Deutschland:Kritik am Steuersystem

Laut einer Studie des Weltwirtschaftforums schließen sich Wachstum und mehr soziale Gerechtigkeit nicht aus.

Von Alexander Hagelüken

Trotz Jahren des Booms gibt es auch immer wieder Kritik am deutschen Wirtschaftsmodell. So loben internationale Studien häufig die Exportstärke und die Reduzierung der Arbeitslosigkeit, bei der Ungleichheit schneidet Deutschland dagegen oft schlechter ab als vergleichbare Staaten. Ein differenziertes Bild zeichnet eine neue Untersuchung des Weltwirtschaftsforums (WEF), das durch die jährlichen Gipfeltreffen in Davos bekannt geworden ist: Lob für den Arbeitsmarkt, aber Kritik am Steuer- und Abgabensystem.

Bemerkenswert ist, dass die Autoren versuchen, die traditionelle Debatte über Wachstum und Ungleichheit zu verlassen. Oft konzentriert sich die Diskussion ja darauf, ob stärker von Reich zu Arm umverteilt werden soll - oder ob das wirtschaftliches Wachstum behindert. Die Autoren des Weltwirtschaftsforums halten diese Debatte für zu eng gefasst und polemisch: "Es ist möglich und sogar notwendig, sich gleichzeitig für Wachstum und Gerechtigkeit einzusetzen".

So zählten etwa skandinavische Staaten wie Dänemark, Norwegen oder Finnland weltweit zu den wettbewerbsfähigsten Ländern und kümmerten sich gleichzeitig stark um soziale Gerechtigkeit. Der WEF-Bericht analysiert mehr als 100 Staaten weltweit nach 140 Kriterien, deren Verfolgung es ermöglichen soll, Wachstum sozial integrativer zu gestalten, ohne etwa die Anreize zum Investieren zu hemmen. So werden beispielsweise Firmengründungen oder Patente positiv gewertet.

International schneidet die Bundesrepublik beim Arbeitsmarkt überdurchschnittlich ab. Positiv wird die niedrige Arbeitslosigkeit und die breite Geltung von Tarifverträgen hervorgehoben, aber auch der Schutz der Beschäftigten und familienverträgliche Arbeitszeiten. Stark ist Deutschland generell in der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit (Platz fünf unter 30 vergleichbaren Industriestaaten).

Normalverdiener werden durch Abgaben übermäßig belastet

Bei der Ungleichheit dagegen landet das Land nur im Mittelfeld. Ein wichtiger Grund dafür könnte das deutsche Steuersystem sein: So werden mittlere Einkommen im internationalen Vergleich überproportional mit Steuern und Sozialabgaben belastet. Von dem, was die Firma an Arbeitskosten aufwenden muss, bleiben einem durchschnittlichen Beschäftigten weit weniger als in anderen Industriestaaten (Platz 29 von 30). Ein Grund für die hohe Belastung der Normalverdiener ist, dass höhere Einkommen weniger stark mit Steuern belastet werden als im internationalen Vergleich. Ein anderer Grund ist, dass Sozialabgaben auch bei niedrigen Einkommen ab dem ersten verdienten Euro voll fällig werden. Bei höheren Einkommen müssen sie dagegen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von derzeit gut 4000 Euro monatlich gezahlt werden.

Wenn die deutsche Politik dieses System verändern würde, könnte sie also mehr Gleichheit erzeugen. Wie eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, bekommt die Bundesregierung aber von den Wählern womöglich wenig Anreize, mehr gegen die Ungleichheit zu tun. Nach einer Schätzung des Wissenschaftlers Robert Vehrkamp lag die Beteiligung der sozialen Oberschicht an der Bundestagswahl 2013 um bis zu 40 Prozentpunkte über der Beteiligung sozial schwächerer Milieus. Demnach seien sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen beim Wahlergebnis um bis zu ein Drittel unterrepräsentiert. Ihr Anteil an Nichtwählern sei fast doppelt so hoch wie ihr Anteil an allen Wahlberechtigten. Ein bestimmtes konsumfreudiges Milieu der sozialen Unterschicht erreicht mit knapp 50 Prozent die geringste Wahlbeteiligung (Durchschnitt aller Bürger: 71 Prozent).

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