegten. Zwar hieß es gerade in den USA zuletzt auch immer wieder, dass den dauernden Mea-Culpa-Auftritten auch einmal konkrete technische Lösungen und Termine für eine Beseitigung des Problems folgen müssten. Die selbstkritischen Auftritte der VW-Verantwortlichen zeigten aber bei den Amerikanern durchaus Wirkung - abzulesen auch an den Verkaufszahlen, die anders als erwartet offenbar keineswegs eingebrochen sind.

Doch die öffentliche Stimmung kann sich auch drehen, sollte Volkswagen jetzt plötzlich in den "Jetzt reicht es uns"-Modus umschalten.

Bestätigen sich die Vorwürfe, erscheint Aufklärer Müller in neuem Licht

Dafür, dass die EPA mehr als eine "nicht hinreichend beschriebene" Kleinigkeit entdeckt hat, spricht unter anderem die sehr detaillierte Beschreibung ihrer Tests. Demnach stieß die Behörde bei der Untersuchung der Autos auf eine Software, die den Schadstoffausstoß der Drei-Liter-Motoren herunterregelt, sobald die Wagen auf dem Prüfstand stehen. Eine Sekunde nach Abschluss der Tests schaltete ein "Timer" die Motor- und Abgassteuerung automatisch in den "Normalmodus" zurück. Die Stickstoffemissionen, die den gesetzlichen Bestimmungen eben noch entsprachen, so die EPA, hätten dann plötzlich bis zu neun Mal so hoch gelegen wie der zulässige Grenzwert.

Sollten sich die Vorwürfe als stichhaltig erweisen, wären sie für den Konzern und seinen neuen Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller ein schwerer Schlag. Die Rolle des früheren Porsche-Chefs Müllers etwa, der nach dem erzwungenen Rücktritt von Konzernboss Martin Winterkorn als persönlich unbelasteter Aufklärer nach Wolfsburg geholt wurde, erschiene in neuem Licht, da in den Skandal erstmals auch ein Modell seines bisherigen Unternehmens verwickelt wäre.

Zudem hatte VW bisher betont, es gehe nur um Motoren der Abgasnorm Euro-5. Nun zeigt sich, dass womöglich auch Euro-6-Motoren manipuliert wurden. Auch wären nicht mehr nur frühere, sondern die allerneuesten Diesel-Pkw der Gruppe betroffen.

Auch Audi droht enormer Imageschaden

Als noch größer aber könnte sich der Imageschaden für die Konzerntochter Audi erweisen, die gerade in den USA beliebt ist. Das Unternehmen hatte sich in dem Skandal bisher eher als Opfer denn als Täter geriert, da man in den A3 einen fertigen VW-Motor habe einbauen müssen. Für den Oberklasse-Motor mit drei Litern Hubraum ist konzernweit aber nicht die Marke VW, sondern Audi höchstselbst zuständig. Stimmen die EPA-Vorwürfe, ist kaum vorstellbar, dass nicht auch Audi-Mitarbeiter von der Abgas-Software wussten.

Die zuständige EPA-Direktorin Cynthia Giles sagte vor Journalisten, VW habe einmal mehr die gesetzlichen Bestimmungen verletzt. Auf die Frage, ob der Konzern die Verstöße diesmal selbst gemeldet oder wieder gewartet habe, bis die Behörden ihm auf die Schliche kamen, antwortete sie vielsagend, die Verstöße seien bei den Untersuchungen der EPA und ihrer kalifornischen Partnerbehörde CARB offenbar geworden.

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