DGB-Chef Michael Sommer im Interview:"Bye-bye, sage ich da nur. Viel Spaß!"

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Michael Sommer, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, kurz vor dem Tag der Arbeit über seine neue Idee der Managersteuer, warum auswanderungswillige Spitzenkräfte nicht aufgehalten werden sollten, Brutalkapitalismus - und wie viel er als Gewerkschaftsboss im Monat verdient.

Melanie Ahlemeier, Nina Bovensiepen und Thorsten Denkler

Michael Sommer, geboren 1952 in Büderich bei Düsseldorf, ist seit 2002 Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Er gehörte zu den stärksten Gegnern der Agenda 2010 von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD).

Michael Sommer: "Der 1. Mai ist für Gewerkschafter wie Weihnachten oder Ostern für Christen." (Foto: Foto: M. Ahlemeier)

sueddeutsche.de: Herr Sommer, in diesem Jahr stehen etliche Tarifrunden an. Haben Sie - passend zum 1. Mai - schon die Farbe für Ihren Kampfanzug gewählt?

Michael Sommer: Ich besitze keinen Kampfanzug. Aber wenn Sie fragen, wie meine Stimmung ist, dann sage ich: Der 1. Mai ist traditionell der Internationale Kampftag der Arbeiter. Das entspricht meiner inneren Einstellung. Ich freue mich im Übrigen auch, dass die Leute frei haben an dem Tag.

sueddeutsche.de: Was bedeutet Ihnen der 1. Mai?

Sommer: Das ist schon ein besonderer Tag. Der 1. Mai ist für uns Gewerkschafter wie Weihnachten oder Ostern für die Christen. Das ist ein Tag, an dem sich die Arbeitnehmer in Deutschland treffen, um deutlich zu machen: Wir sind diejenigen, die dieses Land zusammenhalten und nach vorne bringen. Darum auch unser Motto: Gute Arbeit muss drin sein.

sueddeutsche.de: Die jüngsten Tarifverträge sorgen dafür, dass es dieses Jahr für gute Arbeit auch wieder ganz gutes Geld gibt. Die hohen Abschlüsse fallen in eine Zeit, in der das Wachstum schon wieder nachlässt. Ist das nicht das falsche Jahr für solche Lohnzuwächse?

Sommer: In Sachen Tariferhöhungen ist für die Arbeitgeber jedes Jahr das falsche Jahr.

sueddeutsche.de: Ist da nicht in diesem Jahr auch etwas dran?

Sommer: Nein. Die Abschlüsse passen nicht nur gut in die Landschaft, sie helfen zudem, die Binnennachfrage anzukurbeln und damit die Konjunktur zu stabilisieren. Sie müssen auch sehen: Wir hatten in den vergangenen Jahren erhebliche Reallohnverluste hinzunehmen. Die gilt es jetzt auszugleichen, wenigstens zum Teil.

sueddeutsche.de: Keine Angst vor der Finanzkrise?

Sommer: Wir scheinen die nicht ganz so geballt abzubekommen wie die USA und andere Länder. Das hängt auch mit dem starken Euro zusammen. Aber ein starker Euro ist ohne starke Binnennachfrage nicht denkbar.

sueddeutsche.de: Wäre es nicht dennoch sinnvoll, die Lohnentwicklung stärker an die Konjunktur zu koppeln? Wenn viel da ist, lässt es sich leichter verteilen, als wenn wenig da ist.

Sommer: Wir machen doch nichts anderes. Wir gucken uns die verschiedenen Parameter einer Branche sehr genau an, die wirtschaftlichen Fundamentaldaten und die Prognosen. Daraus und aus der Inflationsrate plus Umverteilung ergibt sich dann eine Tarifforderung. Es ist deshalb wenig sinnvoll, mit feststehenden Regularien und Riten zu brechen. Unser System der Lohnfindung über die Tarifautonomie ist äußerst erfolgreich.

sueddeutsche.de: Der Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, sieht sich genötigt moderate Abschlüsse anzumahnen, um die Konjunktur nicht zu gefährden.

Sommer: Neben der Kritik vom EZB-Präsidenten haben wir zahlreiche Glückwünsche von unseren europäischen Gewerkschaften erhalten. Dass Trichet so reagiert, hat einen einfachen Grund: Er weiß, dass Deutschland als die wichtigste Volkswirtschaft in Europa eine Führungsfunktion hat. Herr Trichet hat uns aber nichts zu sagen. Er soll sich aus der Lohnfindung raushalten, wir mischen uns auch nicht in die Zinspolitik ein.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Michael Sommer den Kampf für einen gesetzlichen Mindestlohn nicht aufgibt - und warum beim geforderten Mindestlohn von 7,50 Euro nachgebessert werden könnte.

sueddeutsche.de: Bei allen Erfolgen in der Lohnpolitik: Sie haben es immer noch nicht geschafft, einen flächendeckenden Mindestlohn durchzusetzen. Wie stehen die Chancen, das bis zur Bundestagswahl 2009 hinzubekommen?

DGB-Chef Sommer will den Mindestlohn noch erleben, bevor er aufhört zu arbeiten. (Foto: Foto: dpa)

Sommer: Die Wahrscheinlichkeit, dass die große Koalition sich zu diesem Schritt durchringt, ist nicht hoch angesichts dessen, was führende Politiker der Union öffentlich sagen. Das hindert mich aber nicht, den Kampf für einen gesetzlichen Mindestlohn nicht unter 7,50 Euro die Stunde weiterzuführen.

Wir werden mit aller notwendigen Kraft und Konsequenz für das Ziel kämpfen, dass diejenigen, denen die Tarifautononmie nicht helfen kann, nicht länger mit Hungerlöhnen abgespeist werden. Wenn es sein muss, dann geht dieser Kampf über das Jahr 2009 hinaus. Niemand soll glauben, wir würden nachlassen.

sueddeutsche.de: Warum reicht Ihnen ein branchenbezogener Mindestlohn nicht?

Sommer: Wir haben es mit einer Trias zu tun: Dort, wo die Tarifautonomie funktioniert, ist alles wunderbar. Allgemeinverbindliche Lösungen für einzelne Branchen, sei es über das Entsendegesetz oder über ein Mindestarbeitsbedingungengesetz, dessen Inhalt wir noch nicht kennen - auch gut. Aber wir wissen, dass das alles nicht helfen wird, eine Grenze für alle zu ziehen, um den freien Fall der Löhne nach unten zu stoppen. Deswegen bleibt es bei der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Und zwar solange, bis wir ihn durchgesetzt haben.

sueddeutsche.de: Wie lange wird das dauern?

Sommer: Ich habe die Absicht, das noch in meinem Arbeitsleben zu erleben. Und ich habe nicht vor, bis 67 zu arbeiten.

sueddeutsche.de: In Bayern startet der DGB zum 1. Mai eine Unterschriftenaktion für den Mindestlohn.

Sommer: Die machen ein klassisches Volksbegehren für den Mindestlohn. Die bayerische Verfassung lässt das zu.

sueddeutsche.de: Sie machen das kaum fünf Monate vor den Landtagswahlen in Bayern. Ein Vorgeschmack dessen, was uns zur Bundestagswahl 2009 erwartet?

Sommer: Sie können damit rechnen, dass der DGB - wie bei allen Bundestagswahlen - massiv Politik in diesem Land zu machen versucht. Wir werden nur auf gar keinen Fall Parteipolitik machen.

sueddeutsche.de: Na ja, eine Volksabstimmung zum Mindestlohn kommt doch einer Wahlempfehlung für die SPD recht nahe.

Sommer: Nein, das ist eine Wahlempfehlung für eine richtige Forderung, die auch Grüne und die Linke unterstützen. Wir werden zudem noch einige andere Themen ansprechen. Dazu gehört die Bekämpfung der Altersarmut, dazu gehört die Bekämpfung des Missbrauchs der Leiharbeit und dazu gehört die Bekämpfung der Tendenz, über Brüssel neoliberalen Schrott in Deutschland und Europa abzuladen.

Wenn uns dabei Parteien unterstützen, gut. Wenn sie es nicht tun, werden wir das beim Namen nennen. Zum Schluss wird der Wähler seine Entscheidung fällen.

Lesen Sie weiter, warum Gewerkschaften Dumpinglöhne mittragen.

sueddeutsche.de: Heute sagen sie noch 7,50 Euro als Untergrenze ...

Sommer: ... heute noch, das ist richtig. Je länger der Kampf dauert, desto mehr werden wir uns die Frage stellen müssen, ob 7,50 Euro noch die richtige Zahl ist. Die Marke liegt übrigens im internationalen Vergleich der Industrienationen jetzt schon am unteren Ende.

sueddeutsche.de: Ist 7,50 Euro ein menschenwürdiger Stundenlohn?

Sommer: Ab 7,50 Euro müssen wir zumindest nicht mehr von Armutslöhnen sprechen. Davon kann aber niemand eine Familie durchbringen. Das Geld reicht wohl gerade, um als Single durchzukommen. Wir sagen nur: Unter dem geht es gar nicht. Ganz schlimm sind die zweieinhalb Millionen Menschen dran, die weniger bekommen.

Hier stellen Sie die Frage nach der Menschenwürde nicht. Aber bei 7,50, da wollen wir mal den Gewerkschaftsvorsitzenden ärgern. Stellen wir doch mal die Frage nach den 2,83 Euro für Floristen in Brandenburg. Da sage ich, das ist nicht nur menschenunwürdig, das ist menschenverachtend.

sueddeutsche.de: Gewerkschaften haben solche Tarifverträge zum Teil mit abgeschlossen.

Sommer: Das ist für mich eine ganz schwierige Geschichte, die ich künftig möglichst verhindern will. Solche Tarifverträge unter 7,50 Euro sind ja auch geschlossen worden, weil man Arbeitsbedingungen auf anderen Gebieten verbessern konnte - etwa bei Arbeitszeit oder Urlaub. Manchmal also sind die Gewerkschaften in einer Zwangssituation. Ich bin angetreten, um diese Zwangssituationen zu vermeiden. Mit einem Mindestlohn würde es solche Tarife nicht mehr geben können.

sueddeutsche.de: So groß scheint die Nachfrage nach Mindestlöhnen nicht zu sein. Statt der erwarteten zehn bis zwölf Branchen haben gerade mal acht bis zum 31. März bei Bundesarbeitsminister Olaf Scholz ihren tarifvertraglich vereinbarten Branchenmindestlohn angemeldet.

Sommer: Der Branchenmindestlohn ist von Teilen der Medien und einigen Politikern hochgejubelt worden als der Lackmustest für den allgemeinen Mindestlohn. Das ist er nicht. Im Gegenteil: Mit den ganzen Bremsen, die in das Entsendegesetz eingebaut wurden - wie die 50-prozentige Tarifbindung -, ist das eher der Versuch, den Mindestlohn zu verhindern.

sueddeutsche.de: Dennoch machen Sie mit.

Sommer: Ja, in den Branchen, in denen sich das anbietet. Das werden übrigens bald mehr sein als die acht, die sich jetzt gemeldet haben.

sueddeutsche.de: Welche sind das?

Sommer: Ich werde bewusst keine nennen, damit ich nicht morgen gefragt werde, warum das noch nicht geschehen ist. Das geht nicht immer so schnell, weil sich dafür ja Arbeitgeber und Gewerkschaften einigen müssen. Darüber hinaus muss noch gewährleistet sein, dass für mehr als 50 Prozent der Beschäftigten die Tarifbindung gilt. Eines ist aber bekannt: Wir wollen unbedingt die Zeitarbeit unter das Entsendegesetz stellen, um hier den Missbrauch auch dadurch einzudämmen.

sueddeutsche.de: Herr Sommer, die SPD hat jetzt ihre Pläne vorgelegt, wie sie horrende Gehälter und Abfindungen für Manager eindämmen will. Reicht Ihnen, was da vorgestellt wurde?

Sommer: Alles, was ich aus den Volksparteien dazu höre, mutet an wie unfreiwillige Komik. Bundeskanzlerin Merkel hat auf dem CDU-Parteitag im Dezember die Höhe von Managergehältern gegeißelt.

Unter anderem hat sie gesagt, dass der sehr erfolgreiche Toyota-Chef in Japan gerade das Doppelte von dem verdiene, was eine deutsche Bundeskanzlerin verdient, nämlich um 500.000 Euro im Jahr. Das müsse auch der Maßstab für deutsche Manager sein. Und jetzt stellt sich der Pofalla hin ...

sueddeutsche.de: ... der CDU-Generalsekretär ...

Sommer:... und sagt, das sei ja wohl ein Ding aus dem Tollhaus, wenn jemand die Managereinkommen ernsthaft begrenzen wolle.

sueddeutsche.de: Was ist mit der anderen Volkspartei?

Sommer: Die Sozialdemokraten rufen nach gesetzlichen Lösungen. Wohl wissend, dass sie wahrscheinlich nicht kommen werden. Schon weil das verfassungsrechtlich schwierig ist.

sueddeutsche.de: Die SPD will die steuerliche Absetzbarkeit von Abfindungen bei einer Million Euro kappen. Eine gute Idee?

Sommer: Glauben Sie im Ernst, das würde auch nur ein Unternehmen dazu bewegen, den Managern statt sechs Millionen Euro Abfindung nur fünf zu zahlen? Das ist doch unsinnig!

Lesen Sie weiter: Die DGB-Idee von einer Managersteuer - und welche Summe am Ende des Monats auf Sommers Gehaltszettel steht.

sueddeutsche.de: Was würde denn ein Unternehmen dazu bewegen, weniger zu zahlen?

Sommer: Das wird auch Aufgabe der Gewerkschafter in den Aufsichtsräten sein, die Spirale nach oben zu brechen. Zweitens brauchen wir mehr Transparenz. Insoweit trage ich den SPD-Vorschlag mit. Wobei: Da hat es ja schon einige Fortschritte gegeben. Etliche Großkonzerne setzen inzwischen auf Corporate Governance.

Aber wenn man über Transparenz spricht, dann muss man auch über die Offenlegung von Abfindungsregeln und Altersvergütungen reden. Drittens: Wenn überdimensionierte Gehälter bezahlt werden, muss man dafür sorgen, dass sie wenigstens anständig besteuert werden - und zwar in Deutschland. Das ist die einzige Sprache, die diese Leute verstehen.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie mit "anständig besteuern"?

Sommer: Ich würde bei einer deutlichen Ausweitung der Reichensteuer hin zu einer Managersteuer ansetzen. Da ist durchaus noch was drin, ohne dass ein Dax-Vorstand plötzlich zum Hartz-IV-Empfänger würde.

sueddeutsche.de: Wie stellen Sie sich diese Managersteuer vor?

Sommer: Heute wird bei der Reichensteuer ab 500.000 Euro Jahreseinkommen ein Aufschlag von drei Prozent auf den Spitzensteuersatz von 42 Prozent gezahlt. Ich plädiere dafür, für den Aufschlag die alte Höhe des Spitzensteuersatzes von 53 Prozent zum Maßstab zu nehmen. Dann haben wir - wenn Sie so wollen - so etwas wie eine Managersteuer.

sueddeutsche.de: Da werden viele ihr Geld lieber im Ausland verdienen wollen.

Sommer: Dann sollen sie doch gehen. Bye-bye, sage ich da nur. Viel Spaß! Ist doch in Ordnung. Wir haben Marktwirtschaft. Wenn sie im Ausland mehr verdienen, bitte schön. Die meisten angeblich hochvermögenden Manager, die ich bisher in meinem Leben gesehen habe, die spielen immer noch in Deutschland Golf und nicht im Ausland.

Die wenigen, die tatsächlich mehr verdienen können, die gehen auch. Das Argument schreckt mich überhaupt nicht. Im Übrigen kann man auch mit wenig Geld gute Arbeit leisten, das zeigen wir bei den Gewerkschaften. Unsere Hauptamtlichen verdienen nicht gut, und die leisten trotzdem hervorragende Arbeit.

sueddeutsche.de: Wie viel verdienen Sie, Herr Sommer?

Sommer: 11.200 Euro im Monat - mal dreizehneinhalb; um es ganz transparent zu machen.

sueddeutsche.de: In Deutschland wird die Gehälterdebatte wesentlich intensiver geführt als in anderen Ländern, obwohl das durchschnittliche Managergehalt hierzulande immer noch unter dem internationalen Durchschnitt liegt.

Sommer: Letzteres würde ich bezweifeln. Und was andere Länder angeht, mit Verlaub: Einen Brutalkapitalismus nach 70 Jahren weltrevolutionärem Realsozialismus möchte ich für unser Land nun wirklich nicht. Was zum Beispiel derzeit in Russland geschieht, ist eine wahnsinnige Aneignung von Kapitalmengen in den Händen weniger Menschen, die sich zum größten Teil auch in krimineller Manier dieses Reichtums bemächtigt haben. Das ist nur mit dem Raubrittertum des Mittelalters zu vergleichen.

sueddeutsche.de: Die Deutschen jammern auf hohem Niveau. Warum fällt es ihnen so schwer, anderen hohe Einkommen zu gönnen?

Sommer: Ludwig Erhard hat uns mit seiner Verheißung "Wohlstand für alle" geprägt. Es ging nicht um Gleichmacherei. Die Menschen haben früher auch akzeptiert, dass es den Herrn Generaldirektor mit der dicken Zigarre und dem großen Mercedes gab. Aber es waren Relationen, die bewegten sich in einer Größenordnung eins zu fünf, eins zu zehn zwischen Facharbeiterlohn und Managereinkommen.

Was die Menschen nicht mehr begreifen, sind Unterschiede von eins zu hundert, eins zu hundertfünfzig wie bei den Dax-Unternehmen. Die Menschen regen sich auch deshalb über Managergehälter auf, weil sie unzufrieden damit sind, dass Ludwig Erhards Verheißung vom Wohlstand für alle nicht mehr die Verheißung der Bundesrepublik im Jahr 2008 ist.

sueddeutsche.de: Und das bringt die Menschen dazu, ihre Neidgefühle zu hegen?

Sommer: Wir debattieren die Frage der Managergehälter ja nicht unter dem Aspekt von Neid. Menschen, die mehr verdienen, können und sollen auch mehr zum Gemeinwesen beitragen. Aber wir haben Armut für immer mehr Menschen, Reichtum für immer mehr Menschen und Wohlstand für immer weniger Menschen.

sueddeutsche.de: Die Bundesregierung will die Arbeitnehmer stärker an den Unternehmen beteiligen. Hilft das gegen die zunehmende Unzufriedenheit?

Sommer: Die Vorschläge sind richtig und begrüßenswert, aber sie ändern nichts an den Vermögensverhältnissen. In Deutschland besitzen zwei Prozent der Bevölkerung 70 Prozent des Produktivvermögens. Das ändere ich nicht mit etwas mehr Mitarbeiterbeteiligung. Die Hoffnung, damit Nennenswertes an der ungleichen Vermögensverteilung ändern zu können, ist ein Witz.

sueddeutsche.de: Viele Menschen, die früher einmal zur Mittelschicht zählten, rutschen im Alter in die Armut ab. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers will denen, die mehr als 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, ein Auskommen oberhalb der Grundsicherung garantieren. Geht der DGB da mit?

Sommer: Rüttgers hat ein wichtiges Problem artikuliert, das zeigt seine Lernfähigkeit. Er war vor drei Wochen bei mir. Er hat zugehört, als ich ihm sagte, Altersarmut ist sicherlich heute noch kein Massenproblem.

Heute haben wir 400.000 Menschen in der Grundsicherung bei 20 Millionen Rentnern. Wir werden das Problem aber bald massiv bekommen. Das liegt neben den massiven Rentenkürzungen vor allem an den unterschiedlichen Erwerbsbiographien mit längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit, in Teilzeit arbeitenden Frauen, den vielen Mini-Jobbern und der rapiden Ausdehnung des Niedriglohnsektors.

sueddeutsche.de: Wird sich Rüttgers durchsetzen können?

Sommer: Die Debatte läuft momentan gegen Rüttgers. Sie wird auch so geführt, weil er im Kern die private Vorsorge hinterfragt. Menschen, die weniger als 7,50 Euro die Stunde verdienen, können keine Riester-Rente zahlen. Selbst wenn sie Riester bezahlen, wird ihnen Riester bei der Grundsicherung angerechnet.

Was wir brauchen, ist eine Stabilisierung des umlagefinanzierten Rentensystems. Dazu gehört für mich auch eine weitere Erhöhung des Steueranteils in diesem System. Das ist auch logisch, weil ansonsten künftig die steuerfinanzierte Grundsicherung enorm steigen würde. Da ist es doch besser, die Rente armutsfest zu machen.

Lesen Sie weiter: Warum die Pendlerpauschale so wichtig für den DGB ist und wie sie finanziert werden könnte.

sueddeutsche.de: Das kostet viel Geld. Zugleich fordern Sie wie CSU-Chef Erwin Huber eine Rückkehr zur alten Pendlerpauschale. Wie soll der Staat das finanzieren?

Sommer: Mit der Risikovorsorge, die wir momentan für die IKB zurückhalten, ist die Pendlerpauschale schnell bezahlt.

sueddeutsche.de: Man hätte die IKB auch pleitegehen lassen können?

Sommer: Nein, nein. Ich habe im Verwaltungsrat der KfW dafür gestimmt und bekenne mich dazu. Wir können aber nicht sagen, für die IKB haben wir Geld, nicht aber für die Pendlerpauschale. Das geht nicht.

sueddeutsche.de: Warum sollte der Staat dafür aufkommen, wenn Arbeitnehmer sich dafür entscheiden, ins Grüne zu ziehen?

Sommer: Das tut er nicht.

sueddeutsche.de: Er finanziert den Weg zum schmucken Eigenheim.

Sommer: Der Weg zur Arbeit gehört untrennbar zum Arbeitsleben dazu. Die Kosten müssen deshalb als Werbungskosten von der Steuer abgesetzt werden können, so wie Unternehmen Betriebsausgaben absetzen können. Dann kann man diese Kosten aber auch nicht erst nach dem 20. Kilometer geltend machen dürfen.

sueddeutsche.de: Ganz oder gar nicht?

Sommer: So ist es. Das ist das Urteil des Bundesfinanzhofes. Wir sind der Meinung ganz, und deswegen sehe ich dem erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch mit großer Zuversicht entgegen.

sueddeutsche.de: Müssen es denn 30 Cent je Kilometer sein?

Sommer: Wir sind für einen Satz, der die Aufwendungen deckt. Dann ist man bei 30 Cent je Kilometer. Möglicherweise muss der Satz nach oben korrigiert werden, zum Beispiel wegen steigender Energiekosten.

sueddeutsche.de: In Sachen Pendlerpauschale sind Sie ganz bei der CSU. Bei der Rente gehen sie mit Rüttgers. Außerdem haben Sie ein SPD-Parteibuch - alles zusammen vermittelt ein Gefühl der Beliebigkeit.

Sommer: Das vermittelt den Eindruck absoluter Konsequenz, wir sind nämlich ganz konsequent Interessenvertreter der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Für die sorgen wir, das ist meine Aufgabe. Und das geschieht parteiunabhängig. Ich stehe auch als Person für diese parteipolitische Unabhängigkeit des DGB. Das ist nicht immer komfortabel. Aber es ist auch eine Quelle der Stärke.

sueddeutsche.de: Ein Stärke, die offenbar vor allem die IG Metall nicht mehr als ausreichend empfindet. IG-Metall-Chef Berthold Huber fordert eine grundlegende DGB-Reform.

Sommer: Er stellt zu Recht die Frage, ob der DGB effektiv genug ist und seine Aufgaben wahrnimmt. Die Fragen muss man stellen dürfen.

sueddeutsche.de: Ist der DGB effektiv genug?

Sommer: Wir arbeiten gerade an dieser Frage - in aller Ruhe, mit aller Zufriedenheit und mit aller Zuversicht.

sueddeutsche.de: Bis zum Sommer wollen Sie Eckpunkte vorlegen. Wo wollen Sie Prioritäten setzen?

Sommer: Warum sollte ich dazu etwas sagen? Ich bin ja noch nicht fertig.

sueddeutsche.de: Ist der Druck der DGB-Mitgliedsgewerkschaften noch nicht groß genug?

Sommer: Sie sehen mich hier als einen sehr in sich ruhenden, zufriedenen Menschen, der seine Aufgaben wahrnimmt und auch in Zukunft wahrnehmen wird.

sueddeutsche.de: Machen Ihnen diese Aufgaben Spaß?

Sommer: Ja.

sueddeutsche.de: In zwei Jahren läuft Ihre Amtszeit ab. Treten Sie noch einmal zur Wahl an? Oder sagen Sie: Vorruhestand, das Leben genießen und mit dem Hund spazieren gehen - das wär's.

Sommer: Ich genieße das Leben heute auch. Für mich ist Arbeit ein Teil des Lebensgenusses. Viele Menschen, die arbeitslos sind, wissen was es heißt, dass sie einen großen Teil ihres Lebens nicht genießen können, weil man sie von Arbeit fernhält.

Was meine Person angeht: Der DGB-Kongress findet 2010 statt. Wen die Gewerkschaftsvorsitzenden nominieren, werden sie rechtzeitig entscheiden. Ich glaube nicht, dass das im Jahr 2008 passieren wird.

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