Deutsche Börse:Wackeliges Sprungbrett

Seit einem Jahr gibt es Scale, die neue Handelsplattform für kleine Unternehmen, eine Art Nachnachfolger des Neuen Markts. Doch die Zahl der Börsengänge könnte größer sein. Und ein Investment ist für Privatanleger riskant.

Von Victor Gojdka

Was haben das Bohrunternehmen Daldrup und Söhne und der Fußball-Bundesligist Schalke 04 gemeinsam? Sie beide tummeln sich mit Aktien oder Anleihen im Börsensegment Scale, mit dem die Deutsche Börse seit einem Jahr kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern will. Inzwischen enthält das Segment 49 Aktien und 15 Anleihen.

Vor einem Jahr ging Scale an den Start,es sollte damals den Vorgänger namens Entry Standard ablösen. Der war seinerzeit wiederum auf den umstrittenen Neuen Markt gefolgt. Um die Jahrtausendwende wurden die Aktien vieler Tech-Firmen mit oft fragwürdigen Geschäftsmodellen auf dieser Plattform gehandelt, bis die Dotcom-Blase kurz nach der Jahrtausendwende platzte. Zum Start von Scale fragten sich Finanzexperten daher: Wird das Segment nun eine Wiederauflage des Neuen Marktes?

Von Anfang an wollte die Deutsche Börse jede Assoziation mit den alten Zeiten vermeiden. Neben Start-ups richte sich das Segment vor allem an Mittelständler, teilte die Börse mit. Anfang Juli, wenige Monate nach dem Start des neuen Börsensegments, waren die Erinnerungen an die alten Zeiten allerdings bereits zurück. Das Finanz-Start-up Naga hatte seine Papiere beim Börsengang für einen Preis von 2,60 Euro auf den Markt geworfen, innerhalb weniger Tage schossen die Preise auf mehr als 17 Euro, um dann genauso schnell auf etwa fünf Euro zu fallen. Inzwischen steht der Kurs der Aktie bei etwa 8,30 Euro.

Dabei hatte die Börse für das Segment eigens Zulassungsvoraussetzungen erlassen. So prüft die Börse unter anderem, ob interessierte Unternehmen mindestens zehn Millionen Euro Umsatz vorweisen können, im Jahresabschluss ein Plus unter dem Strich steht und mindestens 20 Mitarbeiter in der Gesellschaft arbeiten. Um gelistet zu werden, müssen die Unternehmen nicht alle der Kriterien zugleich erfüllen, trotzdem dürften viele Start-ups an den Hürden scheitern. "Scale ist eher für etablierte kleinere Mittelständler geeignet", sagt Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies der Goethe-Universität Frankfurt.

Viele Pleitekandidaten wären im neuen Segment Scale zugelassen worden

Manche Finanzexperten beruhigt das allerdings nicht, sie verbinden mit dem Wort Mittelstand, zumindest beim Thema Anleihen, nicht unbedingt Solides. Hans-Werner Grunow von der Kapitalmarktgesellschaft Capmarcon hat die größten Pleiten bei Mittelstandsanleihen untersucht. Viele Privatanleger hatten in diese Papiere investiert, am Ende reihte sich Krisenfall an Krisenfall. 12 der 17 größten deutschen Pleite-Anleihen wären nach den Kriterien der Deutschen Börse für Scale zugelassen worden, warnt Grunow.

Auch bei den Aktien im Scale-Segment raten Anlegerschützer zur Vorsicht. Der Index aller in Scale gelisteten Aktien legte seit dem Start des Segments zwar um rund 25 Prozent zu. "Die Kursentwicklung der Unternehmen in Scale klafft aber weit auseinander", sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Während der beste Titel seit dem Start um 126 Prozent zulegte, büßte der schlechteste ganze 46 Prozent ein. "Anleger sollten daher genau hinschauen, bevor sie zugreifen", rät Kurz. Anleger können dafür einen Blick in die Researchberichte der Analysehäuser Edison und Morningstar werfen, die die Börse in Auftrag gibt.

Viele Mittelständler scheuen aber von vorneherein die Börse wie der Teufel das Weihwasser. Sich von Aktionären das eigene Geschäft erklären zu lassen, widerstrebt vielen Unternehmern. "Bei Börsengängen ist Scale wie der gesamte deutsche Aktienmarkt im internationalen Vergleich hinter den Erwartungen zurückgeblieben", sagt Stefan Röhle vom Analysehaus Independent Research. Fünf Unternehmen konnte die Börse im ersten Jahr auf die Plattform holen. In diesem Jahr könnten es mehr werden, so erwartet die Börse in Scale "eine größere einstellige Zahl" an Börsengängen.

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