Deutschland und der Euro:Die Rechnung, bitte

Deutschland und der Euro: Kostet Griecheland Deutschland Geld? Oder verdient der Bund an der Krise?

Kostet Griecheland Deutschland Geld? Oder verdient der Bund an der Krise?

(Foto: Reuters)

Nicht noch mehr Milliarden für Griechenland, quengelt manche Partei im Europawahlkampf. Dabei profitiert Deutschland enorm von der Euro-Krise. Die Kosten liegen bisher bei null.

Von Bastian Brinkmann

Die große Krise des Euro beginnt im Oktober 2009 mit einem kleinen Malheur. Die neu gewählte Regierung in Griechenland muss korrigieren, wie groß das Loch im Haushalt ist. Es überschreitet nicht nur wie bisher gedacht ein wenig die Marke von 3 Prozent, die die EU gerne eingehalten sehen würde. Es liegt bei satten 12,7 Prozent. Hoppla.

Die Finanzmärkte schnappen nach Luft und lassen Griechenland fallen. Das Land kann sich kein Geld mehr leihen und braucht Notkredite von den Euro-Partnern. Die Länder und der IWF einigen sich im Frühjahr 2010 auf das erste sogenannte Hilfspaket in Höhe von 110 Milliarden Euro (eine Chronik hier). Seitdem gilt Griechenland als schwarzes Loch, das vor allem das hart erarbeitete Geld deutscher Steuerzahler verschluckt. Aber stimmt das auch? Und was gilt eigentlich abseits von Griechenland: Zahlt sich der Euro für Deutschland aus - oder kostet er mehr, als er bringt?

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Es gibt drei Antworten auf diese Fragen. Zum einen hat Deutschland dank der Krise Milliarden verdient. Zweitens trägt die Währungsunion zum Wirtschaftswachstum bei. Und drittens hat der Euro einen Vorteil, den auch schon die Deutsche Mark genoss - nur dass er noch größer ausfällt.

Wie der deutsche Staat an der Krise verdient

Regierungen finanzieren ihre Kredite über Staatsanleihen. Diese werden wie Wertpapiere an den Börsen gehandelt. Gilt ein Staat als guter Schuldner, sind die Papiere nicht viel mehr wert als der Kreditumfang plus eine moderate Verzinsung. Fürchten die Finanzmärkte jedoch, dass ein Staat seine Kredite vielleicht nicht ganz zurückzahlen wird, verlangen sie einen Risikoaufschlag für die Anleihen. Der Investor bekommt so potentiell mehr Geld zurück, die Rendite steigt - aber eben auch das Risiko, leer auszugehen. Genau das ist in Griechenland passiert. Die Renditen schossen irre in die Höhe.

Die Finanzmärkte sind nicht verrückt, wie es manchmal den Anschein hat. Nicht jeder Anleihenhändler reibt sich die Hände, wenn die Zinsen für Staaten wie Griechenland schöne Profite versprechen. Manche bekommen es auch mit der Angst zu tun. Sie investieren ihr Geld lieber konservativ und geben es einem Staat, dem sie vertrauen. In der Krise ist das vor allem: Deutschland. Die Renditen für Bundesanleihen sind extrem gefallen. Der Durchschnitt für die Dekade von 1999 bis 2008 liegt bei rund vier Prozent. Die Grafik zeigt, wie sich der Wert für zehnjährige Anleihen in den vergangenen Jahren davon entfernt hat.

An der Rendite orientieren sich Händler, wenn sie Staatsanleihen neu ersteigern. Diese Auktion legt die Zinsen für Deutschland fest. Je niedriger die Kurve, desto billiger.

Wie viel hat die Bundesrepublik nun gespart? Das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel hat die Daten für deutsche Anleihen ausgewertet und den Vorteil kalkuliert. Für den Zeitraum von 2009 bis 2013 kommen die Ökonomen auf ein Plus von rund 80 Milliarden Euro.

Zum Vergleich: In den Euro-Rettungsfonds ESM hat Deutschland bisher 21,7 Milliarden Euro eingezahlt. Es sollen mal 190 Milliarden Euro werden. Das Geld für den ESM taucht zwar als Ausgabenposten im Haushalt auf. Es ist aber wohlgemerkt nicht weg - es wird an Krisenstaaten nur verliehen. Bisher hat die Bundesrepublik jeden Cent zurückbekommen, den es an Griechenland und andere Euro-Partner als Notkredit überwiesen hat. Dem eingesparten Geld stehen also aktuell Kosten durch die Euro-Rettung in Höhe von null Euro entgegen. Weil Griechenland immer bessere Kreditbedingungen bekommt, sinkt nur der erwartete Gewinn durch die Zinsen.

Der Zinsbonus für Deutschland hat zwei Ursachen. Zum einen machen Wirtschaftskrisen oft Kredite für Staaten günstiger, weil alternative Anlagen wie Investitionen in Firmen riskanter werden. Um der Konjunkur zu helfen, hat die Europäische Zentralbank den Leitzins gesenkt - auch das drückt das allgemeine Zinsniveau.

Zudem sehen die Finanzmärkte Deutschland als sicheren Hafen in der Krise. Das Kapital, das früher in Griechenland, Spanien und anderne Schuldenstaaten steckte, möchten sie nun lieber risikolos in Deutschland anlegen. Dieser Effekt macht laut Institut für Weltwirtschaft rund ein Fünftel des Krisenrabatts für Deutschland aus.

Seit sich die Krise entspannt, steigen die Kreditkosten für Deutschland langsam wieder. Doch die Europäische Zentralbank wird die Zinsen wohl noch länger möglichst niedrig halten. Deutschland profitiert also weiterhin vom Zinsbonus.

Doch ganz ohne Kosten kommt der Bund langfristig wohl nicht davon. Irgendwann werden die Ausgaben für Kredite wieder steigen, während die Zinsen für Griechenland jahrzehntelang niedrig bleiben. Das hat Athen ausgehandelt. Liegen die deutschen Finanzierungskosten über den Zinsen für Griechenland, ergeben sich aus der Differenz Kosten für den Bund. Beispielsweise könnte Deutschland für einen Kredit in Höhe von zehn Milliarden Euro vier Prozent Zinsen zahlen. Verleiht der Bund dann Notkredite in gleicher Höhe an Athen und bekommt nur ein Prozent Zinsen zurück, ergibt das eine Lücke von 300 Millionen Euro. Wie groß dieser Transfer insgesamt ausfallen wird, und wie viel er vom Zinsbonus wieder auffrisst, hängt davon ab, wie viel Kredite Deutschland in Zukunft zu höheren Zinsen aufnimmt. Die Rechnung dafür kommt also erst in vielen Jahren.

Wie die Wirtschaft von der Euro-Zone profitiert

Eine gemeinsame Währung macht es für Firmen leichter, zu handeln. Unternehmen können nun also leichter Waren ausführen — aber auch die ausländische Konkurrenz kann sie so leichter angreifen. Ist das unter dem Strich gut oder schlecht für den Wohlstand in der Euro-Zone? Zwei Ökonomen haben nachgerechnet, wie groß der Effekt für die Währungsunion ist. Ihre Arbeit wurde vor kurzem im Review of International Economics veröffentlicht.

Die Forscher haben Zehntausende Handelsströme statistisch ausgewertet. Demnach ist der Euro für einen Zuwachs der Exporte um 28 Prozent verantwortlich, berechnet für den Zeitraum von 1996 bis 2011. Allerdings profitiert nicht jede Branche gleichermaßen. Neue Firmen mit neuen Produkten profitieren demnach kaum. Manche Newcomer-Branchen sind sogar so unter Druck, dass der Absatz über die Grenze schrumpft. Reibach machen vor allem etablierte Konzerne. Sie können ihren Exportumsatz deutlich steigern.

Beim Blick auf die Länderdaten zeigt sich, dass die Krisenstaaten deutlich an Wohlstand verloren haben. Der Durchschnittsbewohner auf Zypern hat von 2004 bis 2014 rund 12 Prozent an Lebensstandard verloren, gemessen an der Wirtschaftsleistung pro Einwohner. Auch in Griechenland ist die Lage nicht gut. Die Krise hat das Wirtschaftswachstum pro Kopf gerechnet fast komplett vernichtet, zeigt die Grafik, bei der sogar noch die schlechten Daten für 2013 fehlen. Und ein großes Land hat überdurchschnittlich gewonnen: Deutschland.

Der Euro als Reservewährung

Wer auf dem Weltmarkt etwas bewegen will, der passt mittlerweile auf, auch genügend Euro zum Handeln zur Verfügung zu haben. Der Dollar ist als globale Währung immer noch dominant, aber auch der Euro hat sich zu einer sogenannten Reservewährung entwickelt.

Der Anteil des Euro am weltweiten Währungsmarkt ist größer als der, den die Deutsche Mark innehatte. Sie kam auf etwa ein Fünftel, der Euro auf rund ein Viertel. Je größer der Anteil, desto größer die Nachfrage - und desto größer der ökonomische Vorteil.

Europäische Staaten und europäische Firmen profitieren von der Nachfrage nach dem Euro, wenn sie Kredite über Anleihen aufnehmen. Paul Welfens, Professor an der Universität in Wuppertal, beziffert den Profit durch die Funktion der Reservewährung auf rund 1000 Milliarden Euro pro Jahr, was zehn Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht — oder 3000 Euro pro Einwohner der Währungsunion, rechnet Welfens vor.

Damit dieser Effekt nachhaltig bleibt, ist es laut Welfens nötig, dass aus der Währungsunion auch eine Politikunion wird. Die Euro-Zone müsste mehr Kompetenzen bekommen und ein höheres Budget. Das sei zudem transparenter und somit demokratischer als Hilfen von den Zentralbanken der Euro-Länder durch die Hintertür. Diese hatten Staatsanleihen gekauft und Banken in Krisenstaaten mit Notfallkapital gestützt. Ein solcher Verbund könnte die nächste Krise besser abfedern, so Welfens. Das zeige ein Blick nach Nordamerika. Die bundesstaatlich organisierten Länder USA und Kanada leiden weniger unter wirtschaftlichen Schocks - weil dort starke Regionen schwachen helfen.

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