Das deutsche Valley:Gute Aussichten

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Erst mal drei Jahre nachdenken, bevor man eine Idee umsetzt? Muss nicht sein! Wirtschaft und Politik schaffen gerade digitale Zentren, die das ändern sollen.

Von Ulrich Schäfer

Der Blick hätte nicht klarer sein können: die Kirchtürme von München, die Windräder am Starnberger See, die Alpen - alles zum Greifen nah. Nicht nur deshalb traf man an diesem Morgen, hoch über München, viele überaus optimistische Menschen. Auch Ilse Aigner, die bayerische Wirtschaftsministerin, konnte sich eine kleine Anspielung nicht verkneifen. Bayern habe doch längst ein Valley, es liegt dort draußen, in Richtung der Berge: eine Ortschaft namens Valley, ausgesprochen Fa-lai. Der Name geht angeblich zurück auf die keltische Göttin Fallada.

Die Götter der Neuzeit heißen Google, Facebook und Apple, und sie sind im anderen Valley zu Hause, dem kalifornischen. Doch an diesem Morgen sind in den Münchner Highlight Towers 200 Menschen zusammengekommen, die fest daran glauben, dass auch in Deutschland wenn schon nicht ein Valley, so doch aber ganz viele Digitale Hubs entstehen können. Es geht um Knotenpunkte der Digitalisierung, so die deutsche Übersetzung für Hub. Die Gäste haben sich dazu in einem Hochhaus versammelt, in dem viele Jahre lang die Unternehmensberatung Roland Berger zu Hause war, und das sich gerade in eines der wichtigsten digitalen Zentren in Deutschland verwandelt.

Der amerikanische IT-Konzern IBM hat hier, im höchsten Haus Münchens, seine weltweite Zentrale für das Internet der Dinge geschaffen. Hier ist Watson zu Hause, jener Superrechner, der mit künstlicher Intelligenz all jene Daten auswerten soll, die im Internet der Dinge mit seinen vernetzten Maschinen, Autos, Häusern, Städten und mobilen Geräten anfallen.

Die Initiative "Digital Hub" haben das Bundeswirtschaftsministerium und der digitale Branchenverband Bitkom gemeinsam angeschoben. Thorsten Dirks, der Präsident von Bitkom, hatte das Projekt vor gut einem Jahr angeregt, damals auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung. Die Idee: In zunächst fünf Städten, in München, Hamburg, Dortmund, Frankfurt und Berlin, sollen digitale Knotenpunkte entstehen, an denen Konzerne und Gründer, IT-Firmen und Mittelständler ganz eng zusammenarbeiten. In Frankfurt wollen Banken und Fintechs gemeinsam die Finanzdienstleistungen von morgen entwickeln. In München wollen BMW, Daimler und Audi gemeinsam mit Start-ups und Mittelständlern kluge, vernetzte Lösungen für das autonome Fahren, den öffentlichen Personenverkehr oder das Parken in Städten entwerfen.

Wo wäre ein Digital Hub besser aufgehoben als hier, neben der Autobahn, die von Münchens Mittlerem Ring in Richtung Allianz-Arena führt? Entlang des Silicon Highway stehen die Deutschland-Zentralen von Amazon und Microsoft, General Electric, Fujitsu und Osram. Fährt man ein paar Kilometer weiter Richtung Flughafen, liegt zur Rechten der Campus der TU München in Garching, und zur Linken ein Gewerbepark, in sich dem auch andere Firmen aus dem Silicon Valley wie Cisco angesiedelt haben. Und mittendrin: viele Start-ups. Es gehe, erklärt Thorsten Dirks den Gästen in den Highlight Towers, nicht darum, das Silicon Valley zu kopieren, sondern es zu kapieren. Die deutschen Unternehmen müssten vor allem lernen, "eine Idee nicht erst drei Jahre zu bewerten, sondern sie schnell umzusetzen". Die Hub-Initiative, schreibt das Gründer-Magazin Berlin Valley, sei "entscheidend für den Digitalstandort Deutschland". Sie könnte dabei helfen, die übergroße Distanz zwischen Start-ups, Hochschulen und etablierten Unternehmen zu überwinden, die es viel zu lange gab. Und so steht Susanne Klatten, die reichste Frau der Republik, vor den 200 Gästen und sagt: "Lassen Sie uns neu denken und nicht nur das Vertraute verbessern!" Klatten gehört ein beträchtlicher Teil von BMW. Doch im 21. Stock des IBM-Turms spricht sie nicht als Industrielle, sondern als Gründerin und Aufsichtsratschefin von Unternehmer-TUM, dem Innovations- und Gründerzentrum der Technische Universität München. Unternehmer-TUM hat sich zum Ziel gesetzt, aus der Universität heraus junge Tech-Firmen zu gründen, 50 sind bereits entstanden - ähnlich wie dies in deutlich größerem Stil auch im Silicon Valley an der Stanford University geschieht. Die Uni mit ihrem Gründerzentrum gehört, ebenso wie IBM, SAP, Infineon oder die Autokonzerne, auch zu den Mitgliedern des Digital Hub in München. Sie arbeiten auch in der sogenannten Digital Product School zusammen, in der Entwickler, Programmierer und Experten für künstliche Intelligenz aus verschiedenen Unternehmen gemeinsam an neuen Produkten arbeiten.

Die Ziele des Digital Hub sind extrem ehrgeizig. Es gehe darum, sagt Klatten, "in München das weltweit führende Experimentier- und Testumfeld für urbane Mobilitätskonzepte zu schaffen". Klatten ist davon überzeugt: Selbst wenn Google, Apple, Uber und Co. auch daran arbeiten, die Mobilität mittels intelligenter Apps und neuartiger Autos zu modernisieren - in der bayerischen Metropole, mit ihren 15 Hochschulen, 100 000 Studenten und sieben Dax-Konzernen, haben sie die besseren Voraussetzungen: "Die Menschen werden bald nicht mehr ins Silicon Valley pilgern, sondern zu uns." Und auch Niklaus Waser, der Chef von IBM in den Highlight Towers, glaubt: "Man muss nicht mehr in die USA fahren, um in die Zukunft zu blicken. Lasst uns doch denen da drüben mal zeigen, wie clever wir sind."

Es ist eine kühne, sehr kühne Vision. Sie ist untypisch für Deutschland, wo eigentlich Selbstzweifel und Pessimismus zu Hause sind. Aber eines haben sie in München offenbar kapiert: Ohne eine kräftige Portion Optimismus wird man den Kampf mit dem Silicon Valley niemals gewinnen. Denn Optimismus gibt es in Kalifornien im Überfluss.

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