Deutschlands Beitrag zur Euro-Rettung:Was Merkel den Deutschen zumuten darf

Der Euro steckt in der Krise und Deutschland zahlt. Jede Linie die Bundeskanzlerin Merkel bei der Euro-Rettung gezogen hat, überschreitet sie später. Doch der Widerstand gegen die "Geldhahn-auf"-Politik wächst in der Bevölkerung. Die Kanzlerin sollte sich darüber nicht hinwegsetzen.

Marc Beise

Oppositionspolitikern mangelt es gewöhnlich nicht an Selbst- und Sendungsbewusstsein. Meistens sind sie sicher, jeden Regierungsjob besser machen zu können als die jeweils Regierenden. Neuerdings aber nimmt man im Berliner Betrieb, aber auch in der Wissenschaft, ein Gefühl der Ohnmacht wahr. Was ein Glück, heißt es, dass "die Merkel" die Euro-Krise meistern muss und nicht wir.

Deutschland trägt Kosten in der Euro-Krise

Es geht in der Euro-Politik nicht nur um die nächste Bundestagswahl, es geht um Deutschland.

(Foto: REUTERS)

Bürger wissen nicht mehr weiter, Unternehmer retten sich auf Stammtisch-Niveau, und Bundestagsabgeordnete wollen nur noch ihre Ruhe haben. Es soll Gesetzesvertreter geben, die den Europäischen Rettungsmechanismus (ESM) bis Ende Juni in egal welcher Form durchwinken wollen, einfach nur weg mit diesem Thema. Dabei handelt es sich doch um eine Richtungsentscheidung für Deutschland, für Europa und die Welt. Aber das Thema überfordert die Menschen. Nur Personen mit sehr großem Ego meinen ganz genau zu wissen, was in dieser Situation richtig und was falsch ist in der Euro-Krise. Die meisten Beobachter erkennen an, dass der Weg zur Lösung der Krise kein "entweder oder" ist, sondern ein Labyrinth.

Seit zwei Jahren schaukelt sich die europäische Schuldenmisere auf, seit jenem denkwürdigen Gipfeltreffen im Mai 2010 in Brüssel, als der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, die Staats- und Regierungschefs panisch in den Krisenmodus versetzte: Griechenland läuft aus dem Ruder! Seitdem folgt eine Eskalationsstufe der nächsten, zieht Kanzlerin Angela Merkel für die deutsche Hilfe eine Grenzlinie nach der anderen, um sie jeweils wieder zu überschreiten.

Kritiker werfen Merkel diese Politik auf Sicht vor. Hätte sie, pflegt der ehemalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück zu sagen, im Mai 2010 öffentlich den heiligen Schwur getan, den Euro um jeden Preis und zu jeder Summe zu beschützen, so wie er das einst in der Finanzkrise gemeinsam mit der Kanzlerin im Bezug auf die Spareinlagen der Deutschen gemacht hatte, dann wäre die Lage nicht eskaliert. Niemand weiß, ob das stimmt, aber es klingt schneidig.

Ähnlich argumentiert der britische Historiker und Deutschland-Kenner Timothy Garten Ash. Im Handelsblatt-Interview äußerte er jetzt den bemerkenswerten Satz: "Helmut Kohl hat die Deutschen nicht gefragt, ob sie die D-Mark gegen den Euro eintauschen wollen. Er hat es einfach gemacht." Kanzlerin Merkel solle doch einfach sagen: "Es kann ja sein, dass ich durch die richtigen Entscheidungen für Europa die nächste Bundestagswahl verliere", damit sei ihr ein Platz in der Geschichte sicher.

Aber Merkel kann, sie darf nicht wie Kohl handeln, selbst wenn sie wollte.

Es geht in der Euro-Politik nicht nur um die nächste Bundestagswahl, es geht um Deutschland. Ein Land, in dem sich der Widerstand verfestigt gegen jede Lösung, bei der die Deutschen mehr oder weniger bedingungslos zahlen müssten. Diesen anschwellenden Widerstand, der mittlerweile viel massiver ist als die unterschwellige Ablehnung des Euro zu Kohl-Zeiten, darf Merkel, darf ein deutscher Regierungschef nicht einfach ignorieren.

Die Skepsis gegenüber immer neuen, bisher weitgehend bedingungslosen Risiken hat wahrscheinlich schon die Qualität eines Gemeinwillens des Volkes im Sinne einer Volonté générale. Diese Skepsis zeigt sich im wissenschaftlichen Diskurs, bei Führungskräften der Wirtschaft, in Umfragen. Bei den (noch bayerischen) Freien Wählern findet sie nun eine ausdrückliche politische Heimat.

Zerfall des Euro wäre der GAU

Allerdings wird in diesen Kreisen der Euro teilweise ganz zur Disposition gestellt. Noch ist das eine Minderposition - glücklicherweise, denn sie ist kurzsichtig. Sie schätzt den Wert von Frieden und Stabilität in Europa gering, die bei einem Crash des Euro gefährdet wären. Fachleute beziffern allein die direkten, staatlichen Kosten eines Austritts auch nur Griechenlands aus dem Euro auf 500 Milliarden Euro, davon 70 Milliarden für Deutschland. Ein Zerfall des Euro hätte eine vielfach größere Dimension, es wäre der wirtschaftspolitische GAU, der "größte anzunehmende Unfall".

Gerade wer aber den Euro retten will - und es gibt dafür viele gute Gründe, politisch wie wirtschaftlich -, muss dem Unwillen der Deutschen gegenüber immer neuen Risiken Rechnung tragen. Ein Unwille, der in logischer Konsequenz deutscher Geschichte und Erfahrung steht. Die vor allem amerikanische Vorstellung, das Feuer in Euro-Land mit der "Bazooka", mit immer mehr Geld zu löschen, ist hierzulande nicht mehrheitsfähig. Nicht weil die Deutschen dumm sind oder sentimental. Sondern weil die Furcht vor dem Fluch des billigen Geldes zu den Deutschen so passt wie das Geldausgeben zu den Amerikanern.

Es geht dabei erstens um historische Erfahrungen: Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg wurden die bankrotten Südstaaten durch Schuldenübernahme des (Nord-)Staates gerettet, die kommende US-Großmacht fußte auf diesem Manöver. Deutschland erinnert sich dagegen an eine Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg und den Fluch der Nazi-Zeit.

Zweitens geht es um das aktuelle Wirtschaftsmodell: Im angelsächsischen Bereich ist eine Finanz-Maschinerie mächtig geworden, die immerzu mit Dollar und Euro geschmiert werden will. Deutschland dagegen hat sich seine industrielle Basis erhalten, der deutsche Mittelstand ist Wohlstandsgarant und fürchtet eine Geldentwertung. Drittens hat das Zuwandererland Vereinigte Staaten eine beruhigende demografische Perspektive mit vielen nachwachsenden Bürgern, die sich aus Schulden rausarbeiten können. Deutschlands alternde Bevölkerung dagegen wird alle Kalamitäten zunehmend hilflos ertragen müssen.

Insgesamt handelt es sich hier nicht um Stimmungen, sondern um konstituierende Elemente der deutschen Wirtschaftsverfassung. Ganz klar: Es gibt in Deutschland für eine Politik des bedingungslosen "Geldhahn auf", für eine Vergemeinschaftung der Schulden ohne Kontrolle, ohne klare und einklagbare Normen keine Mehrheit. Im Volk nicht, und wohl auch nicht beim Bundesverfassungsgericht. Das ist die rote Linie, die Angela Merkel nicht überschreiten darf.

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