Dienstleistungen:Selbst ist der Kunde

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Es begann mit dem SB-Tanken - mittlerweile ist es allerorts üblich: Unternehmen verlagern Arbeit auf die Verbraucher. Das spart den Unternehmen Geld und den Kunden - manchmal - Zeit.

S. Boehringer

Einchecken am Flughafen oder auch bei der Bahn ist für Morgenmuffel inzwischen ideal. Dafür sorgen Dutzende von Automaten, die Reisenden nach ein paar gezielten Knopfdrucken Ticket samt Reservierung ausdrucken. Das geht ohne Gruß und Dank - vorausgesetzt, die Kunden können damit umgehen.

Für den Fall, dass es nicht klappt, stehen an den vollautomatischen Eincheck-Terminals zumindest noch ein paar Einweiser. Sie nehmen einem aber nicht etwa die Arbeit ab. Stattdessen helfen sie hektischen oder unbeholfenen Reisenden, die richtigen Knöpfe zu drücken und den Pass oder Personalausweis ruhig und gleichmäßig einzuscannen. Die eigentliche Aufgabe, sich zu registrieren und damit den Platz im Flieger zu sichern, erledigen die Kunden selbst.

Was vor mehr als einem Vierteljahrhundert mit SB-Tanken begann und vor gut 15 Jahren mit dem Online-Banking perfektioniert wurde, ist auch bei Lufthansa und Bahn schon fast zur Routine geworden: Selbst ist der Kunde. Die Verbraucher werden aber auch in anderen Branchen zunehmend ihr eigener Dienstleister.

Kunden nehmen Arbeits-Auslagerung an

"Externalisierung der Dienstleistung" heißt das dann im Fachjargon der Ökonomen. Arbeitnehmervertretern geißeln das Verfahren als "Rationalisierung zu Lasten von Arbeitsplätzen", wie es ein Sprecher der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi formuliert.

Tatsächlich können Verbraucher inzwischen Reisen buchen ohne Reisebüro, Brötchen kaufen ohne Bäcker, essen ohne bedient zu werden, im Hotel übernachten, ohne eine Rezeption aufzusuchen. Sie machen damit zunehmend den Job von Kassierern, Reisekaufleuten und Sachbearbeitern - aber werden sie dafür auch angemessen belohnt?

"Die Kunden nehmen diese Auslagerung der Arbeit an sie entweder als echte Preissenkung wahr oder zumindest als unterlassene Preiserhöhung", sagt Manfred Schwaiger, Betriebswirtschaftsprofessor für marktorientierte Unternehmensführung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie nehmen es wahr? Ja, denn wie sollen Außenstehende erkennen, ob ein Unternehmen die Preise erhöht hätte, wenn es seine Kunden bedienen würde wie gewohnt? Das ist in den meisten Fällen unmöglich.

Selbstbedienung wird bald die Regel sein

Theoretisch kann man inzwischen einen ganzen Tag unterwegs sein, ohne mit einem Verkäufer, Kellner oder Rezeptionisten zu reden. Das ist vielleicht vorteilhaft für Routinierte, aber Verbraucher, die im Umgang mit den manchmal komplizierten Selbstbedienungsmaschinen nicht so versiert sind, werden sich ärgern.

Dennoch ist sich Universitätsprofessor Schwaiger sicher, dass Selbstbedienung für die Kunden bald die Regel sein wird. "In einigen Jahren werden auch die Einweiser verschwunden sein", sagt er. "Teile der Wertschöpfung an die Kunden auszulagern, liegt voll im Trend." Ein Trend der sich kaum umkehren lasse, weil die Unternehmen damit Personalkosten einsparen können.

Das sieht auch Martin Fassnacht so, Marketingprofessor an der privaten Hochschule WHU-Otto Beisheim School of Management in Vallendar. "Sie kriegen doch heute Frühstück nicht mal mehr in einem Fünf-Sterne-Hotel serviert, sondern müssen es sich selbst holen. Die Kunden haben sich daran gewöhnt und erwarten dafür günstige Preise", meint Fassnacht. Manche Anbieter bestraften ihre Klientel sogar dafür, wenn sie sich nicht an die mit Preissenkungen verbundenen Standards halten.

Auch Premiumanbieter schwenken auf die Billigschiene

Als Beispiel nennt der WHU-Professor die irische Fluggesellschaft Ryanair, die Kunden jedes Kilogramm Übergepäck teuer zahlen lässt. Vor genau einem Jahr hatte Ryanair-Chef Michael O'Leary sogar einmal über Toilettengebühren nachgedacht für Kunden, die an Bord seiner Maschinen die Örtlichkeiten benutzen wollten. Umgesetzt hat er die Idee bis heute nicht, dafür aber für Gesprächsstoff gesorgt.

"Ryanair steht für einen Trend, bei dem Unternehmen ihr Angebot zunehmend auf eine Kernleistung beschränken. Der Verbraucher hilft mit. Alles andere kostet extra", sagt Fassnacht. Dennoch findet der Marketing-Experte die jüngste Entwicklung in ihrer Breite erstaunlich: Denn nicht nur Billighersteller und -Dienstleister locken ihre Kunden mit Preisvorteilen fürs Selbermachen, auch Mittel- und Premium-Anbieter wollen zunehmend durch günstigere Preise überzeugen.

"Es gelingt vielen Herstellern und Dienstleistern offensichtlich nicht, am Markt erfolgreich zu kommunizieren, dass sie für mehr Geld auch mehr Leistung erbringen", sagt Fassnacht. Wegen der Wirtschaftskrise verstärke sich das Problem, weil die Verbraucher besonders preissensibel seien.

Der Preis steht über allem

Im Klartext: Mehr Platz im Flugzeug und ein Essen dazu oder entspanntes Reisen in Langstreckenzügen verkauft sich schlechter als reduzierte Tickets ohne Sitzplatzwahl in einem womöglich überfüllten Transportmittel. "Der Markt belohnt zurzeit fast nur den Preis", beobachtet auch Professorenkollege Schwaiger aus München.

Warum das so ist, hat der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahnemann einmal untersucht und erhielt sogar 2002 den Wirtschafts-Nobelpreis für seine sogenannte "Prospect Theory". Kahnemann hat nachgewiesen, dass Verbraucher von einem bestimmten Referenzpunkt aus gesehen Preiserhöhungen viel stärker negativ beurteilen als gleichzeitige Preissenkungen positiv auffallen. "Diese verzerrte Wahrnehmung der Menschen rechtfertigt die Preissenkungs- und Auslagerungsstrategien vieler Unternehmen", sagt Fassnacht.

Zumal die Kunden auch profitieren können: Online-Banking oder Ticketkauf gehen in der Regel rund um die Uhr, 24 Stunden. Die Verbraucher müssen sich nicht an Öffnungszeiten halten und meist auch nicht Schlange stehen. Und wenn doch? Dann bleibt immerhin noch ein Nutzen, der nicht in Geld messbar ist. "Handwerklich begabten Kunden genießen den Erfolg beim Selberwerkeln, technisch Versierte freuen sich, wenn sie sich selbst am Automaten helfen können", meint Professor Schwaiger.Und die anderen? Müssen im Zweifel für jeden Handgriff extra zahlen, der ihnen abgenommen wird.

© SZ vom 24.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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