Diskussion um den Haushalt:Merkel und die Furcht vor dem R-Wort

Wo soll die Bundesregierung sparen? Viele Bereiche gelten als sakrosankt - zu unrecht. Darum braucht Deutschland nun den Rasenmäher.

Claus Hulverscheidt

Es gehört zu den Irrungen und Wirrungen der deutschen Geschichte, dass es den Hamburger Theologen Horst Kasner 1954 in die damals noch junge DDR verschlug und seine Tochter Angela deshalb in Templin und nicht etwa in Albstadt oder Kaufbeuren aufwuchs. Über sich selbst kann die heutige Bundeskanzlerin also nicht gesprochen haben, als sie fünf Jahrzehnte später beim CDU-Parteitag in Stuttgart das Bild von der schwäbischen Hausfrau prägte, die das Geld beisammenhält und genau weiß, dass "auf Dauer keiner über seine Verhältnisse leben" kann. Nun ist Sparsamkeit glücklicherweise keine Tugend, die nur in Schwaben zu Hause wäre, weshalb sich um die Privatschatulle der Staatsbürgerin Angela Merkel wohl niemand sorgen muss. Die Regierungschefin Merkel hingegen kam in ihrer jetzt bald fünfjährigen Amtszeit noch nie mit dem Geld aus, nicht einmal im Boomjahr 2008, als die Staatskassen angesichts sprudelnder Steuereinnahmen beinahe barsten.

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Deutschlands Haushaltsdefizit muss in den nächsten Jahren jeweils um zehn Milliarden Euro gestutzt werden. Am besten funktioniert das mit einem verpönten Instrument: dem Rasenmäher.

(Foto: afp)

Am Sonntag und Montag nun will Merkel bei einer Klausurtagung ihres Kabinetts den nächsten Versuch starten, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen - richtiger wäre wohl zu sagen: Sie muss diesen Versuch starten. Denn die neue Schuldenbremse im Grundgesetz zwingt sie dazu, das Budgetdefizit des Bundes bis zum Jahr 2016 um 60 Milliarden Euro zu verringern. Der Fehlbetrag muss also von 2011 an um zehn Milliarden Euro sinken - und zwar Jahr für Jahr aufs Neue. Eine solch brachiale Sanierungsaktion hat es in der Geschichte der Republik noch nicht gegeben.

Die Frage ist nur: Wo und wie soll gespart werden? Im Mittelpunkt aller Überlegungen muss der Abbau von Finanzhilfen und Steuerprivilegien stehen, denn beide Subventionsarten sind Zuwendungen, die Einzelgruppen zugute kommen, aber von der Gesamtheit der Steuerzahler aufgebracht werden müssen. Nun werden Spardebatten immer mit Schaum vor dem Mund geführt: Die Einsparungen, so schallt es aus den Verbandszentralen, dürften nicht die kleinen Leute, nicht die Wirtschaft, nicht die Arbeitslosen, nicht die Familien treffen. Das ist Unsinn, denn es geht - zunächst - nicht darum, wer getroffen wird, sondern ob eine Subvention auch ihr Ziel erreicht. Das Familienministerium etwa weigert sich seit Jahren, eine Untersuchung darüber vorzulegen, ob die 180 Milliarden Euro, die der Staat jährlich zur Förderung des Nachwuchses ausgibt, eigentlich ihren Zweck erfüllen. Und warum investieren Berlin und Hamburg pro Kopf am meisten in die Bildung, haben aber die schlechtesten Pisa-Ergebnisse? Ähnliche Fragen stellen sich in der Arbeitsmarkt-, der Energie-, der Verkehrs- und der Wirtschaftspolitik.

Wie alle zum Sparen gebracht werden

Um wirklich alle Subventionsempfänger zu zwingen, ihre Arbeit effizient zu organisieren und nutzlose Programme zu streichen, bedarf es eines Instruments, das bei vielen Experten verpönt ist: des Rasenmähers, also einer pauschalen Kürzung um beispielsweise zehn oder 20 Prozent. Kritiker geißeln die Methode gern als unpolitisch, es hindert aber ja niemand die Regierung daran, einen Teil des eingesparten Geldes anschließend wieder in einen bestimmten Bereich zu reinvestieren - dann aber in sinnvolle Projekte. Zudem müssen Subventionen grundsätzlich zeitlich befristet werden. Dann nämlich wäre der Subventionsempfänger beweispflichtig, wenn er die Zuwendung nach Ablauf des Verfallsdatums weiter erhalten will, und nicht derjenige, der sie abschaffen möchte.

Mit dem Rasenmäher käme man auch an solche Subventionen heran, die bisher als sakrosankt gelten, die aber das Ziel einer nachhaltigen Finanz-, Wirtschafts- und Klimapolitik geradezu konterkarieren. Die Steuerfreiheit von Flugbenzin ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Ökosteuerausnahmen für stromintensive Firmen und das Steuerprivileg für große, Sprit schluckende Dienstwagen. Allein in diesem Bereich wären laut Umweltbundesamt 40 Milliarden Euro zu holen. Das Gleiche gilt für die irrwitzigen Ausnahmeregelungen bei der Mehrwertsteuer. Darüber hinaus muss der Bund alle großen Kostenblöcke durchforsten, von der Bundeswehr über die Steuerverwaltung bis zum Berliner Stadtschloss.

Akzeptiert wird ein Sparprogramm aber nur, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass es bei der Operation gerecht zugeht. Deshalb müssen auch Spitzenverdiener und spitze verdienende Branchen einen Beitrag leisten - erst recht, wenn eine Branche die Sparzwänge mitverschuldet hat wie derzeit die Kreditwirtschaft. Ihnen kommt man mit Subventionskürzungen kaum bei - wohl aber mit Steuererhöhungen, deren pauschale Ablehnung tatsächlich unpolitisch ist. Allein aus Gründen der Symmetrie sollte daher der Spitzensteuersatz auf 48 Prozent angehoben und zudem eine wirksame Finanzmarktsteuer mit hohem Aufkommen eingeführt werden. Mit einem Teil des Geldes könnten übrigens durchaus an anderer Stelle Steuern gesenkt werden, um das Wirtschaftswachstum zu befördern.

Die jüngsten Krisen haben gezeigt, dass neben der Politik auch Teilen der Wirtschaft, insbesondere der Finanzwirtschaft, die schwäbischen Tugenden abhanden gekommen sind. Nicht nur Merkel muss also die Hausfrau in sich wieder entdecken. Das ganze Land muss es.

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