Die Sache mit dem Homo Oeconomicus:Nicht von dieser Welt

Die Ökonomen suchen nach dem neuen DIN-Menschen. Für ihre Wirtschaftsmodelle. Der bisherige ist zu gut.

Hans von der Hagen

Der Mensch ist ein seltsames Wesen. Ständig trifft er wunderliche Entscheidungen, die zuweilen selbst die engsten Gefährten verwirren - und erst recht die Ökonomen.

Selten denkt er geordnet, er vertraut seinem Bauch mehr als dem Hirn, liebt die Zeremonie, tut viel für den äußeren Schein, ist im einen Moment beeindruckend gierig, im nächsten beängstigend fair - und läuft am liebsten der blökenden Herde nach.

Warum kaufen sich manche Menschen statt einer Quarzuhr einen mechanischen Zeitmesser, der nicht nur ungenau geht, sondern auch noch teuer in Anschaffung und Unterhalt ist?

Warum verbringen andere Wochen mit der Auswahl der richtigen Waschmaschine und entscheiden binnen Minuten über den Kauf eines Roadsters?

Warum stürzen sich Anleger wie von Sinnen auf eine bestimmte Aktie?

Ökomomen tun sich schwer, das alles zu erklären. In ihren Modellen passiert so etwas jedenfalls nicht.

Wie die Physik

In einigen frühen Wirtschaftstheorien wollte man die Mängel des Systems Mensch sogar noch wahrnehmen. Aber die machten alles kompliziert.

Darum erklärte man später den Mensch kurzerhand für klug: Er kennt die Sachlage und entscheidet systematisch zu Gunsten seiner Interessen. Damit war der Homo Oeconomicus geboren.

Er war pflegeleicht, denn er ließ sich ohne Probleme in das neoklassische Modell einfügen. Und endlich durfte die Ökonomie das sein, was sie gerne sein wollte: eine scheinbar exakte Wissenschaft - wie die Physik. Mit einer klaren Mechanik und einer simplen wenn-dann-Logik. Tritt Fall x ein, entscheidet sich der Homo Oeconomicus für y.

Es sind noch immer schöne Modelle, die bis heute das Gerüst in den Wirtschaftswissenschaft bilden. Und sie beschreiben bis zu einem gewissen Grad auch die Normalität, zerschellen aber regelmäßig an den kleinen Wirklichkeiten.

Darum nehmen viele den Homo Oeconomicus nicht mehr ernst. Er ist ein Versager - weil er zu perfekt ist.

Schwächen erlaubt er sich nicht. Das ist seine Schwäche. Er kann nicht irrational sein.

Weil das so ist, haben Wirtschaftsmodelle, die ihn nutzen, aber der Realität möglichst nahe kommen wollen, ein Problem.

"Das bin ja ich"

Darum haben sich Forscher aufgemacht, um die ökonomischen Irrationalitäten des Alltags zusammenzutragen. Und so wird der Homo Oeconomics Stück für Stück demontiert.

Nicht per Dekret, sondern per Beweis: Wissenschaftler werten unzählige Daten aus dem Wirtschaftsleben aus und testen experimentell menschliche Verhaltensweisen. Und stets hilft der Blick auf die Börse - das größte Labor der Wirtschaftswissenschaften.

Dabei tritt immer deutlicher zu Tage, dass es höchst menschlich ist, nicht rational zu entscheiden. Zumal das scheinbar Unvernünftige aus anderer Perspektive wieder sinnvoll sein kann. Auch Instinkt und Gefühl haben eben ihre Logik: Komplexe Entscheidungen überfordern den Menschen. Und in dem Fall hilft der Bauch.

Stirbt also der Homo oeconomicus - und damit die klassische Wirtschaftstheorie?

An vielen Orten kann man jedenfalls mit dem herkömmlichen Wissen nichts mehr anfangen.

Denn wer Modelle baut, will prognostizieren. Und wer prognostiziert, will Recht behalten. Schließlich kann das Geld wert sein - etwa an der Börse. Darum hat gerade hier der Homo Oeconomicus nichts mehr zu sagen.

Statt dessen haben neben den Ökonomen die Verhaltenswissenschaftler das Ruder übernommen. Herausgekommen ist die Behavioral Finance, eine Paarung von Wirtschaft und Verhaltenswissenschaften, die in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung erlebt hat.

Nicht nur, weil das Gebiet neu und spannend ist, sondern weil sich so viele auch darin wiederfinden.

Behavioral Finance sagt, wie sich der Mensch in welcher Situation entscheidet, und erklärt, warum die Unvernunft zuweilen siegt. Und die Anleger entdecken: "Das bin ja ich."

Ein simples Beispiel: Es gibt die verhängnisvolle Tendenz, dass Anleger Aktien meist viel zu schnell verkaufen, wenn sie damit einen schmalen Gewinn erzielt haben - und zu langsam, wenn sie damit Verluste machen.

Das passiert allen, auch den institutionellen Investoren. Und wenn man weiß, dass das so ist, kann man das vermeiden.

Andererseits lernen die Banken auch, aus dem typischen Verhalten der Anleger Kapital zu schlagen.

Es lebt

Dass die Erkenntnisse aus dem Bereich Behavioral Finance auf großes Interesse stoßen, belegte erst dieser Tagen eine Konferenz des Center for Financial Studies in Frankfurt. Die Vortragenden waren durchwegs Akademiker, doch die Zuhörer vielfach aus der Praxis.

Auf so einer Konferenz bekommt ein Forschungszweig Gesichter: Da ist etwa Alok Kumar von der Universität von Notre Dame (USA). Er berichtet, dass Anleger, die in Gebieten mit vielen Spielhöllen wohnen, lieber Aktien als Fonds kaufen.

Oder Andrei Simonov von der Stockholm School of Economics, der herausgefunden hat, dass Personen, die an der gleichen Hochschule waren, ein ähnliches Anlageverhalten zeigen.

Da ist Itzhak Ben-David von der Universität Chicago, der weiß, dass professionelle Investoren ähnliche Fehler machen wie Kleinanleger.

Und Anwender wie Joachim Goldberg, der seit Jahren in Deutschland theoretische Erkenntnisse aus dem Bereich Behavioral Finance in die Praxis übersetzt. Der Banken hilft, Anleger schult und immer wieder die Erfahrung macht, das es schwer ist, konsequent gegen den Instinkt zu handeln - trotz besseren Wissens.

Oder James Montier, Buchautor und Aktienanalyst bei der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein, der festgestellt hat, dass Fondsmanager sich ebenso konsequent überschätzen wie Liebhaber.

Unter den Zuhörern findet sich aber auch der junge Verkäufer von JP Morgan, der berichtet, dass bei seinem Geldhaus schon seit einiger Zeit Fonds angeboten werden, die systematisch nach den Erkenntnissen des Behavioral Finance gemanagt werden.

Und der Vertreter der Freien Universität Amsterdam. Ein Deutscher, der zu schätzen weiß, dass die Niederländer sich so entschieden mit dem Thema Behavioral Finance auseinandersetzen. Er hat keinen Zweifel, dass dieser Forschungsansatz die klassische Kapitalmarkttheorie einst ersetzen wird.

Das ist die Frage: Kann Behavioral Finance das? Noch liefert sie nur Stückwerk, aber keine umfassende Theorie.

Die ist auch nicht in Sicht. Für das große Ganze ist der Homo Oeconomicus eben doch weit umgänglicher.

Andererseits ist es eben auch reichlich irrational, alles so zu lassen wie es ist.

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