Deutsche Konjunktur:China und noch mehr Gefahren

Deutsche Konjunktur: In Brasilien (l. oben) und China (r. unten) läuft die Wirtschaft schlechter, die Krisen im Nahen Osten (l. unten) destabilisieren die Welt.

In Brasilien (l. oben) und China (r. unten) läuft die Wirtschaft schlechter, die Krisen im Nahen Osten (l. unten) destabilisieren die Welt.

(Foto: AFP, AP, dpa, Getty)

Die deutsche Wirtschaft wächst - und zugleich, so warnt die Bundesbank, wachsen die Risiken: Die Schwellenländer schwächeln, die Krisen in der Welt sind ungelöst.

Von Alexander Hagelüken und Angelika Slavik, München/Hamburg

China strauchelt, Brasilien und Russland stecken schon in der Rezession: Seit Wochen müssen sich die Deutschen fragen, ob die Probleme der Schwellenländer den Aufschwung hierzulande zerstören. Jetzt meldet sich die Bundesbank und klingt erst mal positiv: Die deutsche Wirtschaft dürfte auch in der zweiten Jahreshälfte kräftig wachsen, sagt sie voraus. Doch wer ihren aktuellen Monatsbericht genauer durchkämmt, findet hinter dem Ja zum Aufschwung eine Menge Aber. So warnt sie davor, die "hauptsächlich von den Schwellenländern ausgehenden Risiken" zu übersehen. Ja! Aber.

"Wir leben momentan in einer sehr unsicheren Welt", analysiert Roland Döhrn, Konjunkturchef des Essener RWI-Instituts. "Es gibt an allen Ecken Konfliktherde, die wirtschaftliche Auswirkungen haben können." Döhrn zählt die Ukraine auf, den Nahen Osten und den IS-Terror. Und er fragt sich, welche Folgen die globalen Flüchtlingsströme haben werden. Addiert man dazu die ökonomischen Nöte vieler Schwellenländer, von deren einstigem Boom lange die ganze Welt profitierte, ergeben sich für die Konjunktur der Bundesrepublik eine ganze Menge Gefahren.

Die gute Nachricht: Diese Risiken hindern die Deutschen bisher nicht daran, ihr Geld auszugeben. So erfreut sich das Land eines Aufschwungs, der für die Exportnation untypisch ist. Denn das Wachstum kommt, anders als früher, vor allem aus dem Inland, aus dem Konsum. Befeuert von steigenden Löhnen und Renten, hoher Beschäftigung und billigem Öl. Die Bundesbank erwartet, dass sich die Nachfrage in der zweiten Jahreshälfte noch stärker zeigen wird, ergänzt um Investitionen von Unternehmen, die ihre Produktion erweitern. Döhrn hält wie die Bundesregierung dieses Jahr 1,8 Prozent Wachstum für möglich, nach 1,6 Prozent im Jahr 2014 und einem Plus von nur 0,4 Prozent im Jahr 2013.

So weit, so gut. Doch bald nach dem Ja beginnt das Aber. Denn bei aller Freude über den starken Konsum bleibt die Bundesrepublik eine Exportnation. Und damit extrem anfällig für das, was sich im Welthandel abspielt. Der Warenaustausch, seit Anbruch der Globalisierung auf Expansion getrimmt, geht zeitweise spürbar zurück. Im Winter betraf dieser Einbruch vor allem die asiatischen Schwellenländer, jetzt ist er überall zu sehen. In der Form, so die Bundesbank, ließ sich der Rückgang des Handelsvolumens weder nach dem Atomunglück in Fukushima noch nach der Rezession in der Euro-Zone 2012 beobachten, den beiden größeren Schocks der jüngeren Vergangenheit.

Bevor offizielle Statistiken einen Rückgang des Welthandels ausweisen, wird er oft anderswo sichtbar: bei den Packern und Dockarbeitern. Der Hamburger Hafen hoffte, dieses Jahr erstmals mehr als zehn Millionen Standardcontainer umzuschlagen. Stattdessen gingen im ersten Halbjahr sieben Prozent weniger Container durch die Hände der Hafenarbeiter. Das Geschäft mit China, dem wichtigsten Handelspartner, brach um zehn Prozent ein, mit Russland sogar um ein Drittel.

Zu diesem Frühindikator passt eine Abschätzung des niederländischen Centraal Planbureau. Vom Nobelpreisträger Jan Tinbergen gegründet, arbeitet die Forschungsagentur seit 1945 im Prognosegeschäft. Für April und Mai wartet das Planbureau mit einem Befund auf, der überraschend ist - und ebenso wie der Rückgang der Containerzahlen eine Abschwächung der Weltwirtschaft anzeigt: Demnach stagnierte in diesen Monaten die weltweite Industrieproduktion. Kein Wachstum, nirgends.

Wie groß die Risiken für die deutsche Export-Wirtschaft sind, lässt sich präzise benennen. So hält die Bundesbank die Gefahr einer stärkeren konjunkturellen Abkühlung in China für hoch. Fällt das chinesische Wachstum zwei Jahre hintereinander drei Prozent schwächer aus als vorausgesehen, verliert Deutschland je 0,3 Prozent Wachstum - also fast so viel, wie das Bruttoinlandsprodukt 2013 insgesamt zulegte. Interessant ist, dass die Bundesbank die Folgen des Börsencrashs in der Volksrepublik für gering einstuft. Mehr Sorgen macht ihr die hohe Verschuldung.

"Die Entwicklung in China ist das größte Risiko", meint auch RWI-Forscher Döhrn. Er erwartet zwar, dass das Land dieses Jahr die angepeilten sieben Prozent offiziell "irgendwie erreichen" werde; nur kann es sein, dass die amtlichen Zahlen nicht der Realität entsprechen: "Es wäre nicht ungewöhnlich, wenn die Regierung die Lage zu rosig darstellt." Unternehmen in der Bundesrepublik würde eine Abschwächung in China ganz besonders treffen. "Deutsche Kernsektoren wie die Autoindustrie verlassen sich auf den chinesischen Markt", warnt Döhrn.

Der Ärger um Griechenland wird da für die Bundesbank zur Fußnote

Das Ungemach droht nicht aus China allein. Die Wirtschaft Russlands, lange ein wichtiger Handelspartner, brach im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahr gleich um 4,5 Prozent ein. Angesichts der niedrigen Rohstoffpreise und der Sanktionen wegen des aggressiven Vorgehens gegen die Ukraine ist eine Besserung unwahrscheinlich. Brasiliens Wirtschaft dürfte dieses Jahr erneut schrumpfen, und auch für Japan erwartet die Bundesbank für das zweite Quartal einen Rückschlag.

Für die Deutschen, die immer noch stark von Exporten leben, sind das viele Gefahren auf einmal. Dennoch setzen sowohl die Bundesbank als auch RWI-Forscher Döhrn darauf, dass die Wirtschaft hierzulande im zweiten Halbjahr trotzdem beachtlich wachsen könnte. Denn es gibt nicht nur beim Konsum Hoffnung, sondern auch bei den Exporten, wenn man über die Schwellenländer hinausblickt. So sind die Aussichten in wichtigen Absatzmärkten wie USA und Großbritannien relativ günstig. Und: Andere Euro-Länder könnten sich weiter erholen und den Deutschen mehr Waren abkaufen.

Die Lage in Griechenland wird da für die Bundesbank zur Fußnote: "Die makroökonomischen Folgen der Krise in Griechenland dürften sich im Wesentlichen auf die dortige Volkswirtschaft beschränken."

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