Deutscher Immobilienmarkt:Die Krisen der anderen

Je unsicherer die Lage in der Welt, desto gefragter sind Gebäude und Grundstücke hierzulande. Die Preise steigen, die Renditen sinken. Wie lange kann das noch gut gehen?

Von Andreas Remien

Finanzkrise, Schuldenkrise, Flüchtlingskrise, Brexit? Die deutsche Immobilienwelt ficht das nicht an. Ganz im Gegenteil. Die Branche läuft heiß wie ein Windrad im Sturm: Je ungemütlicher das Wetter, desto größer die Ausbeute. Etwa 55 Milliarden Euro haben Investoren im vergangenen Jahr ausgegeben, um Bürotürme, Shopping-Center, Hotels oder andere Gewerbeimmobilien in Deutschland zu kaufen. Nur im Ausnahmejahr 2007 war das Volumen ähnlich hoch.

Auch der Brexit fügt sich auf den ersten Blick in den bekannten Krisenmechanismus ein. Wieder ist die weltpolitische und ökonomische Lage ein wenig fragiler geworden, und wieder geraten die deutschen Immobilienmärkte mit ihrem Stabilitätsversprechen noch stärker in den Fokus der Investoren. "Kurz- und mittelfristig werden die deutschen Standorte vom Brexit profitieren", sagt Christian Schulz-Wulkow, Geschäftsführer von Ernst & Young Real Estate. Laut einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) erwarten etwa 90 Prozent der befragten Investoren, dass die Nachfrage nach Immobilien in den deutschen Metropolen noch weiter steigen wird. Allerdings: Der Brexit hat auch Nebenwirkungen. Langfristig würden dies auch die Immobilienmärkte spüren, sagt Schulz-Wulkow. "Die deutschen Märkte profitieren nur von einer Krise, solange die Wirtschaft nicht darunter leidet." Zwar weiß derzeit niemand, wie der Brexit konkret aussehen wird. Auf die deutsche Wirtschaft werde sich der Abschied Großbritanniens aus der EU aber negativ auswirken, sagt Schulz-Wulkow. Für Immobilieninvestoren bedeutet eine schwächelnde Konjunktur zum Beispiel, dass Unternehmen weniger Büroflächen benötigen, die Umsätze in Kaufhäusern sinken oder Logistikparks weniger ausgelastet sind.

Bisher aber hat das Votum für den Brexit die Branche kaum aus der Ruhe gebracht. "Die Crash-Propheten sind enttäuscht worden", sagt Schulz-Wulkow. Die Investoren stellen zwar ihre Strategien auf den Prüfstand. "Es gibt aber keine Panik", sagt Andreas Muschter, Vorstandssprecher der Commerz Real AG, die in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern wie Großbritannien investiert. "Es gibt auch keine Abkehr vom britischen Markt", betont Muschter, "die Lage hat sich stabilisiert". Im Einzelhandelsbereich könnten Standorte in Großbritannien sogar profitieren, denn wegen des niedrigen Pfundkurses können Touristen aus EU-Ländern günstig auf der Insel einkaufen. "Einkaufszentren, insbesondere in London, können vom Shopping-Tourismus profitieren", sagt Muschter. Was die ersten Reaktionen am Markt aber auch zeigen: Die Preisrally in London scheint erst mal vorbei zu sein.

Skyline Frankfurt am Main

Ob Büroturm, Shopping-Center, Hotel oder Logistikpark: Investoren zahlen Rekordpreise für Immobilien in deutschen Städten, zum Beispiel in Frankfurt.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Während in der britischen Hauptstadt der Höhepunkt des Marktzyklus erreicht sein könnte, ist das Vertrauen der Anleger in die deutschen Märkte ungebrochen. Sie setzen darauf, dass sich auch in Zukunft genügend Unternehmen in Bürotürme einmieten, Hotels viele Gäste anlocken, Logistikhallen vom wachsenden Versandhandel profitieren oder Shopping-Center für ihre Kunden attraktiv bleiben. Umfragen zum deutschen Markt sind seit einigen Jahren so überraschend wie ein Wahlergebnis in der Diktatur: 95 Prozent der befragten Investoren halten den deutschen Markt laut einer Umfrage von EY Real Estate für "attraktiv" oder "sehr attraktiv". Im Jahr zuvor waren es 96 Prozent. Verwunderlich sind die hohen Zustimmungsraten nicht, denn wer in den vergangenen Jahren gekauft hat, kann zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt zufrieden sein. "Wer eine Immobilie gekauft hat, konnte sich in der Regel über Wertgewinne freuen", sagt Schulz-Wulkow, "vergangene Investments funktionieren blendend".

Das Gedränge der Käufer ist groß. Viele suchen daher auch wieder abseits der Zentren

Zu den Investoren gehören große Versicherungen, Staatsfonds und Pensionskassen ebenso wie private Anleger, die sich zum Beispiel über Immobilienfonds an Gewerbeimmobilien beteiligen. "Es sind Kapitalsammelstellen der unterschiedlichsten Art", sagt Frank Pörschke, Deutschland-Chef des Immobiliendienstleisters JLL, "alle müssen Geld anlegen". Das Gedränge der Käufer ist groß, die Preise steigen, die Renditen sinken. Die Stabilität der Gewerbemärkte in München, Hamburg oder Berlin hat ihren Preis: Deutschland ist teuer. Hinzu kommt: Wer eine moderne Immobilie in sehr guter Lage hat, will eher nicht verkaufen. Wohin auch mit dem Geld?

Weil das Angebot klein und teuer ist, entwickeln Käufer immer häufiger Ausweichstrategien. "Investoren gehen wieder mehr in B-Lagen oder ins Ausland", sagt Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg. Auch Betreiberimmobilien - zum Beispiel Pflegeheime oder Hotels - werden mehr gekauft. "Diese Strategien bergen allerdings höhere Risiken", mahnt Just - vor allem, wenn sich der Investor nicht auf dem neuen Terrain auskennt.

Eine weitere Möglichkeit: Dann einsteigen, wenn das Gebäude noch längst nicht gebaut ist. "Bei den hohen Preisen im Immobilienmarkt sind Investitionen in Bauvorhaben eine kluge Alternative", sagt Muschter. Zuletzt kaufte das Unternehmen gleich mehrere Neubauprojekte. "Durch den frühzeitigen Einstieg sichern wir uns attraktive Konditionen", sagt Investor Muschter. Die Palette der geplanten Projekte ist bunt: Entstehen sollen Büros, Hotels, Gastronomie und Wohnungen. Auch das ist typisch für das geänderte Suchprofil der Käufer: Die Mischung an Nutzungen und Mietern soll möglichst breit sein. Bürotürme mit nur einem Unternehmen als Mieter waren lange beliebt, weil sie wenig Arbeit gemacht haben. Allerdings: Geht es dem Mieter schlecht, gerät sofort die gesamte Investition in Gefahr. "Gebäude nur mit einem Mieter sind nicht mehr gefragt", sagt Muschter.

"Investoren sind gut beraten, sich das Thema Risikomanagement auf die Agenda zu schreiben", mahnt Wissenschaftler Just. Das heißt auch: sich intensiv um die Immobilien zu kümmern. Dazu gehört zum Beispiel, potenzielle Mieter zu identifizieren, Gebäude zu renovieren oder ein Quartierskonzept zu entwickeln.

Die Risiken für die Märkte sind zwar derzeit schwer zu fassen. Eine deutliche Zinserhöhung in Europa zum Beispiel, die wieder andere Anlagen attraktiver machen würde, ist derzeit kaum in Sicht. Anders sieht es dagegen schon in den USA aus, "die das Zinstal bald verlassen und europäisches Kapital abziehen könnten", sagt Just. Sorge bereiten den Analysten auch ein möglicher Präsident Trump und steigende geopolitische Risiken. "Bei den Investoren gibt es durchaus Skepsis, weil sie wissen, dass Wirtschaft seit Menschengedenken zyklisch ist", sagt JLL-Chef Pörschke. Der jetzige Zyklus sei in einer "reifen Phase". Das heißt wohl: Es wird in absehbarer Zeit auch wieder runter gehen. Es weiß nur niemand, wann, und wie stark.

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