Dick Costolo:Twitter-Chef wittert Geschäft der Zukunft

Dick Costolo, chief executive of Twitter, leaves JP Morgan headquarters after a meeting before the firm's IPO in New York

Einst Stand-up-Comedian, jetzt Chef von Twitter: Dick Costolo.

(Foto: REUTERS)

Immer mehr Menschen sind online, während sie fernsehen - und schreiben dabei Tweets. Twitter-Chef Dick Costolo tut sich deshalb gerade mit Fernsehsendern zusammen. Die Olympischen Winterspiele in Sotschi sollen zum Test werden.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Dick Costolo weiß, wie das ist, wenn man Menschen innerhalb weniger Minuten für sich begeistern muss. Vor seiner Zeit als Chef des Kurznachrichtendienstes Twitter arbeitete er jahrelang als Stand-up-Comedian in den Clubs von Chicago. In diesen Tagen muss er die Menschen wieder in den Bann ziehen. Nicht mit Witzen, sondern mit einem Versprechen für die Zukunft.

Seine Bühne, das sind die Konferenzräume wichtiger Banken und, wichtiger noch, die Büros der nordamerikanischen Footballliga NFL und des Fernsehkonzerns NBC. Mit beiden hat Twitter in den vergangenen Wochen bereits Kooperationen abgeschlossen. "Wir haben festgestellt, dass die grundlegenden Eigenschaften von Twitter - öffentlich, in Echtzeit und konversationsfördernd - eine ideale Ergänzung zum Fernsehen darstellen", sagt Costolo.

In Zeiten von Internetdiensten für Film und Fernsehen klingt eine Zusammenarbeit mit Live-TV-Anbietern, als würde jemand kurz vor der Eiszeit die Verlobung mit einem Dinosaurier bekannt geben. Das soll die Strategie eines Unternehmens sein, das an diesem Donnerstag um die zwei Milliarden Dollar an der Börse einsammeln will?

Doch, es gibt sie noch, Sendungen, bei denen Millionen Menschen den Fernseher einschalten und live dabei sein wollen. Sportübertragungen und Serien, bei denen die Zuschauer wissen wollen, wie es weitergeht - und über die sie sogleich diskutieren. "In der Vergangenheit haben sich ein paar Menschen am Telefon oder am Kaffeeautomaten über Sendungen unterhalten", sagt Costolo - und lässt keinen Zweifel daran, dass Twitter sich dazu noch besser eignet.

Und dass sich dies auch für die Fernsehsender auszahlt: Als der Akrobat Nick Wallenda im Juni auf einem Seil über eine Schlucht in der Nähe des Grand Canyon balancierte, schalteten knapp drei Millionen Amerikaner die Live-Übertragung bei Discovery ein. Die Nachricht, dass da einer ohne Absicherung zwischen zwei Felsen spaziert, verbreitete sich rasend schnell auch über Twitter. Als Wallenda auf der anderen Seite ankam, sahen bei Discovery 13 Millionen Menschen zu.

"So viel, dass mir danach die Finger wehtun"

Immer mehr Menschen surfen, während sie fernsehen, nebenbei über Tablets und Smartphones im Internet. Und je mehr Tweets es zu einer bestimmten Sendung gibt, desto besser sind die Live-Einschaltquoten. Die Darsteller des Politthrillers "Scandal" etwa twittern, während die Episoden ausgestrahlt werden. "So viel, dass mir danach die Finger wehtun", wie Hauptdarstellerin Kerry Washington betont. Es hilft: Die Zahl der Zuschauer ist innerhalb von zwei Jahren von sieben auf 10,5 Millionen gestiegen.

Davon will auch Twitter profitieren: Die Medienabteilung der Footballliga postet, versetzt um wenige Sekunden, ein Video einer spektakulären Spielszene. So kommt der Kurznachrichtendienst an Filme, für die er keine Rechte hat - und wird sogar noch dafür bezahlt, um es prominent darzustellen. Vor dem Video wird ein Werbeclip von sechs Sekunden gezeigt, so finanziert die NFL das Ganze - und hofft, dass einige der mehr als fünf Millionen Follower zum Sender wechseln und sich den Rest des Spiels ansehen.

Die strategische Partnerschaft mit NBC funktioniert ähnlich, könnte indes für Twitter noch lukrativer werden. Der Knopf "See It" ermöglicht es jenen, die sich auf Twitter tummeln, mit einem Klick direkt vom Kurznachrichtendienst zu Serien, aber auch zu Sportübertragungen zu wechseln. "Das ist ein großer Schritt für das soziale Fernsehen, Twitter-Nutzer finden Sendungen, die sie gerne sehen - und entdecken neue", sagt Comcast-Chef Brian Roberts.

NBC überträgt im kommenden Februar die Olympischen Winterspiele in Sotschi im amerikanischen Fernsehen, Twitter soll die Diskussionsplattform dazu werden. Wenn es bei einem Biathlon-Rennen spannend wird, erfahren die Twitter-Nutzer das sogleich - und gelangen per Mausklick zur Liveübertragung. Sotschi soll ein Testlauf werden für die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro, die zur besten amerikanischen Sendezeit stattfinden.

Das wollen die Investoren hören, die Twitter-Chef Costolo derzeit bezirzt: Dass er und seine Manager bereits jetzt daran denken, wie sie in drei Jahren viel Geld verdienen können. Auch das dürfte Dick Costolo aus seiner Zeit als Improvisationskünstler gelernt haben: Die besten Witze sind oft jene, die das Publikum zunächst nicht kapiert oder gar töricht findet - und die dann doch mit einer genialen Pointe verblüffen.

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