Diesel-Affäre:Daimler kämpft 

Inside The 2017 North American International Auto Show (NAIAS)

Dieter Zetsche, der Daimler-Chef, präsentiert sich gern als Zukunftsdenker. Beim Diesel muss er mit Altlasten kämpfen.

(Foto: Daniel Acker/Bloomberg)

Der Konzern ruft drei Millionen Autos zurück, um die Software zu aktualisieren. Kann das den Schadstoff-Ausstoß signifikant verringern und die Zukunft des Selbstzünders retten? Was Diesel-Fahrer jetzt wissen müssen.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Daimler versucht in der Diesel-krise den Befreiungsschlag. Angesichts ermittelnder Staatsanwälte, sinkender Verkaufszahlen und drohender Fahrverbote verkündet der Stuttgarter Autobauer eine spektakuläre Rückrufaktion: Mehr als drei Millionen Autos sollen EU-weit eine neue Software bekommen, um den Ausstoß schädlicher Stickstoffoxide (NOx) zu verringern. Daimler nennt das Projekt "Zukunftsplan" und lässt sich das viel Geld kosten. Es steht auch viel auf dem Spiel - und viele Fragen sind offen.

Wie geht der Rückruf vonstatten?

Daimler schreibt demnächst "nahezu alle" Besitzer von Mercedes-Dieselmodellen der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 an. "Wir bitten darum, einen Werkstatt-Termin auszumachen", sagt ein Firmensprecher. Der Kunde muss mit einem Aufenthalt von einer Stunde rechnen, dabei wird eine neue Software aufgespielt. An der Hardware werde nichts geändert, vielmehr werde ausschließlich das Programm der Motorsteuerung aktualisiert. "Das ist die schnellste und am breitesten wirksame Lösung", sagt der Sprecher. Die Aktion wird wohl erst nach der Sommerpause starten. Auch, weil das Kraftfahrtbundesamt (KBA) die neue Software erst freigeben muss. Weil nicht alle Autos gleichzeitig in die Werkstatt können, wird sich das Projekt bis weit hinein ins Jahr 2018 hinziehen. Je länger es dauert, desto später wird die Luft in den Städten sauber.

Was kostet die Aktion?

Die Autobesitzer müssen nach Daimler-Angaben nichts bezahlen. Der Konzern übernimmt alle Kosten - und kalkuliert mit Ausgaben von 220 Millionen Euro. Bei mehr als drei Millionen Fahrzeugen wären das etwa 70 Euro pro Wagen - und kein Problem für den Konzern angesichts zweistelliger Milliardengewinne.

Was ändert die neue Software?

Das neue Programm "optimiert" laut Konzern erstens die Abgasrückführung und zweitens die Einspritzung von Harnstofflösung (AdBlue) in den Abgasstrom - bei Modellen, in denen diese Technik verbaut ist. Bislang wurde die Abgasrückführung bei niedrigen Außentemperaturen gedrosselt. Dieses sogenannte "Thermofenster" bewirkt, dass auf der Straße mehr Schadstoffe ausgestoßen werden als auf dem Prüfstand. Zusätzlich soll die neue Software künftig mehr Harnstofflösung in den Abgasstrom einspritzen als bisher. Der Harnstoff bewirkt, dass aus dem Auspuff statt giftiger Stickoxide ungefährlicher Stickstoff herauskommt. Ob der Kunde deshalb künftig AdBlue nachfüllen muss, lässt Daimler offen. "Wir gehen nicht davon aus", sagt der Sprecher, "aber wir können es nicht ausschließen." Ansonsten beteuert Daimler, die neue Software werde keine Einschränkungen bei der Fahrleistung oder einen höheren Kraftstoffverbrauch bewirken. Dennoch wird betroffenen Autobesitzern empfohlen, eine schriftliche Dokumentation der Änderungen einzufordern, um beim Wiederverkauf keine bösen Überraschungen zu erleben.

Wie ändert sich der NOx-Ausstoß?

Das weiß niemand. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen sagt: "Ein Software-Update bringt gar nichts." Daimler nennt keine Zahlen, aber in einer Hinsicht legt sich der Sprecher fest: "Unser klares Ziel ist derselbe Effekt wie bei einem Fahrverbot." Warum kommt der Rückruf jetzt? Daimler-Chef Dieter Zetsche formuliert es so: Die aktuelle Debatte um den Diesel habe viele Menschen "verunsichert". Er wolle "Dieselfahrern wieder Sicherheit geben" und "das Vertrauen in die Antriebstechnologie stärken". Er sei "überzeugt", dass der Diesel auch wegen seiner niedrigen CO2-Emissionen "fester Bestandteil im Antriebsmix" sein wird. Ob das ausreicht, um die Menschen angesichts des fortgeschrittenen Vertrauensverlustes sowie des ohnehin anstehenden Wandels zu Elektro-Antrieben zum Kauf zu bewegen? Abwarten. Daimler versucht jedenfalls, Fahrverbote zu verhindern. Denn diese könnten der Anfang vom Ende des Diesel-Motors bedeuten. Das wäre ein schwerer Schlag für die Stuttgarter, denn sie haben alleine in die Entwicklung des neuen Motors OM654 drei Milliarden Euro gesteckt. Dieser neue Antrieb, so beteuert Daimler, unterschreite auch auf der Straße alle EU-Grenzwerte. Der OM654 und die Rückruf-Aktion sollen das Vertrauen in Daimlers Diesel wieder zurückbringen. Ob die Aktion die Staatsanwaltschaft Stuttgart überzeugt, ist ebenfalls offen. Sie prüft, ob das Thermofenster den Tatbestand des Betrugs erfüllt. Im Durchsuchungsbeschluss, der vor der Razzia bei Daimler im Mai erlassen wurde, äußern die Ermittler den Verdacht, dass das Thermofenster nicht nötig gewesen wäre, um den Motor vor Schäden zu schützen. Genau das aber behauptet Daimler (wie andere Hersteller auch)

. Was macht die Konkurrenz?

Auch BMW und Audi werden wohl eine kostenlose Software-Nachbesserung anbieten. Volkswagen, der Auslöser der Diesel-Affäre, musste 2,4 Millionen Autos mit verbotener Manipulations-Software umrüsten. Danach haben etliche Hersteller - auf Anweisung des KBA - ihre Diesel-Autos nachgebessert und dies als "freiwillige Service-Aktion" deklariert. Während Daimler nach wie vor um die Zukunft des Diesels kämpft, hat Volvo den Ausstieg aus der Selbstzünder-Technologie angekündigt. Auch Porsche prüft diesen Schritt.

Was sagen die Kritiker?

Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sieht in dem Rückruf ein unwirksames Ablenkungsmanöver: "Softwareveränderungen reichen nicht, um relevante NOx-Verringerungen zu erreichen, insbesondere nicht im Winterhalbjahr." Er bezeichnet die Rückrufaktion als "Schuldeingeständnis" und als "Versuch", das Verwaltungsgerichts-Verfahren der DUH gegen das Land Baden-Württemberg zu beeinflussen (siehe nebenstehenden Artikel).

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