Deutsche Firmen in Großbritannien:"Das wirft uns alle zurück"

Viele Unternehmen machen gute Geschäfte auf der Insel und haben dort viele Tausend Mitarbeiter. Wird das so bleiben? Wohl nicht, das Umdenken fängt schon an.

Von Caspar Busse

Es sollte ein Festtag werden. Joe Kaeser, der Siemens-Vorstandsvorsitzende, weihte feierlich die neue Konzernzentrale ein. Nach nur drei Jahren Bauzeit war im Herzen Münchens ein gläserner Palast für 1200 Mitarbeiter entstanden. Doch zum Feiern war an diesem Tag nur den wenigsten zumute. Die Manager, die trotzdem gekommen waren, schauten immer wieder nervös auf ihre Smartphones. Nicht nur Osram-Chef Olaf Berlien prüfte im Minutentakt die Börsenkurse. Nachdem sich die Briten für einen Brexit entschieden hatten, ging es an diesem Freitag an den Aktienmärkten rapide bergab. "Eine Katastrophe", stöhnte Gerhard Cromme, der Aufsichtsratsvorsitzende von Siemens: "Das wirft uns alle zurück."

Allein die dreißig im Dax notierten Unternehmen verloren an diesem Freitag rund 65 Milliarden Euro an Wert. Die meisten könnten vom Brexit durchaus empfindlich getroffen werden. Künftig könnte es in den Wirtschaftsbeziehungen mit Großbritannien neue Handelshemmnisse und möglicherweise auch Zölle geben. Die Stärke des Euro macht deutsche Produkte auf der Insel teurer und damit unattraktiver. Dazu kommt: Viele Firmen aus Deutschland haben viel Geld, etwa 120 Milliarden Euro, in Großbritannien investiert, im festen Glauben auf stabile Verhältnisse. Nun stehen die Fabriken plötzlich außerhalb des europäischen Binnenmarktes. Noch ist unklar, wie die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien künftig aussehen. Fest steht aber, dass sie sich grundlegend ändern werden. Damit könnten sich große Probleme ergeben, nicht nur mit den Zulieferungen aus der EU.

"Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten", sagte Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). "Der bilaterale Handel dürfte leiden. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten." Viele Branchen wären betroffen. "Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor", teilte Eric Schweitzer, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), mit. Mehr als 2500 deutsche Unternehmen haben derzeit Tochterfirmen und Niederlassungen in Großbritannien. Sie beschäftigen dort fast 400 000 Mitarbeiter, das ist immerhin mehr als ein Prozent der britischen Beschäftigten. Diese stünden jetzt vor unsicheren Zeiten, sagt BDI-Lobbyist Kerber. Deutschland exportierte 2015 Waren im Wert von 90 Milliarden Euro auf die Insel, so viel wie nie zuvor. Die Briten sind mit den USA, China und Frankreich der wichtigste Handelspartner Deutschlands.

Anfang Juni erst hatte der BDI zusammen mit der Wirtschaftsprüferfirma Deloitte in Großbritannien tätige deutsche Unternehmen befragt. Das Ergebnis: Nur wenige Firmen hatten sich bereits auf einen Brexit vorbereitet, und das, obwohl der Großteil negative Auswirkungen auf das eigene Geschäft erwartete. Gerechnet wird mit der Einführung von Zöllen für deutsche Exporteure, Direktinvestitionen würden künftig wohl nicht mehr in Großbritannien, sondern in Kontinentaleuropa getätigt, so die Studie. Betroffen sind viele deutschen Unternehmen. Eine Auswahl.

Deutsche Firmen in Großbritannien: Wie es jetzt wo weitergeht, kann ich Ihnen momentan auch nicht sagen. SZ-Zeichnung: Dirk Meissner

Wie es jetzt wo weitergeht, kann ich Ihnen momentan auch nicht sagen. SZ-Zeichnung: Dirk Meissner

Siemens

Der Münchner Konzern ist seit mehr als 170 Jahren in Großbritannien aktiv und beschäftigt dort heute 14 000 Mitarbeiter, davon 5000 in 13 Fabriken. Der Umsatz liegt bei fünf Milliarden Pfund. Unter anderem erstellt Siemens zahlreiche Windparks auf hoher See und liefert Züge. Im Nordosten, in der Hafenstadt Hull, baut der Konzern gerade eine Fabrik für Windräder mit geplant 1000 Mitarbeitern. Zum Brexit sagt Konzernchef Kaeser: "Die Folgen sind in letzter Konsequenz noch nicht abzuschätzen." Dafür sei es noch zu früh. In einem Brief an die britischen Mitarbeiter hatte Siemens vor dem Referendum aber gewarnt: "Ein Austritt könnte bei zukünftigen Investitionsentscheidungen eine Rolle spielen." Die Geschäftsaktivitäten würden aber nicht beendet. Eine hohe Wertschöpfung im Land kann auch von Vorteil sein, da dann Handelshemmnisse nicht so ins Gewicht fallen. Es sei eine Art natürlicher Schutz, hieß es.

BMW

Der Autobauer produziert auf der Insel vor allem Fahrzeuge der Marken Mini und Rolls-Royce. Allein im Mini-Werk in Oxford arbeiten 4500 Beschäftigte. Bei Rolls-Royce in Goodwood sind es 1200, im Komponentenwerk in Swindon 800, im Motorenwerk in Hams Hall 900. Insgesamt haben die Münchner mehr als zwei Milliarden Euro investiert. BMW hatte in den 90er-Jahren den britischen Autobauer Rover übernommen, sich dann angesichts hoher Verlust wieder von der Firma getrennt. Die Marke Mini hatte BMW behalten und mit großen Erfolg revitalisiert. Nun könnte es zu einem Problem werden, dass derzeit viele Teile aus Europa angeliefert werden.

Positiv könnte der Verfall des Pfunds wirken, weil die Produkte aus Großbritannien auf dem Weltmarkt billiger werden. Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) erwartet aber "einen schleichenden Exit der Automobilindustrie von der Insel". Wie für BMW ist Großbritannien auch für die anderen Hersteller ein wichtiger Absatzmarkt. "Das ist kein guter Tag für Europa", erklärte Daimler-Chef Dieter Zetsche. Auch Autozulieferer sind in Großbritannien, Bosch etwa hat dort mehr als 5000 Mitarbeiter.

Airbus

Der Luft- und Raumfahrtkonzern produziert die Flügel aller Airbus-Maschinen auf der Insel, diese werden dann auf den Kontinent gebracht und dort montiert. Auch für Airbus ist deshalb der Binnenmarkt von großer Bedeutung. Direkt und indirekt hängen nach Airbus-Angaben etwa 100 000 britische Jobs an der Flügelproduktion. Zudem gibt es erhebliche Aktivitäten im Satelliten-Bereich. "Natürlich werden wir unsere Investitionsvorhaben in Großbritannien überdenken, so wie jeder andere auch", teilte Airbus-Chef Tom Enders mit, der vor wenigen Jahren die britische Rüstungsfirma BAE Systems übernehmen wollte, aber damals am Widerstand der Politik scheiterte.

Ein Sieg, den niemand will: Viele Start-ups könnten von London nach Berlin gehen

Berlin könnte mittelfristig vom Ausstieg der Briten aus der EU profitieren. "Die deutsche Start-up-Hauptstadt Berlin ist der Gewinner des Brexit, London der Verlierer", sagt jedenfalls Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Startups. Er fügte allerdings an: "Es ist ein Sieg, den wir nicht wollen und nicht feiern werden. Wir sehen uns schon lange nicht mehr als deutsche oder britische Gründer. Wir sind europäische Gründer." In London und Berlin siedeln sich derzeit besonders viele junge Firmen an, das Umfeld gilt in beiden Städten als gut. Die Finanziers waren bisher vor allem in London, auch war die Stadt wegen ihrer internationalen Beziehungen attraktiv. Für internationale Gründer gab es keine Sprachbarriere. Berlin lockt dagegen mit relativ günstigen Bedingungen auf dem Immobilienmarkt, für Wohnungen und Büros. Künftig könnte Berlin weiter gewinnen. Wenn Mitarbeiter aus Europa und anderen Ländern in London Visa bräuchten, wäre das ein Problem. Zudem hätten Start-ups aus der britischen Hauptstadt möglicherweise nicht mehr uneingeschränkten Zugang zu den europäischen Märkten. Das wäre besonders für Fintechs, also Start-ups aus der Finanzbranche, kompliziert. "Die eigentliche Rechnung zahlen ab heute die britischen Start-ups", erklärte Start-up-Experte Nöll. Ein offener und starker Binnenmarkt sei die Voraussetzung für eine starke Gründer-Szene in Deutschland und Europa. Schon im vergangenen Jahr zog Berlin bei Start-ups mit London gleich. Caspar Busse

Deutsche Bahn

Der Staatskonzern beschäftigt 33 000 Mitarbeiter in Großbritannien, das sind etwa zehn Prozent aller Beschäftigten. Zur Bahn gehört der Nahverkehrsbetreiber Arriva, den die Bahn 2010 für fast drei Milliarden Euro kaufte und in dem sie die gesamten internationalen Aktivitäten im Regionalverkehr gebündelt hat. Außerdem werden Bus- und Zugverbindungen auf der Insel, vor allem in Wales, angeboten. Im nächsten Jahr soll die profitable Tochter mit einem Minderheitsanteil privatisiert werden. Denkbar war bisher ein Börsengang in London, wo Arriva schon mal gelistet war. Auch deswegen beurteilte Bahnchef Rüdiger Grube einen Brexit schon vor dem Votum kritisch: "Ein Ausstieg der Briten aus der EU hätte eindeutig negative wirtschaftliche Konsequenzen für unsere Tochtergesellschaften."

Eon und RWE

Die beiden deutschen Energiekonzerne sind in Großbritannien mit diversen Kraftwerken, Windrädern und Tausenden Mitarbeitern aktiv, sie haben auch Millionen Strom- und Gaskunden. RWE kämpft in dem Land bereits mit Verlusten, der Konzern ist dort unter anderem mit der Tochter N-Power vertreten und beschäftigt mehr als 9000 Mitarbeiter. "Sollte es zu Handelshürden kommen, würden uns diese wohl nur am Rande treffen", sagte Konzernchef Peter Terium. Auch Eon erwartet durch den Brexit kaum negative Folgen. Das Geschäft in Großbritannien sei ein regionales. Die Entwicklung des Pfundes sei zwar ein Risiko. "Anderseits haben wir Schulden in Pfund. Das wirkt ausgleichend." Eon hat Pfund-Anleihen im Wert von 4,7 Milliarden Euro ausgegeben, RWE sogar von 6,4 Milliarden Euro.

Aldi und Lidl

Die Discounter expandieren seit einigen Jahren mit großem Erfolg in Großbritannien und bringen damit die britischen Lebensmittelketten massiv unter Druck, mit niedrigeren Preisen und teilweise besserer Qualität. Aldi kommt inzwischen auf einen Marktanteil von knapp sieben Prozent, Lidl auf nahezu fünf Prozent, die Tendenz war bisher weiter steigend. Der Umsatz legte zu. Ob der Brexit den Expansionsdrang nun abbremst, ist offen.

Deutsche Post

Der Bonner Konzern hat in der Vergangenheit kräftig in dem Land zugekauft, 2005 übernahm er den Logistiker Exel mit 10 500 Beschäftigten für mehr als fünf Milliarden Euro. Ein Jahr später folgte der Brief- und Dokumenten-Dienstleister Williams Lea mit Sitz in London mit 6500 Mitarbeitern. Die Post betreibt zudem Verteilzentren, unter anderem am Flughafen Heathrow bei London. Die Post liefert unter anderem Medikamente für die Drogeriekette Boots und Autoteile für Volvo aus. "Wir werden die Lage angesichts der Brexit-Entscheidung noch einmal prüfen", sagte Post-Chef Frank Appel.

Sky Deutschland

Der deutsche Bezahlsender, auch einer der Hauptgeldgeber der Deutschen Fußball Liga (DFL), gehört mittlerweile ganz zum britischen Sky-Konzern. Das Geschäft in Deutschland ist aber unabhängig. Großaktionär Rupert Murdoch war massiv für den Brexit. Sky dagegen sieht den Ausstieg aus der EU eher skeptisch.

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