Deutsche Pharmaindustrie:Vom Traum, ganz vorne mitzuspielen

Durch große Fusionen haben deutsche Pharmafirmen ihre einstige Spitzenstellung verloren. Der Versuch einer feindlichen Übernahme von Schering durch Merck zeigt, dass die hiesigen Manager inzwischen die zweite Liga satt haben.

Kristina Läsker

Die Firma Merck hat ihren Traum am Montag nicht verborgen: Durch die Übernahme des Wettbewerbers Schering soll ein bedeutendes globales Pharma- und Chemieunternehmen entstehen. So lautet der erste Satz, mit dem Merck in der Öffentlichkeit die - notfalls auch feindliche - Offerte verteidigte.

Deutsche Pharmaindustrie: Die Größenverhältnisse innerhalb der Pharmabranche.

Die Größenverhältnisse innerhalb der Pharmabranche.

(Foto: Grafik: Süddeutsche Zeitung)

Das zeigt zweierlei: Die deutschen Arzneimittelhersteller spielen nicht mehr vorne mit in der Pharmabranche. Und: Das war einmal anders - und so sind deutsche Pharmachefs die zweite Liga inzwischen leid, sie sehnen sich nach neuer Größe.

Durch den Zusammenschluss entstünde ein deutscher Champion: Eine Merck-Schering würde 54.000 Mitarbeiter in mehr als 150 Ländern beschäftigen - und einen Umsatz von 11,2 Milliarden Euro erzielen. Damit würde der Konzern sogar Bayer und Boehringer Ingelheim übertrumpfen.

Nur einer in den Top 20

27,4 Milliarden Euro hat Bayer 2005 umgesetzt, davon 9,4 Milliarden im Geschäft Health Care. Boehringer erlöste 2004 etwa 8,2 Milliarden Euro und hat diverse innovative Mittel im Sortiment. Das Unternehmen spielt als einziger deutscher Konzern in den Top 20 weltweit mit.

Die Reihenfolge der umsatzstärksten Firmen wurde in den 90er Jahren durch Übernahmen und Zusammenschlüsse kräftig durcheinander gewirbelt. Das jüngste und in Deutschland wohl schmerzhafteste Beispiel ist das Schicksal des einstigen Vorzeigelieblings Hoechst.

Im Jahr 1999 ging die Firma vor den Toren Frankfurts freiwillig mit dem französischen Wettbewerber Rhone-Poulenc zusammen. Aber der zu Aventis fusionierte Konzern blieb nicht lange allein. 2004 schaffte ein französischer Wettbewerber mit Rückhalt aus Paris das scheinbar Unmögliche: Die kleinere Firma Sanofi schluckte Aventis - und es entstand der drittgrößte Pharmagigant.

Nur noch Konglomerate

Vor Sanofi rangieren nur noch Konglomerate. An der Weltspitze herrscht Pfizer, der Konzern hatte zuvor Pharmacia und Warner-Lambert gekauft. Auch die Nummer zwei, GlaxoSmithKline, besteht aus mühsam integrierten Einzelkämpfern.

Vom Traum, ganz vorne mitzuspielen

Die deutschen Konzerne - einst eilte ihnen der Ruf einer Apotheke der Welt voraus - blieben bei der Fusionswelle passiv - als Opfer oder Zuschauer.

Ob Hersteller innovativer Medikamente wie Hoechst oder Boehringer Mannheim (Käufer Roche) oder Produzenten nachgemachter Arzneimittel wie Hexal (Novartis) oder Betapharm (Dr. Reddy's): Sie alle gerieten in den Ausverkauf der deutschen Pharmabranche - und damit in ausländische Hände.

Oder sie stolperten über eigene Fehler, wie Bayer mit dem risikoreichen Cholesterinsenker Lipobay. Heute gehört keine deutsche Firma zu den ersten zehn der Welt, und die verbleibenden Unternehmen entpuppen sich als zu klein und zu wenig innovativ, um dem Druck der Branche standzuhalten.

Erfolgsfaktor Größe

Größe wird mehr und mehr zu einem wichtigen Erfolgsfaktor, und viele Analysten denken daher, dass der Konsolidierungsdruck in der Pharmabranche anhält.

In den kommenden Jahren laufen viele Patente auf umsatzstarke Originalarzneimittel aus. Damit wächst der Druck, neue Präparate auf den Markt zu bringen. Doch der Nachschub, die so genannte Medikamentenpipeline - ist bei vielen Firmen dünn. Die Folge: Es gibt mehr Kooperationen - etwa mit innovativen Biotechnologie-Unternehmen.

Nach wie vor schafft es nur eines von zehn Medikamenten auf den Markt. Eine Firma mit vielen Testkandidaten kann Risiken besser balancieren, was Merck wohl auch zu einem Angebot bewogen hat: Die neue Firma hätte gut 30 Produktkandidaten.

Forschungskosten

Auch steigen die Forschungskosten weltweit, ein neues Medikament kostet durchschnittlich eine Milliarde Euro. Auch das dürfte Merck im Hinterkopf gehabt haben.

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