Deutscher Mittelstand: Was macht eigentlich ... Thomas Schnell?:"Wir sprechen nicht von Dreck"

Thomas Schnell redet lieber von Problemen und Aufgaben. Seine Firma, die Dr. Schnell Chemie GmbH aus München, stellt Reinigungs- und Desinfektionsmittel her. Ein Gespräch über kritische Stellen in den WCs von Zügen, Krankenhäusern und Großküchen.

Von Elisabeth Dostert

Deutscher Mittelstand: Was macht eigentlich ... Thomas Schnell?: Schnell produziert seine Reinigungs- und Desinfektionsmittel in München.

Schnell produziert seine Reinigungs- und Desinfektionsmittel in München.

(Foto: oh)

Was machen Sie eigentlich?

Wir bieten Lösungen, die Menschen gesund halten.

Klingt sehr pathetisch. Ich dachte Reinigungsmittel!

Ja. Aber Reinigung und Desinfektion erhalten doch die Gesundheit, weil ich mir dann zum Beispiel im Krankenhaus keinen MRSA-Keim einfange oder Salmonellen in der schlecht gereinigten Kantine. Da kann das Essen noch so gut geschmeckt haben.

Was ist der hartnäckigste Dreck?

Wir sprechen nicht von Dreck, sondern von Verschmutzungen und Problemen.

Dann eben Probleme. Welche sind das?

Mit unseren Reinigungsmitteln werden die Züge der Deutschen Bahn gereinigt. Da ist schon einiges drauf - von Graffiti bis zu Stäuben von den Bremsbelägen. Da müssen wir uns schon ins Zeug legen.

Ist so ein Graffito denn besonders hartnäckig?

Die Jungs lassen sich schon viel einfallen, damit das richtig tief reingeht. Da muss das Reinigungspersonal dann schon mit drei, vier unterschiedlichen Produkten ran.

Tut es Ihren Mitarbeitern manchmal Leid ums Kunstwerk?

Nein, da haben wir wenig Emotionen. Wir wollen, dass der Zug wieder ordentlich aussieht.

Die Firma

Dr. Schnell Chemie GmbH

  • Gründung : 17. Jahrhundert als Münchner Seifenfabrik
  • Umsatz: gute 50 Millionen Euro
  • Beschäftigte: 280
  • Thomas Schnell, 40, geschäftsführender Gesellschafter, 13. Generation

Fahren Sie viel Zug?

Nicht besonders viel. Bis Frankfurt nehme ich den Zug, für längere Strecken das Flugzeug.

Können Sie einen Zug noch unbefangen betreten oder fangen Sie gleich an zu scannen?

Natürlich fällt mein Blick gleich auf die kritischen Stellen. Aber nur die ersten zehn Minuten. Dann genieße ich die Zugfahrt, weil ich endlich mal Zeit habe meine Mails zu ordnen oder Zeitung zu lesen.

Was sind kritische Stellen?

Die Abflussrohre in den WCs der Bahn setzen sich extrem schnell mit den ganzen mineralischen Ablagerungen zu. Der Austausch der Rohre ist ziemlich teuer. Wir haben einen Zusatz entwickelt, der in minimalen Dosen dem Spülwasser zugesetzt wird, so dass die Rohre frei bleiben. Wenn ich feststelle, hier arbeitet schon unser Zusatz, freue ich mich.

Wer putzt bei Ihnen zuhause?

Neue Produkte teste ich zuhause. Ansonsten haben wir eine liebe Kraft, die dafür sorgt, dass es bei uns zuhause ordentlich ist.

Nerven Ihre Produkttests die Familie nicht?

Nein, meine Frau ist da sehr aufgeschlossen. Sie wünscht sich manchmal, dass ich mich auch zuhause stärker der Reinigung widme und nicht nur beruflich. Darf ich eine Anekdote erzählen?

Ja, nur zu!

Wir haben unsere Kinder alle in der gleichen Klinik in München bekommen, die seit Jahren mit unseren Produkten arbeitet. Das war für mich immer ein Highlight, wenn ich in die Klinik kam und in den Reinigungswagen im Flur unsere Produkte sah. Wenn ich dann das Zimmer betrat, in dem meine Frau mit dem Neugeborenen lag, hat sie mich schon mal gefragt: Grinst du jetzt so, weil Du gerade unsere Produkte gesehen hast oder freust du dich über unser Kind?

Ging bei den heimischen Produkttests schon einmal etwas schief?

Soll ich das wirklich erzählen?

Ja.

Parkett ist wirklich ein sehr sensibles Thema. Einmal musste nach einem Produkttest der Bodenverleger nochmal kommen. Aber besser, es passiert bei uns zuhause als beim Kunden.

Haben Sie für den Fall der Fälle immer Desinfektionstücher dabei?

Nein. Früher, als ich mit meiner Frau in Südamerika mit dem Rucksack unterwegs war, hatte ich immer welche dabei. Sie hat mich dann ausgelacht.

"Reinigung ist nie ein sexy Thema"

In der Geburtsklinik Ihrer Kinder mag alles ordentlich sein, aber im Allgemeinen müssen Krankenhäuser doch für Sie der Horror sein?

Nicht der Horror, sondern eine Aufgabe. Die Diskrepanz zwischen den hygienischen Anforderungen in Kliniken und dem, was die Auftraggeber bereit sind, für Reinigung und Desinfektion zu zahlen, das ist manchmal der Horror. Da soll die Reinigungskraft 300 Quadratmeter Sanitärfläche in der Stunde säubern, aber das schafft kein Mensch. Wie soll ich denn die Aufgabe erfüllen, wenn ich schon bei der Auftragsvergabe Kriterien ansetze, die kein Mensch erfüllen kann?

Welche Fläche wäre denn realistisch?

50 bis 100 Quadratmeter, wenn ich es ordentlich haben will.

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene fangen sich jährlich etwa eine Million Patienten im Krankenhaus einen Keim ein, rund 40 000 sterben daran.

Solche Zahlen finde ich auch erschreckend.

Ist das menschliches oder chemisches Versagen?

100 Prozent menschliches Versagen. In vielen Krankenhäusern wird das Thema Hygiene nicht ernst genommen. Es gibt immer noch Ärzte, die sich nicht ordnungsgemäß die Hände desinfizieren. Bakterien der Gattung Staphylokokkus aureus, die gehören zu den gefährlichsten, auf Türklinken, Tischplatten oder Gläsern lassen sich mit einem Standard-Desinfektionsmittel beseitigen. Nur wenn der MRSA mal im Körper ist, werde ich ihn nicht mehr los. Wir haben auch mit HIV kein Problem, das Virus lässt sich von Flächen leicht entfernen. Man muss verhindern, dass der Keim an den Körper kommt. Da würde eine ordentliche Reinigung und Desinfektion schon sehr helfen.

Wenn Sie ein Krankenhaus als Kunden gewinnen wollen, schauen sich dann Ihre Mitarbeiter die Abläufe vor Ort an, um zu sehen, wo es hakt?

Es genügt jedenfalls nicht mehr, nur Reinigungsmittel zu bieten. Ein Krankenhaus ist schon sehr speziell, weil das seinen Hygienearzt hat. Da ist unser Spielraum schon begrenzt. Ein wichtiger Kundenkreis sind Großküchen, die sind offener für Ratschläge. Da schauen wir uns alles genau an. Ist die Küche baulich im richtigen Zustand? Sind Fliegengitter vor dem Fenster? Welche Gerichte werden gekocht? Sind die Dosiergeräte richtig eingestellt? Dann entwickeln wir ein Konzept, schulen das Personal und kontrollieren - im Idealfall - die Einhaltung des Konzepts per App. Der Mitarbeiter muss dann auf seinem Tablet vermerken, wann er welche Aufgabe erledigt hat.

Wieso braucht der Sie? Der Küchenchef sollte doch von sich aus daran interessiert sein, dass sein Kühlschrank die richtige Temperatur hat und die Küche ordentlich gereinigt wird - ohne elektronische Kontrolle.

Reinigung ist nie ein sexy Thema. Früher wurden eben Zettel mit der Hand ausgefüllt, heute sind die Aufgaben anspruchsvoller. Eine solche App mindert den Aufwand.

Aus welcher Branche kommen Ihre anspruchsvollsten Kunden?

Aus dem Gesundheitswesen. Da muss man schon wissen, was man tut.

Wie groß ist Ihre Angst, dass Sie eines Tages ein Kunde oder ein Patient verklagt, weil er sich einen Keim eingefangen hat und das der mangelnden Wirkung Ihrer Reinigungsmittel anlastet?

Ich habe deswegen keine schlaflosen Nächte, aber das Thema beschäftigt uns.

So sehr, dass Sie lieber nicht in die USA gehen, wo Kunden noch klagefreudiger sind?

Die USA sind immer ein großer Schritt für einen deutschen Mittelständler. Die Klagefreudigkeit erschwert die Sache vielleicht noch. Aus heutiger Sicht planen wir kein Engagement in den USA. Europa und der deutsche Markt geben noch genug her.

Wie groß ist Ihr Marktanteil in Deutschland?

Etwa zehn Prozent, wie sehen uns als Nummer zwei. Unser größter Konkurrent Ecolab bringt es nach unseren Schätzungen auf 25 Prozent. Daneben gibt es sehr viele kleine. Unter den Mittelständlern sind wir der einzige Komplettanbieter, der alles abdeckt, von der Reinigung über die Desinfektion bis hin zur Hautpflege.

Wie hoch ist Ihr Auslandsanteil?

Etwa zehn Prozent.

Jeder Berater, Sie waren ja auch mal einer, würde die dringende Expansion ins Ausland empfehlen!

Das tun wir ja auch, aber vorsichtig. Aber Reinigungsmittel gibt es zum Glück schon überall. Es reicht also nicht, mit einer Flasche Reinigungsmittel daherzukommen. Da können wir nur mit dem Service punkten und dazu braucht es Partner vor Ort. Da wir alles aus eigener Kraft finanzieren, ist der Aufbau einer Servicestruktur recht mühsam. Der deutsche Markt ist noch lange nicht ausgeschöpft und da hängen die Früchte niedriger.

"Die Deutschen müssen besonders viel dokumentieren"

Sind die Deutschen besonders reinlich?

Sie müssen jedenfalls viel dokumentieren. Wenn wir das im Ausland erzählen, schauen die uns meist mit großen Augen an und sagen: Zum Glück müssen wir das hier nicht machen.

Wie groß ist Ihr Sortiment?

Etwa 400 Produkte, wir verkleinern es gerade ein wenig.

Wie oft gelingt Ihnen eine echte Innovation?

Vor gut drei Jahren haben wir mit OnTop Hospital ein spezielles Produkt zur Versiegelung von Fußböden auf den Markt gebracht, das resistent ist gegenüber Händedesinfektionsmitteln. Im selben Jahr haben wir unsere Sensitive Linie eingeführt - die ersten professionellen Reinigungsprodukte, die vom Deutschen Allergie- und Asthmabund e.V. (DAAB) für den Einsatz in Kliniken und Kinderbetreuungsstätten empfohlen werden.

Das ist schon ziemlich lange her!

BMW bringt auch nicht alle zwei Jahre eine Innovation in der Qualität eines i3 auf den Markt.

Was kostet Sie die Zulassung eines neuen Produktes?

Das ist ein wunder Punkt. Die Europäische Union hat da gerade wunderbare Richtlinien zum Thema Biozide, also keimabtötender Stoffe, herausgegeben, die uns ziemlich belasten.

Worin genau besteht die Last?

Wir laufen gerade Gefahr, dass wir Ethanol, das wir jeden Tag einsetzen, weil die klassische Händedesinfektion auf alkoholischer Basis erfolgt, als krebserregend kennzeichnen müssen. Dann muss ich auch jedes Bier und jeden Wein als krebserregend kennzeichnen.

Wie läuft denn die Zulassung ab?

Jeder einzelne Rohstoff muss zunächst eine Zugangsbescheinigung haben. Dieser Letter of access bestätigt, dass der Rohstoff grundsätzlich geeignet ist, Lebewesen abzutöten. Für den Alkohollieferanten lohnt sich das nicht, weil die Hersteller von Desinfektionsmitteln nur kleine Mengen abnehmen, also müssen wir als Produktmischer den Nachweis erbringen. Ein Letter kostet etwa 200 000 Euro, bei drei Alkoholen sind das dann schon 600 000 Euro. Deshalb haben wir Konsortien für die Letter of Access gebildet, im Konsortium für Alkohole sind wir mittlerweile 30 Firmen. Dadurch sinken die Kosten für jeden einzelnen auf 20 000 Euro.

Wie geht es dann weiter?

Wenn die Letters of Access vorliegen, beginnt der Zulassungsprozess für das gesamte Produkt, da sind die Konsortien sehr viel kleiner. Da müssen wir dann nachweisen, dass das Produkt auch in der Mischung noch keimtötend wirkt. Wir gehen davon aus, dass uns die Zulassung 400 000 bis 500 000 Euro pro Produkt kostet. Wir müssen jedes Produkt neu zulassen, auch die, die schon 40 Jahre auf dem Markt sind.

Da müssen Sie ja prächtig verdienen?

Wir können uns das vielleicht noch leisten, weil wir die Zulassung über die Umsätze mit Reinigungsmitteln quersubventionieren können und das Angebot von Desinfektionsmitteln auf eine Handvoll reduziert haben; Firmen, die nur Desinfektionsmittel herstellen und von denen es einige gute in Deutschland gibt, auf Dauer vielleicht nicht. Die stehen zum Verkauf, wenn die Biozid-Richtlinie voll in Kraft ist.

Stellen Sie die Produktion von Desinfektionsmitteln doch ein!

Dann wären wir kein Vollsortimenter mehr und würden anderen das Feld überlassen.

Sehen Sie es doch mal positiv. Die EU erledigt die Marktbereinigung für Sie, wenn viele kleine Konkurrenten schließen müssen!

Dem Gedanken kann ich nichts abgewinnen. Alle marktverändernden Eingriffe durch die Politik gehören verboten. Die gehen immer zu Lasten des Mittelstands. Profiteure sind Großkonzerne, die sich mit einem niedrigeren Steuersatz in Luxemburg oder der Schweiz aus dem Staub machen. Da muss sich der Staat schon fragen, wie er die Infrastruktur im eigenen Land aufrechterhalten will, wenn er die Konzerne begünstigt, die das Geld nur in die eigenen Kassen schaufeln.

Sie könnten auch eine Tochter in Luxemburg gründen!

Ich finde, dass Gewinne dort versteuert werden sollten, wo sie anfallen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: