Deutscher Mittelstand: Was macht eigentlich ... Markus Witte?:"Ein Deutscher lernt anders Französisch als ein Italiener."

Die App Babbel soll das Sprachenlernen neu erfinden - für Leute ohne viel Zeit und Geld. Ein Gespräch mit Markus Witte, dem Mitgründer des Start-ups, übers Durchmogeln in der Schule und seine Auszeit auf einer Lodge.

Von Elisabeth Dostert

BabbelLesson Nine

Produktentwickler von Lesson Nine bei der Arbeit.

Was machen Sie eigentlich?

Wir erfinden das Sprachenlernen neu. Klingt groß...

Ja...

Ist aber so. Wir haben mit Babbel eine App gebaut, die es Menschen erleichtert, Sprachen zu lernen. Auch denen, die keine besonders hohe Motivation haben.

Also für die meisten, irgendwie?

Vermutlich. Und die nicht so viel Zeit und Geld dafür zur Verfügung haben.

Das behaupten fast alle Anbieter von Sprachkursen!

Wir sind anders. Traditionelle Anbieter setzen zwar auf eine effiziente Methodik. Die haben wir auch. Aber wir haben ziemlich schnell festgestellt, dass die beste Methode allein nichts nützt. Bisher standen solche Kurse oft schnell im Regal. Da helfen sie niemandem.

Die Firma

Babbel - Lesson Nine GmbH

  • Gegründet 2007 durch Toine Diepstraten, Lorenz Heine, Thomas Holl, Markus Witte;
  • Sitz: Berlin
  • Umsatz: k.A.
  • Mitarbeiter: 300
  • Markus Witte, Vorsitzender der Geschäftsführung, 45

Sprechen Sie aus persönlicher Erfahrung?

Ja. Wenn ich in ein deutsches Wohnzimmer komme, dann sehe ich doch, was jeder da stehen hat: CD-Roms, Bücher und so weiter. Mit Babbel entwickeln wir ein neuartiges Produkt. Das heißt nicht, dass da eine große Erfindung dahinter steckt. Wir nutzen aktuelle Methodik in Verbindung mit neuer Technologie. Wir bieten derzeit 14 Lernsprachen für sieben Referenzsprachen an.

Klingt ein wenig kompliziert!

Die Lernsprachen sind die Sprachen, die man mit Babbel lernen kann. Die Referenzsprache ist die Muttersprache des Lernenden, in dieser Sprache finden die Erklärungen statt. Ein Deutscher lernt anders Französisch als ein Italiener.

Wie denn?

Französisch und Italienisch sind romanische Sprachen, da gibt es viele Gemeinsamkeiten und Grundlagen, die ich nicht mehr erlernen muss. Ein Engländer dagegen muss das ganze Thema Gender - der, die, das - von Grund auf erlernen. Informelle Anreden sind im Englischen gar kein Thema, weil sich sowieso alle duzen, im Deutschen und Französischen ist das ein großes Thema. Darum wird jeder Sprachkurs auch spezifisch erstellt.

Wie viel Abonnenten haben Sie denn?

Das ist eine der Zahlen, die wir momentan nicht rausgeben können.

Sie meinen, nicht rausgeben wollen!

Wir sind ein junges Unternehmen in einem sich schnell entwickelten Markt, da muss man mit Zahlen vorsichtig sein.

Weil die Konkurrenten gucken?

Ja, die mögliche Konkurrenz, der Markt bildet sich ja erst.

Aber es gibt doch Konkurrenten wie Rosetta Stone, zum Beispiel!

Viele Menschen denken, dass das Sprachenlernen ein alter Markt ist. Dem ist nicht so. Zumindest der Online-Markt ist jung und da wollen wir die Standards setzen.

Aber die Idee, Sprachen online anzubieten, stammt nicht von Babbel!

Jein. Wir kommen alle aus dem Musikgeschäft. Ich war sechs Jahre lang Online-Chef in einer Firma für Musik-Software. Wir hatten uns eigentlich zusammengetan, um eine Software zu entwickeln, über die Bands online zusammenarbeiten können. Davon sind wir immer weiter weg gedriftet. Wir haben dann gedacht, eine Software, um online Instrumente zu lernen, sei viel spannender. Und dann haben wir mehr oder weniger zufällig entdeckt, dass es praktisch keine Software gibt, um online Sprachen zu lernen. Das hat uns selbst überrascht, dass es so was nicht gibt. Das Einzige, was wir gefunden haben, waren CD-Rom basierte Kurse. Die fanden wir unbefriedigend.

Weshalb?

Weil der Hersteller kann nicht verfolgen, welche Schwierigkeiten der Nutzer beim Lernen hat. Online kann ich das live verfolgen. Wir analysieren ständig das Verhalten unserer Nutzer. Welche Buttons finden sie nicht? Welche Tools nutzen sie nicht? Wo werden die Lektionen abgebrochen? Wo werden besonders viele Fehler gemacht? Das hilft uns, die Software ständig weiterzuentwickeln. Wir sind eine lernende Firma.

Eher unangenehm die Vorstellung, dass Babbel jeden Vokabelfehler registriert. Wissen Ihre Nutzer, wie viele Daten Sie sammeln?

Wir sammeln keine Nutzerdaten, sondern betrachten lediglich die Nutzung unserer App, also das Lernverhalten. Dabei schauen wir auch nicht auf den Einzelnen, sondern betrachten lediglich anonymisierte Cluster.

Wer sind Ihre Gesellschafter?

Die vier Gründer und vier Investoren, zwei aus der ersten und zwei aus der zweiten Finanzierungsrunde. Die Gründer halten immer noch die Mehrheit.

Wer sind die Investoren?

Im Sommer 2008 sind die Beteiligungsgesellschaft der Landesbank Berlin eingestiegen, IBB Beteiligungs Gesellschaft, und Kizoo. Im März 2013 bei der zweiten Runde waren Reed Elsevier Ventures und Nokia Growth Partners dabei. Insgesamt haben wir elf Millionen Dollar eingesammelt. Eine Million Dollar haben wir als Kredit aufgenommen.

"Wir wollen eine große stabile Firma bauen."

War es schwierig Geldgeber zu finden?

Nicht übermäßig.

Gab es auch schon Firmen, die Sie übernehmen wollten?

Ja, aber das ist kein Thema für uns. Wir wollen eine große stabile Firma bauen. Babbel ist keine schnelle Nummer.

Definieren Sie doch bitte einmal, was "eine große stabile Firma" ist, so etwas wie Siemens?

Eher in der Größe von Netflix oder Spotify.

Und dann wird Lesson Nine verkauft?

Darüber denken wir nicht nach.

Die beteiligungshungrigen Samwer-Brüder haben nie bei Ihnen vorgesprochen?

Nein. Wir sind kein Thema für die, da geht es nicht um echte Innovationen, sondern um Skalierung. Die wollen überall möglichst schnell Marktführer werden. Wir sind nicht auf schiere Größe aus.

Sie wollen nicht die Marktführung?

Wenn wir die erreichen ist das schön, aber wenn wir die nicht erreichen, ist das nicht das Ende. Das ist kein Winner-takes-it-all-Markt.

Wie viele Fremdsprachen sprechen Sie?

Eineinhalb. Englisch, das ist unsere Firmensprache, und Französisch, französische Pressemitteilungen kann ich redigieren.

Waren Sie ein guter Schüler?

Ich habe immer in allen Fächern relativ gute Noten gehabt, ohne viel zu tun.

Sie waren ein guter Schüler ohne zu lernen?

Ich habe nicht viel Zeit investiert und nicht wirklich etwas gelernt - in doppeltem Sinne. Ich habe mich ganz gut durchgemogelt. Die Schule war überhaupt nicht mein Ding. Lernen habe ich erst als Musiker gelernt. Ich habe sehr lange sehr ambitioniert Schlagzeug gespielt. Das habe ich aufgegeben. Nach dem Studium der Kulturwissenschaften wollte ich eigentlich eine akademische Karriere einschlagen. Meine Erfahrung als Dozent in New York und Berlin hat mich sehr geprägt. Um wirklich gut zu lehren, muss man selbst Lerner sein. Wenn man sich selbst nicht mehr für das interessiert, was man lehrt, ist man ein schlechter Lehrer. Dann hört einem auch keiner mehr richtig zu. Leider interessieren sich viele Lehrer nicht mehr für den Stoff, den sie unterrichten. Solche Lehrer hatte ich. Unterrichten an der Uni war eine großartige Sache, vor allem Leute zu unterrichten, die lernen wollen. Auch Babbel sehe ich als Lernfirma. Wir lernen ständig dazu.

Wieso sind Sie dann nicht an der Uni geblieben. Zu wenig Geld?

Als Gründer verdient man auch eine lange Zeit wenig. Wir sind immer noch ein Wachstumsunternehmen.

Trotzdem haben Sie sich einfach eine Auszeit von zwei Monaten gegönnt.

Nicht einfach so. Ich habe das sorgfältig vorbereitet.

Haben Sie die Firma in dem Zustand vorgefunden, in dem Sie sie verlassen hatten?

Zum Glück nicht. Wir wachsen jedes Jahr um hundert Prozent. Da sind zwei Monate viel.

Was konnten Ihre Mitarbeiter in den zwei Monaten tun, was sie nicht getan hätten, so lange Sie da sind?

Wir haben ja für die zwei Monate einen CEO-Wechsel gemacht. Unser Mitgründer Thomas Holl hat die Firma geführt. Thomas fällt Entscheidungen ganz anders. Das eröffnet neue Möglichkeiten der Veränderungen und neue Perspektiven.

Wie führen Sie denn?

Ich versuche, Menschen zu befähigen. Wir sind nicht sehr hierarchisch organisiert. Es ist nicht so, dass ich immer schon alles weiß. Wir lernen auch als Firma.

Was haben Sie in den zwei Monaten gemacht?

Ich habe mit meiner Freundin eine Safari-Lodge in Uganda geführt.

Wie kamen Sie zu dem Job?

Riesenzufall. Wir waren 2013 im Urlaub dort. Die Lodge war schlecht geführt.

Und wartete auf einen dieser besserwissenden rumreisenden Deutschen!

Genau (lacht). Der Eigentümer, ein Südafrikaner, war schon nicht mehr vor Ort, als wir dort waren. Wie haben ihn dann angerufen und ihm angeboten, zwei Monate gegen Kost und Logis die Lodge zu führen. Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, mal eine Zeitlang etwas anderes zu machen.

Wegen Erschöpfung?

Nein. Aber mit der Zeit wird man ein wenig eindimensional. Man hat einen Job, mit dem man abends ins Bett geht und morgens wieder aufsteht und schaut nicht mehr über den Tellerrand. Das ist aber total wichtig, um flexibel zu bleiben. Deshalb wollte ich die Perspektive wechseln.

Eine Lodge ist aber schon ein harter Schnitt!

Ja, herrlich. Genau diese fremde Erfahrung habe ich gesucht. Zwei Monate Strandurlaub wären nichts für mich gewesen.

Läuft die Lodge jetzt?

Einigermaßen, ja.

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