Die größten finanziellen Sünden:Schäuble spendiert Frieden

Es ist so viel Geld da, dass die Bundesregierung häufiger der Versuchung erliegt, ihre Schatulle zu öffnen, um sich politischen Ärger zu ersparen.

Von M. Bauchmüller, G. Bohsem, C. Gammelin, K. Ludwig und T. Öchsner, Berlin

"Bild, Bams und Glotze" brauchte der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zum erfolgreichen Regieren. Seine Nachfolgerin im Amt, Angela Merkel (CDU), weiß ebenfalls um die Bedeutung medialer Präsenz. Aber anders als Schröder damals nutzt die regierende große Koalition ein weiteres Mittel, das sie zunehmend einsetzt, um Politik zu machen: sprudelnde Einnahmen, sowohl bei Steuern, Beiträgen und Umlagen. An diesem Mittwoch wird Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dem Bundeskabinett den Haushalt 2017 vorlegen. Im kommenden Jahr will er knapp vier Prozent mehr ausgeben als 2016, das sind rund 12 Milliarden Euro. Und zwar ohne neue Schulden.

Es ist so viel Geld, dass die Bundesregierung häufiger der Versuchung erliegt, die Schatulle zu öffnen, um sich politischen Ärger zu ersparen, die eigene Klientel zu bedienen und strukturelle Reformen zu umgehen. Nicht immer, wie sich gerade an diesem Dienstag zeigt. Die große Koalition zieht ihr Vorhaben zurück, den sozialen Mietwohnungsbau durch Sonderabschreibungen zu fördern. "Zu unsozial", befindet die SPD. Die SZ beschreibt die größten Sünden der jüngsten Vergangenheit.

Gesundheitsfonds: Die Versorgung der Flüchtlinge wird die Krankenkassen 2017 zusätzlich gut eine Milliarde Euro kosten. Das Gesundheitsministerium geht dabei von etwa 800 000 anerkannten Asylbewerbern aus, die im Laufe des kommenden Jahres Hartz IV beziehen werden und damit in die gesetzliche Krankenversicherung rutschen. Vorher haben die Kommunen die Leistung bezahlt. Weil die Beiträge des Staates für Hartz-IV-Empfänger aber nicht ausreichen, um die Kosten zu decken, kommt es zu der erwarteten Lücke von einer Milliarde Euro. Die Koalition war sich schnell einig, dass die Flüchtlinge nicht der Grund dafür sein sollten, dass es im Wahljahr zu höheren Kassenbeiträgen kommt. Ein bisschen längere dauerte es nur, sich zu einigen, in welcher Form das Geld fließen soll. Es werden jedenfalls keine direkten Bundeszuschüsse sein, weil der Gesundheitsfonds über milliardenschwere Reserven verfügt.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schaeuble CDU stellt am Mittwoch 23 03 16 in Berlin die Eckwerte d

Der Bundesfinanzminister gilt eigentlich als sparsam. Nun bekommen aber viele plötzlich etwas von ihm: Bauern, Rentner und E-Autofahrer.

(Foto: Imago)

Und weil die Koalition schon einmal dabei war, beschloss sie, eine weitere halbe Milliarde Euro für den Ausbau der Digitalisierung des Gesundheitssystems aus den Reserven des Gesundheitsfonds zu finanzieren. Ob das Geld dem angegebenen Zweck zugutekommt, ist bei den Kassen und der Opposition umstritten.

Rentenpaket: Das große Geldverteilen bei der Rente begann vor ziemlich genau zwei Jahren: Am 1. Juli 2014 beschloss die Koalition das Rentenpaket. Darin enthalten sind zwei große Posten, die vor allem die Rentenversicherung und teilweise auch den Bund viele Jahre belasten werden: die abschlagsfreie Rente für langjährig Versicherte ab 63 Jahren und die höhere Mütterrente, mit der Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder stärker anerkannt werden. 160 Milliarden Euro werden dafür bis 2030 verfrühstückt. Zwei Drittel der Ausgaben entfallen allein auf die Mütterrente. Union und SPD haben damit gehalten, was sie versprochen haben.

Das Paket ist aber ein Beispiel dafür, wie Koalitionen auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler manchmal funktionieren: Die SPD wollte die Rente mit 63, die Union die Mütterrente - also bekommt jeder seins, obwohl auch den Koalitionspolitikern ein bisschen unheimlich war, wie teuer das Paket dann insgesamt wird. Die Folge der Ausgabenorgie zeigt sich jetzt: Für die Lösung der drängenden Probleme, egal ob es um höhere Erwerbsminderungsrenten, eine Mindestrente gegen die Altersarmut oder mehr Anreize für die betriebliche Altersvorsorge geht, fehlt Geld. Union und SPD stehen deshalb vor der Quadratur des Kreises: Sie hätten gern von jedem etwas, aber es darf möglichst nichts kosten.

Elektroauto: Auch beim Elektroauto will die Regierung nicht länger tatenlos zusehen. Eine Million der Batterie-Autos sollten eigentlich bin 2020 auf deutschen Straßen sein, doch die bisherige Bilanz ist traurig. Das Kraftfahrt-Bundesamt zählte zuletzt nur gut 150 000 Pkw unter Strom. Seit voriger Woche hilft die Koalition nach: 600 Millionen Euro fließen aus Bundesmitteln in "Kaufprämien" für die Autos. Deren Käufer können sich freuen: Bund und Industrie übernehmen 4000 Euro des Kaufpreises bei Elektroautos, 3000 Euro bei Hybrid-Autos mit Stromanschluss.

Bauförderung

Union und SPD werden sich nicht einig, wie der Staat den Bau bezahlbarer Mietwohnungen in Deutschland fördern sollte. Geplant war eine Steuererleichterung für Bau-Investoren, deren Kosten unter 3000 Euro pro Quadratmeter liegen. Die SPD wollte die Grenze auf 2600 Euro senken, um sicherzustellen, dass keine Luxus-Bauten subventioniert werden. Alternativ hätte die SPD auf einer Mietobergrenze bestanden. Dies lehnen CDU und CSU jedoch ab. Deshalb werde die Förderung "vorerst auf Eis gelegt". SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider sagte am Dienstag, der Gesetzentwurf werde "nicht weiter verfolgt".

Mit der Sonderabschreibung hätte die öffentliche Hand auf Steuereinnahmen in Höhe von gut zwei Milliarden Euro verzichtet. Dafür wären mindestens 50 000 neue Wohnungen zusätzlich gebaut worden, schätzt das Bundesfinanzministerium. Die Opposition hatte den Plan als Steuergeschenk für Investoren kritisiert. Benedikt Müller

Milchbauern: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) klopfte bei Schäuble wegen der Milchkrise an. Er hatte den Landwirten "100 Millionen Euro plus x" versprochen, um den Preisverfall auf dem Milchmarkt abzufedern. Den 100 Millionen Euro hat die Koalition schon zugestimmt. Jetzt geht es noch um das X.

Er gehe davon aus, "dass das X in dreistelliger Millionenhöhe ist", sagte Schmidt vergangene Woche auf dem Deutschen Bauerntag. Neben EU-Geldern versprach Schmidt auch Bürgschaften in Millionenhöhe, etwa für Bankenkredite der Landwirte. Außerdem plant er steuerliche Sonderkonditionen. So sollen Bauern 150 000 Euro aus Liegenschaftsverkäufen steuerfrei behalten dürfen, wenn sie von diesem Geld ihre Schulden tilgen. Insgesamt rechnet der Bauernverband mit Hilfen von bis zu einer halben Milliarde Euro.

Braunkohle: Beim Strom lassen sich die Milliarden besonders gut verteilen. Nicht einmal der Finanzminister muss zustimmen, denn das Geld lässt sich über Umlagen bei den Verbrauchern wieder einsammeln. So revoltierten Stromkonzerne und Gewerkschaften im vorigen Jahr gegen Klimapläne von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Sie sahen Obergrenzen für die Emissionen von Braunkohlekraftwerken vor, ältere Meiler hätten das nicht überlebt. Gabriel lenkte ein - und verkehrte das Prinzip ins Gegenteil. Vor zwei Wochen verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das die Konzerne für die Stilllegung einiger Alt-Kraftwerke entlohnt.

1,6 Milliarden Euro sollen fließen, verteilt über sieben Jahre. Einen Vierpersonenhaushalt kostet das knapp zwei Euro.

Ökostrom: Nicht minder erfolgreich waren stromerzeugende Landwirte und ihr Fürsprecher Horst Seehofer (CSU). Bei den letzten Verhandlungsrunden zum Ökostrom-Gesetz hatte Bayerns Ministerpräsident auf Biegen und Brechen für eine stärkere Förderung von Biomasse-Kraftwerken gekämpft, mit denen im Freistaat viele Bauern gutes Geld verdienen. Am Ende erstritt er eine Ausweitung der Förderung in Milliardenhöhe, finanziert, na klar, über die Stromkunden. Und zum Ausgleich bekamen auch die Windmüller noch einen Nachschlag. Diesen Freitag wird das Gesetz verabschiedet.

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