Die SPD nach dem Machtwechsel:Münte, und was nun?

Die SPD hat mit Müntefering und Steinmeier zwei neue Hoffnungsträger. Aber keine neue Wirtschaftspolitik. Hinter allzu großen Erwartungen steckt ein Missverständnis.

Marc Beise

Müntefering und Steinmeier heißen die Hoffnungsträger der deutschen Wirtschaft. Kaum haben sie die Spitzenposten der SPD übernommen, frohlocken viele, nun komme bei der zweiten großen Volkspartei wieder der wirtschaftliche Sachverstand zu seinem Recht. Die Aussage ist so richtig, wie ihre wirtschaftliche Konsequenz überschätzt wird.

Die SPD nach dem Machtwechsel: Steht zur Agenda 2010: Franz Müntefering

Steht zur Agenda 2010: Franz Müntefering

(Foto: Foto: dpa)

Hinter allzu großen Erwartungen steckt ein Missverständnis. Der bisherige SPD-Machthaber Kurt Beck war zuerst und vor allem hinderlich für die eigene Partei, das Land insgesamt hat ganz andere Probleme. Deutschland krankte bisher nicht an einem schwachen SPD-Chef, sondern an weitgehend verlorenen vier Jahren in der Wirtschaftspolitik.

Chancen nicht genutzt

Wertvolle Zeit ist vertan worden, die im internationalen Standortwettbewerb doppelt und dreifach zählt - und daran soll ausgerechnet Kurt Beck schuld gewesen sein? Es ist schon erstaunlich, dass der Pfälzer nicht stark genug war, in der eigenen Partei für Ordnung zu sorgen, er aber die Koalitionsarbeit zu paralysieren vermochte - was am Ende vermutlich mehr über die Koalitionspartner CDU und CSU aussagt als über die SPD.

Dass in Berlin insgesamt zu wenig auf den Weg gebracht worden ist, dass die großen Sozialsysteme nicht krisenfest sind, dass die Steuer- und Abgabenbelastung kaum gesenkt und der Mittelstand weiter drangsaliert wurde, dass Bildung und Forschung immer noch nicht den ausreichenden Stellenwert haben und dass keine Kraftreserven für den abzusehenden Abschwung aufgebaut wurden - all das hat die Koalition unter der Moderation der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gemeinsam zu verantworten.

Woher nun durch den Führungswechsel ausgerechnet bei der SPD neue Impulse fürs Land kommen sollen, weiß der Himmel.

Zwar war Müntefering in der großen Koalition der größte Reformer: Ehre, wem Ehre gebührt. Er hat gegen alle Widerstände die Rente mit 67 durchgesetzt und als Arbeitsminister lange gegen die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I gekämpft.

Er steht zur Agenda 2010 und traut sich auch, diese fast schon verfemten Worte auszusprechen - während der designierte Kanzlerkandidat Steinmeier bereits in der Stunde des Triumphes zu lavieren begann ("Lasst uns lieber nach vorne schauen"). Wer aber jetzt von einem Sieg der Wirtschaftsvernunft über soziale Träumerei spricht, verkennt die Spielregeln der Politik.

Ja, die beiden neuen Alten wissen, wie die Wirtschaft funktioniert. Der Arbeitsminister Müntefering hat in seinen Regierungsjahren viel gelernt über die wirtschaftliche Situation in Deutschland.

Glaubwürdigkeit verloren

Er kennt die Realität in den Betrieben und weiß, dass das Geld erst verdient werden muss, das dann umverteilt werden soll. Und Steinmeier kommt als Außenminister in der Welt herum, sieht Aufbruchstimmung und Dynamik allenthalben, und muss erkennen, wie wenig die immer noch ziemlich statische deutsche Gesellschaft dem entgegenzusetzen hat.

Beide Realos aber sind nun angetreten, die SPD zu retten. Deren Wähler haben sich durch den wankelmütigen Kurs der letzten Jahre einreden lassen, dass die SPD zu wirtschaftsfreundlich geworden sei.

Die Glaubwürdigkeit, die der Kanzler Gerhard Schröder vorübergehend gewonnen hatte, ist längst dahin - nicht zuletzt durch Schröder selbst, der in seinem Überlebenswahlkampf 2005 mit Worten eingerissen hat, was er vorher durch Taten, durch neue Gesetze also etwa zum Abbau von Arbeitslosigkeit, aufgebaut hatte.

Müntefering und Steinmeier sind deshalb in großer Versuchung, eine ganz besondere perfide Fortsetzung der Agenda 2010 zu propagieren: Ja, die Agenda aus "fordern und fördern" war notwendig, hieße das dann, aber bisher sei sie einseitig umgesetzt worden. Gefordert worden sei genug, jetzt gelte es zu fördern. Werden sie den Mut haben zu sagen, dass dies längst geschieht?

Dass die Sozialleistungen in Deutschland in der Summe gewaltig sind? Dass aber ausgerechnet die Leistungsträger immer weiter belastet werden, vom Facharbeiter bis zum leitenden Angestellten? Vom beinharten Wahlkämpfer Müntefering ("heißes Herz und klare Kante") wird man Anderes hören.

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