Deutsche Bahn:Zurückbleiben, bitte

Marode Brücken, kaputte Schienen und neue Trassen: Die Bahn hat 2016 viel zu tun. Der Konzern kündigt mit 850 Baustellen einen neuen Rekord an. Die Folge: Zugausfälle und Verspätungen.

Von Markus Balser, Berlin

Seit 150 Jahren fahren täglich Züge durch Ebensfeld. Am 15. Februar 1846 ging hier im Norden Bayerns auf der Trasse Nürnberg-Hof die "Ludwig-Süd-Nord-Bahn" in Betrieb. Sie ist benannt nach dem damaligen König. 1938 wurde die Strecke elektrifiziert. Die heutigen Oberleitungsmasten stammen noch aus dieser Zeit. Seitdem gab es kaum eine Pause. Doch jetzt herrscht Stillstand in Ebensfeld. Für acht Monate bleibt ein zwölf Kilometer langer Abschnitt der Strecke in Richtung Leipzig geschlossen. Schienen, Schwellen und Gleisbett der betagten Trasse müssen durch eine viergleisige Schnelltrasse ersetzt werden.

Die Strecke im Norden Bayerns ist Teil eines gewaltigen Plans. Die Deutsche Bahn hatte im vergangenen Jahr das größte Modernisierungsprogramm ihrer Geschichte in Angriff genommen. Es umfasst Investition von insgesamt 28 Milliarden Euro in Erneuerung und Instandhaltung des deutschen Schienennetzes bis zum Jahr 2019. So will der Staatskonzern die seit Langem nötigen Sanierungen seiner teils maroden Infrastruktur beschleunigen, Engstellen beseitigen, aber auch neue Trassen bauen. Das große Ziel: mehr Tempo und endlich wieder mehr Pünktlichkeit.

Am Montag wurde allerdings klar, was das 2016 für Kunden bedeutet: Ärger auf zentralen Trassen des Konzerns. Ebensfeld ist nur eines von Hunderten Projekten, wie der Konzern in Berlin bekannt gab. Die Bahn plant nach Angaben der Schienentochter DB Netz in diesem Jahr insgesamt 850 Baustellen im Streckennetz - so viele wie noch nie in der Geschichte des Unternehmens und rund ein Viertel mehr als in gewöhnlichen Jahren.

Betroffen sind die Trassen Berlin - München, Hamburg - Göttingen, Frankfurt - Mannheim - Karlsruhe/Stuttgart, Berlin - Dresden, Bremen - Münster, München - Salzburg und Ulm - Augsburg, also ausgerechnet gleich mehrere wichtige Nord-Süd und Ost-West-Achsen des Konzerns. Fahrgäste der Deutschen Bahn müssen sich deshalb im Fern- wie auch im Nahverkehr oft über Wochen und Monate auf längere Fahrzeiten, Umleitungen und Zugausfälle einstellen. "Ein solches Bauvolumen ist ohne Verspätungen einfach nicht möglich", räumt DB-Netz-Vorstand Thomas Schaffer ein.

Lokführerstreik der Gewerkschaft der Lokführer GDL am Hauptbahnhof Frankfurt Hessen Deutschland R

Hauptbahnhof in Frankfurt: Wegen neuer Leitungen, Weichen und Gleise müssen sich Reisende immer wieder auf Verspätungen einstellen.

(Foto: Ralph Peters/imago)

So steht auf der Strecke von Hamburg nach Hannover zwischen Mai und Juli nur ein Gleis zur Verfügung. Der Fernverkehr wird umgeleitet. Züge brauchen 30 Minuten länger. Von Juli bis September trifft es die Trasse Hannover - Göttingen. Die Folge: teils 40 Minuten längere Fahrzeiten. Mithilfe von eingleisigen Sperrungen saniert die Bahn außerdem die Strecken München-Rosenheim-Salzburg und Rosenheim-Kufstein. Im April und Mai kommt es deshalb zwischen München und Rosenheim zu Vollsperrungen. Auch auf den anderen Strecken müssen Fahrgäste phasenweise mit Verspätungen von zehn bis 20 Minuten oder kompletten Zugausfällen rechnen. Nur auf der Route München - Berlin, auf der ICE-Züge den gesperrten Abschnitt weiträumig umfahren sollen, kommen die Züge trotzdem pünktlich an. Sie können bereits einen Teil der Neubautrasse schneller befahren und Verzögerungen aufholen. Im Dezember 2017 soll die tunnelreiche Neubaustrecke endgültig fertig sein. Die Bahn will München und Berlin dann mit einer Fahrtzeit von weniger als vier Stunden verbinden. Heute dauert eine Fahrt rund sechseinhalb Stunden.

Die Rekordzahl von Baustellen schafft für die Konzernspitze nun jedoch gewaltige Probleme. Bahn-Chef Rüdiger Grube, der zuletzt in die Kritik geraten war, hatte die Pünktlichkeit seiner Züge gerade als großes Ärgernis eingestuft und Besserung als vorrangige Aufgabe schon für dieses Jahr versprochen. Etwa 25 Prozent der Fernzüge erreichen ihr Ziel bislang mit mehr als fünf Minuten Verspätung. Diesen Wert will Grube bereits 2016 eigentlich deutlich auf 20 Prozent senken. Doch ob das Ziel angesichts der Bauprojekte realistisch ist, wird intern bereits bezweifelt. Im nächsten Jahr soll der Unpünktlichkeitswert sogar auf 15 Prozent sinken.

Die Dimension des deutschen Schienenmodernisierungsprojekts wird angesichts seiner Details deutlich: Die Bahn kündigte am Montag in der Berliner Zentrale allein für dieses Jahr die Erneuerung und Instandhaltung von 3200 Kilometern Schiene, 2000 Weichen, 2,9 Millionen Eisenbahnschwellen, vier Millionen Tonnen Schotter und 150 Brücken an. Für die Arbeiten am mit 61 000 Kilometern größten Schienennetz in Europa will der Staatskonzern in diesem Jahr rund 5,5 Milliarden Euro ausgeben. Das Großprojekt der Modernisierung des gesamten Netzes bis 2019 wird nötig, weil in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig in das Schienennetz investiert wurde. Viele Strecken wurden seit Jahrzehnten nicht saniert.

Deutsche Bahn: SZ-Karte; Quelle: Deutsche Bahn

SZ-Karte; Quelle: Deutsche Bahn

Erneuerung und Instandhaltung werden verstärkt in den Fahrplänen berücksichtigt

Die Folgen für die Kunden will die Bahn möglichst klein halten. "Wir wollen für unsere Reisenden und Güterverkehrskunden natürlich so wenig Einschränkungen wie möglich", sagt Manager Thomas Schaffer. Neben der Bündelung von Baumaßnahmen werde deshalb verstärkt in der Nacht gebaut. Zudem würden die Baustellen frühzeitig in den Fahrplan eingearbeitet, um Überraschungen für Kunden zu vermeiden. "Ohne eine Totalsperrung hätte sich die Bauzeit im Beispiel Ebensfeld in Bayern von acht Monaten auf acht Jahre verlängert, sagt Schaffer weiter.

Auch Fahrgastverbände wie Pro Bahn halten die Milliardensanierung für nötig. Ein funktionierendes Schienennetz sei die Basis für mehr Pünktlichkeit, sagt Pro-Bahn-Sprecher Karl-Peter Naumann. Beim Fahrgastverband weiß man aber auch, dass es bereits beim ersten Großprojekt zu Problemen mit den Kunden kam. Viele Fahrgäste im Raum Ebensfeld hätten sich beschwert. "Sie wussten von der Vollsperrung und den Zugausfällen im Nahverkehr schlicht nichts", sagt Naumann.

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