Deutsche Bank im Kirch-Prozess:Drehbuch für den Banken-Krimi

Deutsche Bank AG Headquarters And Branches As Profit Slumps 94%

Hier arbeiten nicht nur Banker, sondern offenbar auch kreative Drehbuchautoren.

(Foto: Bloomberg)

Ein geheimes Memorandum, verdächtige E-Mails und ein Probe-Prozess mit Storyline und Briefing: Wie die Deutsche Bank im Fall Kirch versucht haben soll, die Justiz hinters Licht zu führen, liest sich wie ein Skript für einen Kriminalfilm. Was den Staatsanwälten und Kriminalbeamten in dem Fall in die Hände gefallen ist, könnte die Bank in arge Bedrängnis bringen.

Von Klaus Ott

Am 16. Februar 2011 hatte Rolf Breuer, ehedem Chef der Deutschen Bank, einen ungewöhnlichen Termin. Der längst pensionierte Finanzstratege musste in einem "Mock Trial", wie es in Unterlagen der Bank heißt, Auskunft geben über Ereignisse, die fast ein Jahrzehnt zurück lagen. Mock Trial, das lässt sich mit Probe-Prozess übersetzen. Anwälte bereiten ihre Mandanten dabei auf ein richtiges Gerichtsverfahren vor. Einer der Juristen spielt den Richter und stellt harte Fragen.

Arrangiert hatte den Termin die Rechtsabteilung der Deutschen Bank. Die hatte drei Stunden vor dem simulierten Prozess noch eine Mail an die mit der Sache befassten Juristen herumgeschickt, damit nichts Wichtiges vergessen werde. Man wolle sich anhören, was Breuer so sage.

In England und den USA sind Mock Trials sehr beliebt, in Deutschland hingegen eher noch die Ausnahme. Aber für die Deutsche Bank stand damals eben viel auf dem Spiel. Neun Tage nach dem simulierten Prozess war Breuer als Zeuge vor dem Oberlandesgericht (OLG) München geladen. Er musste am 25. Februar 2011 Auskunft geben über den Umgang der Bank mit dem Kreditkunden Leo Kirch, dem Münchner Medienmagnaten, der knapp ein Jahrzehnt zuvor in großer finanzieller Not gewesen war und pleiteging.

Hatte Deutschlands größtes Finanzinstitut ein falsches Spiel mit Kirch gespielt, um ihn zu einem lukrativen Auftrag zu nötigen, für viel Geld große Teile des Film- und Fernsehimperiums zu verwerten? Hatte Bankchef Breuer Anfang Februar 2002 mit einem TV-Interview, in dem er Kirchs Kreditwürdigkeit öffentlich anzweifelte, den Bank-Kunden unter Druck setzen wollen?

Verdacht auf Prozessbetrug

Nein, widersprach Breuer als Zeuge beim OLG. An diesen Vorwürfen von Kirch, der seit seiner Pleite die Bank mit Prozessen überzieht, sei nichts dran. Doch das Gericht glaubte der Bank und ihrem Ex-Chef nicht und verurteilte beide später zu Schadenersatz an die Erben des inzwischen verstorbenen Kirch. Die Höhe steht noch nicht fest, und das Institut wehrt sich weiterhin.

Jetzt haben die Bank und Breuer noch mehr Ärger. Und mit ihnen auch Josef Ackermann, der Breuer als Bankchef folgte, sowie der frühere Rechts-Vorstand Tessen von Heydebreck, der vormalige Aufsichtsratschef Clemens Börsig; und sogar Jürgen Fitschen, einer der beiden heutigen Vorstandsvorsitzenden. Gegen sie alle ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft wegen versuchten Prozessbetrugs, weil Zeugenaussagen vor dem OLG abgesprochen gewesen sein sollen.

Die Bank und die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Staatsanwaltschaft und Polizei haben das Geldhaus zwei Mal durchsucht und jede Menge aus ihrer Sicht belastendes Material gefunden: Schriftsätze, Notizen und Mails, die den Verdacht der Staatsanwaltschaft nähren, die Deutsche Bank und deren Protagonisten hätten die Justiz täuschen wollen.

In diesen Unterlagen entdeckten die Ermittler auch die Mails zum Mock Trial. In einem Ermittlungsbericht steht, damit sei belegt, dass bei dem Probe-Prozess Breuers Aussagen vor dem OLG dezidiert vorbereitet worden seien. Der Report stammt vom Polizeipräsidium München, Kriminalfachdezernat 7, Kommissariat 71. Eine akribische Kriminalbeamtin hat Hunderte beschlagnahmte Dokumente ausgewertet und die Ergebnisse in einem 82-seitigen Bericht vom 3. September 2013 zusammengefasst.

Bank-Jurist entwirft ein Drehbuch

Aufgefallen sind der Ermittlerin diverse Mails kurz vor Breuers Zeugenvernehmung beim OLG. Am 2. Februar 2011 schickte ein Bank-Jurist diversen Kollegen und Anwälten eine Rundschreiben mit den Tagesordnungspunkten für ein Jour Fixe zwei Tage später: Gespräch mit Dr. Breuer. Übergeordnete Strategie zur Befragung der Zeugen. Ziele der Bank. Storyline. Und so weiter. Storyline? Das bedeutet Handlungsbogen - oder Entwurf für ein Drehbuch. Hat es also, wie die Staatsanwaltschaft vermutet, ein Drehbuch der Bank für die Zeugenaussagen bei Gericht gegeben?

Auf die Mail mit der Storyline folgten zwei weitere Schreiben vom 8. Februar, verfasst von in der Sache tätigen Rechtsanwälten. Sie präsentierten Antwortvorschläge für Breuer bei Gericht. Natürlich wolle man die Aussage von Breuer nicht beeinflussen, steht in der einen Mail. Das seien lediglich Anregungen auf Basis der Aktenlage, heißt es in der anderen Mail.

So ging das in den folgenden Wochen und Monaten munter weiter. Den Mails zufolge gab es Gespräche von Bank-Juristen und Rechtsanwälten mit fast allen wichtigen Zeugen aus der Bank vor deren Aussagen beim OLG. Neben Breuer waren das: Ackermann, Börsig, Heydebreck - und Jürgen Fitschen, einer der beiden amtierenden Chefs der Bank. Man wolle sie für die Anhörung "vorbereiten", heißt in einer der vielen Notizen. Anfang Mai 2011 bedankt sich ein Bank-Jurist bei den Herren herzlich dafür, dass diese ihre Erinnerungen "mit unseren Anwälten geteilt haben".

Wird die Justiz betrogen, gerät auch der Rechtsstaat in Gefahr

Ein paar Monate später, im August 2011, schrieb ein anderer Vorstand der Deutschen Bank einem Bank-Juristen, er hätte gerne ein "Briefing" für seine Zeugenaussage bei Gericht. Ob eine Stunde genüge. Das reiche, antwortete die Rechtsabteilung. Solche Fundstücke bestärken die Münchner Ermittler offenbar in der Absicht, die Beschuldigten anzuklagen - und zwar einschließlich Fitschen. Man müsse den "Rechtsfrieden" wiederherstellen, schrieb das Münchner Amtsgericht in seinen Durchsuchungsbeschlüssen für die Razzien bei der Bank. Gemeint ist: Wenn die Justiz betrogen werde, gerate der Rechtsstaat in Gefahr. Das soll den großen Aufwand erklären, den die Ermittler betreiben, und ihre Hartnäckigkeit.

Den Staatsanwälten und Kriminalbeamten ist noch mehr in die Hände gefallen, was die Bank in Bedrängnis bringen könnte. Bei der ersten Razzia im November 2011 fand sich im Büro des damaligen Aufsichtsratschefs Börsig ein Memorandum, das der Anwalt Michael Hoffmann-Becking aus der Kanzlei Hengeler Müller für das Geldinstitut verfasst hatte. Der Düsseldorfer Jurist mit dem Kürzel HB ist einer der führenden Wirtschaftsrechtler im Lande und wird bei großen Fällen wie der Korruptionsaffäre bei Siemens zu Rate gezogen.

Hoffmann-Becking assistiert der Deutschen Bank seit langem im Kirch-Streit. Bereits am 30. Januar 2007 notierte HB, Bankchef Breuer habe sich seinerzeit, als Kirch gegen den Niedergang seines Imperiums kämpfte, "unstreitig" um einen Auftrag des Medienmagnaten bemüht. Dieser Passus ist jedenfalls in der Version des HB-Memorandums enthalten, die im Büro von Börsig sichergestellt wurde. In einer anderen HB-Version ist das anders formuliert, unverfänglich für die Bank.

Brisante und verheimlichte Einschätzung

Jahre später, als die Lage der Bank bei Gericht immer prekärer wurde, verfasste Hoffmann-Becking ein weiteres Memorandum (Persönliche Einschätzung der Risiken) und schickte es am 17. Februar 2011 an das Geldinstitut, wo es in den Folgetagen weiter verteilt wurde. Bis hin zum Vorstand inklusive Fitschen und seinem heutigen Co-Chef Anshu Jain. HB notierte, nach seiner Einschätzung könne das Interesse der Bank im Jahr 2002 an einem Auftrag von Kirch seitens der Kirch-Seite plausibel dargestellt werden.

Ein solches Interesse ergebe sich "eindeutig" aus einem Vorstandsbeschluss der Bank vom 29. Januar 2002 und aus einem Gespräch von Breuer mit Kirch am Münchner Flughafen am 9. Februar 2002. Genau zwischen diesen beiden Terminen lag Breuers legendäres TV-Interview über die kritische Lage des Kreditkunden Kirch, das vom 4. Februar 2002 datiert.

War diese Abfolge reiner Zufall, wie die Bank der Justiz einreden will, um keinen Schadenersatz für Breuers fragwürdigen Fernseh-Auftritt zahlen zu müssen? Dem OLG hat die Deutsche Bank nichts von Hoffmann-Beckings brisanter Einschätzung berichtet, sondern stattdessen lauter Schriftsätze und Expertisen vorgelegt, in denen genau das Gegenteil steht. Und wenige Tage, nachdem Hoffmann-Beckings verfängliches Memorandum vom 17. Februar 2011 den Bankvorstand erreicht hatte, berichtete auch der Zeuge Breuer dem OLG genau das Gegenteil. Man habe sich damals, als es für Kirch um das wirtschaftliche Überleben ging, gerade nicht um ein Mandat zur Verwertung von Konzernteilen wie der Formel 1 oder der Fernsehsender bemüht.

Aus Sicht der Deutschen Bank ist alles leicht zu erklären und völlig harmlos. Es sei die Pflicht der eigenen Anwälte, den Sachverhalt aufzuklären und zu diesem Zweck auch Gespräche mit den Beteiligten zu führen. Außerdem seien Zeugen gehalten, ihre Erinnerungen vor einer Befragung bei Gericht anhand von Unterlagen aufzufrischen. "Es ist zu keinem Zeitpunkt versucht worden, Aussagen von Zeugen zu beeinflussen", erklärte die Bank auf Anfrage. Zu Details will sich das Institut wegen der noch laufenden Ermittlungen nicht äußern.

Vorbereitung wie auf eine "Führerschein-Prüfung"

In den Chefetagen der Bank ist man ziemlich empört über die Attacken und Unterstellungen aus München, wie Kenner des Verfahrens berichten und wie sich das auch aus den beschlagnahmten Unterlagen herauslesen lässt. Was aber ist mit dem HB-Memorandum? Eine Einzelmeinung eines einzelnen Juristen, ein rein internes Papier, das die Bank dem OLG nicht habe geben müssen. Und das Mock-Trial? Das sei wie eine Führerschein-Schulung, um jemanden vorzubereiten. Aber nicht, um Inhalte vorzugeben. Die Storyline, das Briefing? Es sei einzig und allein darum gegangen, den Ablauf der Ereignisse zu rekonstruieren. Niemand habe versucht, die Justiz zu täuschen. Zumindest niemand auf Seiten der Bank.

Die Schuldigen, die sitzen aus Sicht der Bank in München. Das sind die Familie Kirch und deren Anwälte rund um den CSU-Politiker Peter Gauweiler, die das Geldinstitut mit Prozessen und Strafanzeigen überziehen. Im Juni 2011 beklagte sich ein Bank-Jurist bei Kollegen über falsche, an den Haaren herbeigezogene Verdächtigungen der gegnerischen Anwälte. Man sollte ernsthaft über eine Schadenersatzklage in Milliardenhöhe gegen Gauweilers Kanzlei nachdenken.

Gauweiler, heißt es aus dem Umfeld der Bank, spanne die Münchner Staatsanwaltschaft für den Feldzug erst von Kirch und jetzt von seinen Erben gegen das Geldinstitut ein. Die Bank, ihre (Ex-)Manager und deren Anwälte würden mit Hilfe der Ermittler regelrecht "ausgespäht".

Feindschaft über den Tod hinaus

Als Kirch im Juli 2011 im Alter von 84 Jahren nach langer, schwerer Krankheit starb, diskutierten einige Herren in der Rechtsabteilung der Deutschen Bank, ob man der Familie des Medienunternehmers ein Beileidsschreiben schicken solle. Doch die Juristen hielten es für ratsam, keinen Kondolenzbrief zu verfassen. Die Anwälte und PR-Berater der Gegenseite würden alles und jedes gegen die Bank verwenden; die Prozessführung gehe "skrupellos ins Persönliche". So steht es in einer internen Mail von Mitte Juli 2011. Kirchs Tod änderte nichts an der gegenseitigen Feindschaft.

Ein damaliger Jurist der Bank regte sich in einer Mail an einen Kollegen sogar mächtig auf über einen wohlwollenden Nachruf ("Er war ein Kämpfer, er war ein Mann"), den Ludwig Poullain verfasst hatte. Poullain war mal Vorstandschef der Westdeutschen Landesbank gewesen, bis ihn ein Skandal sein Amt gekostet hatte. Der Deutsche-Bank-Jurist notierte über Kirch und Poullain, es sei doch interessant, wie gut ein "Mafia-Boss" den anderen verstehe. Auch das ist dem Ermittlungsbericht des Polizeipräsidiums zu entnehmen.

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