Dienstreise:Kalkulierte Eskalation

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in China

Im Nationalmuseum in Peking war Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auch.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Früher fassten deutsche Politiker China mit Samthandschuhen an. Sigmar Gabriel hat sie abgelegt. Er trifft Menschenrechtler und kritisiert die Regierung ganz unverblümt.

Von Michael Bauchmüller und Christoph Giesen, Peking/Chengdu

Es sah schon besser aus zwischen Deutschland und China, aber Sigmar Gabriel setzt trotzdem noch einen drauf - ganz bewusst. Am Mittwoch traf er sich in Peking mit einer Gruppe von Menschenrechtsaktivisten. Sie berichten ihm von Folterung, von spontanen Verhaftungen, von Hunderten Menschenrechtsanwälten, die im Juli eingesperrt wurden. Dann wird Gabriel deutlich: "Haft ohne Urteile, das deutet schon darauf hin, dass die Vorwürfe nicht stichhaltig sind", sagt er nach der Begegnung. "Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Anwälte freigelassen werden."

Menschenrechte sind seit jeher eins der unangenehmen Themen im Verhältnis zu China. Stets wurden deutsche Regierungsmitglieder daran gemessen, ob und wie sie die heikle Frage anschneiden. Was Gabriel aber aus dem Gespräch mit den Aktivisten mitbringt, ist mehr als deutlich. Die Lage in China, so hätten die Menschenrechtler ihm berichtet, sei schlimmer als zu Beginn der Achtzigerjahre. Er selbst habe dieses Ausmaß nicht erwartet, sagt er. Das darf, nein, das soll so auch geschrieben werden.

Und wenn etwas geschrieben wird, dann kommt die Botschaft in Peking auch an. So wie zuletzt die Kritik an der mangelnden Offenheit der chinesischen Wirtschaft, an Firmenübernahmen in Deutschland, die hiesiges Know-how absaugen könnten. In der Vergangenheit wurde China bei derlei Besuchen gerne mit Samthandschuhen angefasst, zu groß ist der Markt, zu groß die Angst, den Zugang plötzlich zu verlieren. Doch der SPD-Chef probt dieser Tage die kalkulierte Eskalation.

Peking fühlt sich an Zeiten erinnert, als die Kolonialmächte das Land gängelten

Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten. Ebenfalls am Mittwoch trifft auch Gabriels Staatssekretär Matthias Machnig Regierungsvertreter, darunter Wissenschaftsminister Wan Gang. Man arbeite zwar gerne mit deutschen Unternehmen zusammen, lässt man Machnig beiläufig wissen. Aber es gebe auf der Welt auch andere mögliche Partner. Die Stimmung ist ohnehin angespannt, seit der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger bei einem Auftritt in Hamburg von Chinesen als "Schlitzaugen" sprach. Manche westliche Politiker hätten ein "irritierendes Gefühl der Überlegenheit", beklagt deshalb eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums. Derlei Herablassung erinnert in Peking gleich an Zeiten, in denen die Kolonialmächte China gängelten. Wie sehr der Stachel des 19. Jahrhunderts noch immer sitzt, davon überzeugt sich Gabriel am Mittwoch gleich selbst - bei einem Besuch des Nationalmuseums in Peking, samt überbordender Revolutionsabteilung. Kritische Meinungsäußerung und Bevormundung, das liegt in China eng beieinander - das weiß auch der SPD-Chef.

In der deutschen Industrie macht sich derweil Nervosität breit. In einem offenen Brief wendet sich Aixtron-Gründer Holger Jürgensen an Gabriel. Dessen Ministerium hatte vor knapp zwei Wochen eine zuvor erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Übernahme des Chip-Anlagenbauers widerrufen. Der Grund: Sicherheitsbedenken. Jürgensen schreibt nun erbost: "Sollte der Widerruf nicht zügig zurückgenommen werden und der Aixtron-China-Deal dadurch scheitern", müsse das Wirtschaftsministerium überwachen, dass nicht die Aixtron-Konkurrenz aus Japan und den Vereinigten Staaten weiterhin Anlagen nach China liefere.

Auch der deutschen Autoindustrie schwant Böses. Ein chinesischer Gesetzentwurf, der bis Ende des Jahres verabschiedet werden soll, sieht vor, dass die Konzerne bereits ab 2018 eine E-Auto-Quote in der Volksrepublik erfüllen müssen. Dann müssen für acht Prozent aller verkauften Autos sogenannte Kreditpunkte gesammelt werden. Für den größten deutschen Hersteller VW bedeutet das etwa 60 000 E-Autos - unmöglich in so kurzer Zeit. "Ich habe allerdings starke Zweifel, ob solche drakonischen Schritte richtig sind", merkt deshalb Niedersachsens Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsrat Olaf Lies an.

Immerhin gibt Chinas Industrieminister Miao Wei am Mittwoch zumindest Teilentwarnung. Es gebe keinen Anlass zur Sorge, dass die deutsche Industrie bei der Entwicklung neuer Autoantriebe bewusst herausgehalten werden solle, sagt er im Gespräch mit Gabriel. Auf deutscher Seite war man davon ausgegangen, dass die chinesische Forderung - 80 Prozent aller in China verkauften E-Autos sollen 2025 von heimischen Herstellern stammen - die deutschen Hersteller ausgesperrt hätte. "Jetzt werden wir sehen, ob sich alles, was er sagt, so realisiert", sagt Gabriel.

Nach den Gesprächen in Peking reist Gabriels Delegation weiter nach Chengdu im Westen Chinas. Deutschland ist in diesem Jahr Ehrengast der "Westmesse". Unternehmen der Region präsentieren sich hier, aber auch ihre Partner in aller Welt. Zur Eröffnung läuft ein pompöses Video zu lauter Musik. Und ausgerechnet zwei Automarken repräsentieren darin das Partnerland Deutschland: BMW und VW. Just jene Firmen also, die eine E-Auto-Quote am härtesten treffen würde.

Dann steigt Gabriel auf die Bühne. Man fühle sich geehrt, freue sich über die gute Kooperation. Kritik? Jetzt mal nicht. "Wir stehen vor einer großen gemeinsamen Zukunft", sagt der deutsche Vizekanzler. "Und die Zusammenarbeit steht erst am Anfang." So schmal ist der Grat dann doch.

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