Deutsch-britische Brücke:Gerüstet für das Wagnis

Trafalgar Square's Fourth Plinth Exhibit

Der Künstler Hans Haacke hat die Skulptur "Gift Horse" geschaffen. Über eine LED-Schleife am Bein des Skeletts tickern die Aktienkurse der London Stock Exchange.

(Foto: Peter Macdiarmid/Getty)

Deutsche-Börse-Chef Kengeter überrascht: Er verkauft die US-Tochter ISE, um für den Bieterkampf um die London Stock Exchange gewappnet zu sein.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Eines kann man Carsten Kengeter wohl nicht vorwerfen: dass er entscheidungsschwach wäre. Gerade erst hat der Chef der Deutschen Börse die Finanzplätze London und Frankfurt aufgeschreckt, weil er die Deutsche Börse mit dem Londoner Rivalen fusionieren will, da kommt er auch schon mit dem nächsten Mega-Deal um die Ecke. Diesmal geht es um einen Verkauf: Wie die Börse in der Nacht zum Donnerstag meldete, schlägt sie ihre US-Tochter ISE, eine Börse für Aktienoptionen, für 1,1 Milliarden Dollar an den US-Konkurrenten Nasdaq los.

"Die Deutsche Börse verfolgt das Ziel, in allen von ihr betriebenen Geschäftsbereichen die Nummer eins oder zwei zu werden", sagte Kengeter. Die ISE hatte dieses Ziel verfehlt, also wird sie jetzt verkauft. Und weil die 2007 übernommene Tochter mangels Erfolg längst abgeschrieben war, kann die Börse durch den Verkauf trotzdem einen Gewinn im hohen dreistelligen Millionenbereich verbuchen.

Diesen Gewinn freilich kann Kengeter jetzt mehr denn je gebrauchen: Denn spätestens seit mit der US-Börse Intercontinental Exchange (ICE) ein weiterer Konkurrent mit einem Angebot für die London Stock Exchange (LSE) liebäugelt, zeichnet sich ein Bieterkampf ab. Auch die Chicago Mercantile Exchange soll interessiert sein ebenso wie die Börse Hongkong. Dazu muss man wissen, dass Börsenbetreiber wie LSE und Deutsche Börse in der Regel selbst an Börsen notiert sind. Sie gehören internationalen Investoren, die wie immer bei Übernahmen den Preis hochtreiben.

Für Kengeter ist die Fusion mit dem Londoner Rivalen daher ein ebenso hochgreifendes wie unsicheres Vorhaben, an dem seine Vorgänger in den vergangenen fünfzehn Jahren - aus unterschiedlichen Gründen - bereits zweimal gescheitert sind.

Den geplanten Zusammenschluss, die Börsen-Brücke London-Frankfurt, verkauft der frühere Investmentbanker daher seit Tagen und Wochen nicht nur als eine der wenigen Möglichkeiten, im eng begrenzten Börsengeschäft zu wachsen. Er macht daraus geradezu eine Frage der nationalen, oder besser, europäischen Sicherheit. Die Finanzinfrastruktur der europäischen Börsen dürfe nicht in amerikanische Hände gelangen, warnte Kengeter.

Schließlich muss Kengeter nicht nur die LSE-Aktionäre und den Finanzplatz London überzeugen. Die wohl größere Hürde stellt die deutsche Politik dar: Da ist nicht nur die Frage, welche Bedeutung ein Brexit - also ein Austritt der Briten aus der EU - für das streng regulierte Börsengeschäft hätte. Größter Angriffspunkt ist Kengeters Zugeständnis an die stolze Finanzgemeinde der City, dort die Holding der fusionierten Börse anzusiedeln, während in Eschborn bei Frankfurt der zweite Sitz bliebe.

Hier jedoch kommt die Politik ins Spiel: Weil der Betrieb einer Börse Teil der öffentlichen Infrastruktur ist, braucht die Deutsche Börse AG dafür eine Lizenz der hessischen Börsenaufsicht, angesiegelt im Ressort von Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) in Wiesbaden.

Laut hessischem Börsengesetz kann sich das Ministerium der Fusion sogar per Verwaltungsakt in den Weg stellen. Etwa wenn es fürchtet, dass die neue Börse den Betrieb "personell und finanziell" nicht richtig im Griff hat. Bei ihrer Begründung müssen sich die Beamten zwar streng an das Gesetz halten, andernfalls könnten die Unternehmen die Entscheidung leicht vor Gericht anfechten. Klar ist aber, dass sich die Hessen vor allem die Frage des Unternehmenssitzes genau anschauen werden.

Ohnehin fürchten nun viele in Frankfurt Sogwirkungen Richtung City. Sie verweisen darauf, dass die Börse deutlich größer ist als die LSE. Und sie verweisen darauf, dass es sich spätestens dann nicht mehr um eine Fusion unter Gleichen, sondern um eine Übernahme handelt, wenn die Deutschen beim Preis nachlegen müssen.

Für Finanzplatz-Doyen Friedrich von Metzler kommt ein Sitz in London nicht in Frage

Friedrich von Metzler etwa, Chef des 1674 gegründeten gleichnamigen Bankhauses, hat nichts dagegen, dass die Deutsche Börse mit der Londoner fusioniert. Ganz im Gegenteil. "Wir brauchen die Fusion, weil der Wettbewerb zwischen den Börsen der großen Finanzzentren London, New York und Asien weltweit stattfindet", sagte Metzler am Mittwochabend vor Journalisten in Frankfurt, "aber wir müssen zusehen, dass nicht alles nach London geht. "Die Zentrale muss in Frankfurt sein." Für Metzler, viele Jahre lang Aufsichtsrat der Börse, ist klar: "Wir sind die erfolgreichere Börse, wir sind größer und leistungsfähiger." Auch das Brexit-Referendum spreche gegen London und für Frankfurt, schließlich gebe es hier eine "deutlich höhere Standortsicherheit".

Für kommende Woche erwarten Insider nun das offizielle Fusionsangebot von Deutscher Börse und LSE. Und bis spätestens 29. März muss auch die ICE nachziehen. Doch selbst wenn sich die Aktionäre dann rasch entscheiden, müssten erst einmal die Finanzaufsicht in Bonn, dann die Wettbewerbshüter in Brüssel und zuletzt eben die Börsenaufsicht in Wiesbaden zustimmen. Das alles, so viel ist jetzt schon klar, wird bis nach dem Brexit-Referendum, also dem 23. Juni, dauern. Zumindest in Wiesbaden, so ist zu hören, ist man darüber alles andere als unglücklich.

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