Die US Open und der Kommerz:Die Geldmaschine Anna K.

Mode, Medien und Millionen: Die Ballwechsel treten beim größten Sportereignis der USA in den Hintergrund - was zählt, ist die geschickte Selbstvermarktung, wie sie etwa die Nr. 146 der Damen-Weltrangliste perfekt beherrscht.

Von Marc Hujer

(SZ vom 06.09.03) - Der Kiosk der Sportfirma Wilson im Süden des National Tennis Center in Queens ist so etwas wie das Tor zur amerikanischen Tenniswelt, der Startpunkt für jeden, der bei den US Open das wirkliche Spektakel erleben will.

Die US Open und der Kommerz: Anna Kournikova, Großverdienerin des Damentennis.

Anna Kournikova, Großverdienerin des Damentennis.

(Foto: Foto: AP)

Man bleibt fast automatisch hier stehen, jedenfalls wenn man von Manhattan her kommt und nicht gleich weiterhastet auf einen der Nebenplätze.

Alexander Sohol arbeitet hier, ein junger Mann aus der Bronx, der seinen Saisonjob verrichtet und während des gesamten Turniers für Wilson Autogrammbälle verkauft.

Er sagt, dass alle hier nur noch den Stars nachrennen, ihren Unterschriften besser gesagt, und dass sie deshalb vorher fast alle zu ihm kämen, um Jumbobälle zu kaufen.

Stars und viele Sternchen

Die kosten zwar 40 Dollar das Stück. Aber wenn man bedenkt, wie groß die Bälle dafür doch sind und wie viele Autogramme darauf Platz finden können, die von den Stars und den vielen Sternchen, dann braucht man diese Größe, mindestens.

Anna Kournikova sitzt in der Spielerlounge, irgendwo in den Katakomben des Arthur-Ashe-Stadions, wo sie sicher ist vor den Fans mit den Jumbobällen, vor den Journalisten mit den Kameras und Mikrofonen und den Sponsoren mit den Ansprüchen aus den Werbeverträgen.

Mit ihr ist Tennis zur großen Show geworden, die sich rundum vermarkten lässt. Zu einem Spektakel, dass nirgendwo schöner zu besichtigen ist als in New York. Unzählige Male ist sie während der vergangenen Tage aufgetreten.

"You've got mail"

Nicht auf dem Platz, versteht sich, denn sie ist verletzt - sondern im Hauptbahnhof für ihre Sport-BH-Firma Berlei, im Yankee-Stadion für die Baseballmillionäre der Stadt und auf der Tennisanlage der US Open als "Entertainment-Reporterin" für den offiziellen Turniersender USA Network. Für die Internetfirma America Online sagte sie den Werbespruch "You've got mail" auf, den man sich nun im Internet herunterladen kann: "Sie haben ein E-Mail erhalten."

Für Microsoft machte sie Werbefotos, nachdem sie einen neuen Vertrag für die Computerspiel-Marke XSN Sports unterzeichnet hatte, und in den Repräsentationsräumen der Computerbörse Nasdaq erschien sie mit Amazon-Chef Jeff Bezos, der gerade die Exklusivrechte für den Vertrieb ihres neuen Sport-BH-Modells "Anna Kournikova Multiway Sports Bra" erworben hatte.

"Eine Geldmaschine", schreibt Ex-Tennis-Profi Natalie Tauziat über Kournikova, "der Traum aller Werbeagenturen", jubelt das internationale Modemagazin Lucire.

Es ist September und wie jedes Jahr feiert New York die US Open, das größte, teuerste, lukrativste Sportereignis der USA.

17 Millionen Dollar Preisgeld werden in diesem Jahr vergeben, so viel wie in keinem anderen Turnier. Allein an Lebensmitteln und Souvenirs werden hier 420 Millionen Dollar umgesetzt, soviel wie bei keinem anderen Sportereignis Amerikas.

18.000 Krispy Kreme Doughnuts

160.000 Flaschen Heineken-Bier wurden im letzten Jahr hier getrunken, 127.000 Pepsi, es wurden 38.000 Hamburger gegessen und 18.000 Krispy Kreme Doughnuts. Und wäre der Regen in diesem Jahr nicht gekommen, es wären noch einmal mehr geworden.

Die Organisatoren behaupten, in der Welt des Sports gebe es niemanden, der eine dickere "Geldbörse" habe, und für zwei Wochen schaffen sie es, das Bild der Acht-Millionen-Stadt zu verändern: Im Grand Central Terminal, den die Modeindustrie für eine große Tennisshow anmietete, in der Madison Avenue, wo die Stars der Werbewirtschaft Sonderspots und Sonderanzeigen entwerfen, und in den großen Fernsehstationen, wo Tennisstars über Tennis redeten, vor allem aber das Leben an sich.

"Disneyworld mit Netzen", schimpfte die Zeitung USA Today schon vor einem Jahr über die US Open. "Ist das noch ein Tennisturnier?", fragte diesmal das kalifornische Blatt Orange County Register.

Jede Sekunde, jedes Bild ist bares Geld wert, weshalb die Unternehmen versuchen, mit Boni und Sonderzahlungen die Auftritte ihrer Stars zu maximieren.

Schmerzliche Absage

Wenn die Begehrten einmal absagen, wie der amerikanische Superstar Venus Williams, kann das die Sponsoren, gerade bei einem Turnier wie den US Open, empfindlich treffen. Der Sportartikelhersteller Reebok litt jedenfalls sichtbar an der Absage der schwarzen Tennisspielerin, deren Erfolg für das Unternehmen wichtige Märkte in der black community Amerikas geöffnet hat.

Die Designerin Diane von Fürstenberg, heißt es, hatte die neue Kollektion noch am Vortag in ihrer Galerie vorgeführt und bei Bloomingdale's, Bergdorf Goodman, Henri Bendel und Saks Fifth Avenue hingen die Modelle schon seit einer Woche im Schaufenster.

Als die Absage kam, titelte das New Yorker Lokalblatt Newsday: "Ein schwerer Schlag für die Modebranche", und der Tennisfachdienst Daily Tennis, der regelmäßig die Börsenkurse der großen Sportartikelhersteller verfolgt, von Adidas, Fila über Head, K-Swiss, Nike, Oakley bis Reebok, meldete sinkende Kurse.

"Es ist ein wahnsinniger Hype um uns herum", sagt die 16-jährige Tennisspielerin Maria Sharapova, "Es ist verrückt. Man beginnt zu realisieren, dass da etwas ganz Großes vor sich geht."

Anna K., wie die Kenner zu Anna Kournikova sagen, ist die Nummer 146 der Damenweltrangliste und ihr gehört auch diesmal die Bühne der US Open in Queens. Sie ist so beliebt, dass es in Australien schon einen handfesten Streit um ein verschwitztes Handtuch von ihr gegeben hat.

Bei einer Wohltätigkeitsauktion in Florida verdoppelten sich die Gebote für ein Abendessen, als sie ankündigte, dabei zu sein. Wenn sie in diesem Jahr bei den US Open mitgespielt hätte, wäre sie möglicherweise wieder einmal in der ersten Runde gescheitert, wie im letzten Jahr, als sie fast wie eine Anfängerin spielte und ihre Aufschläge kaum das Netz erreichten.

15 Millionen Dollar steckt Kournikova inzwischen pro Jahr an Werbeverträgen ein, unter anderem von Adidas, Yonex, Omega und dem Internetriesen Terra Lycos.

"Neuer Star des Geldes"

Das Wirtschaftsmagazin Forbes machte sie bereits zum Cover Girl als "neuer Star des Geldes", aber noch nie, seit sie 1995 als Profispielerin der WTA beigetreten ist, hat sie ein Turnier gewonnen.

Sie sagt, ein bisschen sei ihr Job wie der von Schauspielern im Theater, "die Leute wollen uns schön angezogen sehen, wenn wir unseren Job machen".

Vom Klatschblatt People Magazin wurde sie zu den 50 schönsten Frauen gewählt, und Bilder von ihr werden aus dem Internet häufiger heruntergeladen als jeder andere Athlet, nicht einmal Tiger Woods oder Michael Jordan können mit der 22-jährigen Tennisspielerin aus Moskau mithalten.

18.000 Internetseiten

Das Wirtschaftsmagazin Fortune berichtete schon vor drei Jahren, dass ihr 18.000 Internetseiten gewidmet seien, was ihr damals eine lukrative Beteiligung am Internetunternehmen AthletesDirect beschert haben soll.

Sie ist, wie der Sportreporter Jon Wertheim schreibt, das erste Tennis-Pin-Up-Girl des Internetzeitalters.

Neulich, kurz vor Beginn der US Open, kamen besonders findige Computer-Cracks auf die Idee, einen Virus mit dem Namen AnnaKournikova.jpg.vbs in die Welt zu setzen. Eine echte Bedrohung: Viele Anwender öffneten die Datei in der Hoffnung auf ein Bild des Stars - und brauchten anschließend einen Computer-Experten.

Vielleicht, vermutet die New York Times, ist Tennis kein Sport mehr für langweilige weiße Leibchen. Das Modemagazin Lucire konstatiert: "Es gibt Leute, die schauen Tennis nur noch der Mode wegen."

Die Stars und Sternchen erscheinen längst nicht mehr nur im Fachblatt Sports Illustrated, sondern als Coverboys oder -girls in den großen Modemagazinen Amerikas, der Cosmopolitan, der Vogue, FHM dem Esquire Magazine und der Gentleman´s Quarterly.

US-Tennisstar William Blake, angeblich "der erotischste lebende Athlet", erschien im August in Klamotten von Hugo Boss, Jil Sander und Bally im New York Times Magazin, während Kournikova vom Titelblatt der Zeitschrift Maxim herunterlächelte. Die Williams-Schwestern wurden in Schwarzen-Magazinen gefeiert, und in der ersten Woche der US Open tauchten sie in Abendkleidern in Late Night Shows auf, gaben Interviews und zeigten sich beim MTV Music Video Award. "Vermarktet das Spiel, nicht die babes", beklagt die Kolumnistin der New York Times den zunehmenden Personenkult.

Angst vor den Nummern eins und zwei

Doch in einer Zeit, in der es um immer mehr Geld geht, gelten andere Gesetze. Vor dem Beginn des Turniers hieß es, die Organisatoren würden sich von der Brooklyn-Brücke stürzen, sollten die beiden Belgierinnen Kim Clijsters und Justine Henin-Hardenne das Endspiel erreichen.

Obwohl sie die Nummer eins und die Nummer zwei bei den US Open sind, lassen sie sich in den Vereinigten Staaten nicht gut vermarkten, weil sie keine Amerikaner sind, aber auch nicht aussehen wie Kournikova. Die Amerikanerin Lindsay Davenport, derzeit Nummer vier im Damentennis und beim Werbegeld weit hinter Kournikova, sagt: "Auch Anna Kournikova ist dafür verantwortlich, dass unser Preisgeld so gestiegen ist."

"Frauen", sagt Kournikova, "sind Frauen und werden immer Frauen bleiben", und es sei nie so einfach wie bei den Männern: "Wer härter schlägt, der gewinnt."

Als sie vor einiger Zeit für die Männerzeitschrift Gentleman's Quarterly zum Fotoshooting antrat und der Fotograf sie aufforderte, eine kraftvolle Pose einzunehmen, rief sie aus: "Aber ich hasse Muskeln. Ich bin feminin."

Wenn ihr in einem Interview eine Frage nicht passt, steht sie auf und geht, wie zuletzt beim britischen Fernsehsender BBC, als der Reporter das Gespräch mit dem Satz begann: "Ihr Selbstvertrauen ist weg nach den Niederlagen."

Auf einer Pressekonferenz in Wimbledon, die von ihrem BH-Hersteller gesponsert war, fragte sie jemand nach ihrer Verlobung. "Mein Privatleben ist Privatsache", gab Kournikova barsch zurück. Und ohne zu zögern fügte sie an: "Ich bin hier, um über meinen BH zu sprechen."

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