Deutsche Bahn und Stuttgart 21:Der Irrsinn deutscher Verkehrspolitik

Die Schlichtung zu Stuttgart 21 beginnt, und eine Frage lautet: Wie viele solch unsinniger Großprojekte kann sich der Wirtschaftsstandort Deutschland noch leisten? Viel wichtiger wäre der Ausbau großer Güterverkehrsstrecken - doch die in Stuttgart verschleuderten Milliarden werden dafür fehlen.

Sebastian Beck

Wer den Irrsinn der deutschen Verkehrspolitik erleben will, der muss nur in den Zug von München nach Augsburg steigen und einen Blick aus dem Fenster werfen. Seit 1998 schon wurstelt die Bahn am viergleisigen Ausbau eines 43 Kilometer langen, schnurgeraden Streckenabschnitts. Zeitweise erinnerte das Projekt an eine Ein-Mann-Baustelle, so verlassen standen die paar Bagger in der Gegend herum. Im Herbst 2011 soll die Trasse endlich in Betrieb gehen - dreizehn Jahre nachdem im Beisein der CSU-Größen Edmund Stoiber und Theo Waigel das erste Gleis ins Schotterbett gelegt wurde.

Deutsche Bahn und Stuttgart 21: Der Hauptbahnhof Stuttgart soll durch das Milliardenvorhaben Stuttgart 21 ersetzt werden - das Geld wird für andere, dringend nötige Verkehrsprojekte fehlen.

Der Hauptbahnhof Stuttgart soll durch das Milliardenvorhaben Stuttgart 21 ersetzt werden - das Geld wird für andere, dringend nötige Verkehrsprojekte fehlen.

(Foto: AP)

Obwohl die Bahn selbst mit dieser ebenso leichten wie notwendigen Aufgabe überfordert war, plant sie nun mit Stuttgart 21 ein Projekt von schicksalhafter Bedeutung für Deutschland. Dazu stilisieren es jedenfalls seine Befürworter - angefangen von Bundeskanzlerin Angela Merkel bis hin zu Außenminister Guido Westerwelle. Er sieht in der Durchsetzung von Stuttgart 21 gegen alle Widerstände ein Zeichen, das die Bundesrepublik in die Welt sende: Bei uns geht halt noch was vorwärts.

Tatsächlich ist Stuttgart 21 von wegweisender Bedeutung für die Verkehrspolitik. Allerdings lautet die Frage genau anders herum: Wie viele solch unsinniger Großprojekte kann oder will sich der Wirtschaftsstandort Deutschland noch leisten? In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten hat die Bahn mit Unterstützung der Politik zweistellige Milliardenbeträge in den Bau von Fernverkehrsstrecken investiert - ohne dass sich an der Dominanz des Autos und Flugzeugs etwas geändert hätte.

Die prestigeträchtigen ICE-Trassen wie Nürnberg-München oder Frankfurt-Köln haben vor allem eins gemeinsam: Ihre Kosten waren am Ende weit höher als geplant, ihr Nutzen aber viel geringer. Selbst auf der sechs Milliarden Euro teuren Strecke zwischen Frankfurt und Köln fahren pro Stunde und Richtung lediglich 2,4 Züge - prognostiziert wurden in der Planung sechs Züge. Oder die Schnellfahrstrecke von München nach Nürnberg - sie hat statt 2,3 Milliarden am Ende 3,6 Milliarden Euro gekostet. Für Güterzüge ist sie gesperrt, nachts liegt sie brach.

Dabei ist gerade der Gütertransport die eigentliche Stärke der Bahn. Im Gegensatz zum Personenfernverkehr hält die Schiene hier nennenswerte Marktanteile, die sie in den vergangenen Jahren sogar noch ausbauen konnte. In der Öffentlichkeit wird diese Erfolgsgeschichte allerdings kaum wahrgenommen, denn die Fracht wird oft weit draußen am Stadtrand verladen. Inzwischen ist der Güterverkehr auf vielen Strecken an der Grenze seiner Kapazität angelangt, Steigerungen sind ohne Investitionen kaum mehr möglich. Der Berliner Verkehrsexperte Michael Holzhey hat unlängst in einem Gutachten für das Umweltbundesamt ausgerechnet, dass sich mit elf Milliarden Euro die Transportleistung des Güterverkehrs auf der Schiene verdoppeln ließe.

Eifrig Fehler wiederholen

Das entspricht ziemlich genau der Summe, die nun für die Schnellfahrstrecke von Ulm nach Wendlingen samt Tiefbahnhof in Stuttgart ausgegeben werden soll. Bei diesem Projekt scheint die Bahn geradezu eifrig darum bemüht zu sein, sämtliche Fehler aus den vergangenen zwei Jahrzehnten zu wiederholen: Nicht nur dass sie erneut die Kosten untertreibt. Schlimmer ist, dass die Bahn eine völlig neue Infrastruktur plant, die für den Güterverkehr jedoch ungeeignet ist - wieder einmal. Wegen der Steigung kann die Neubautrasse allenfalls von sogenannten Leichtgüterzügen genutzt werden. Das ist ungefähr so, als ob eine Autobahn gebaut würde, auf der nur Lastwagen bis 7,5 Tonnen fahren dürfen.

Auch wenn die Befürworter von Stuttgart 21 den Zusammenhang stets leugnen: Die dort verschleuderten Milliarden werden anderswo für dringend nötige Projekte fehlen. So baut die Bahn bereits seit 1987 an der Rheintaltrasse zwischen Basel und Karlsruhe. Das ist eine der wichtigsten Strecken Europas, auf der die Transporte aus den Häfen in Genua und Rotterdam laufen. Das ist tatsächlich ein Schlüsselprojekt für den Industriestandort Deutschland - aber nicht die imaginäre Magistrale von Paris über Stuttgart nach Bratislava. Trotz ihrer Bedeutung wird die Strecke am Rhein erst nach 2030 fertig, denn die Bahnpolitik in Deutschland folgt irrationalen Regeln. Sie produziert ein Stückwerk aus ewigen Baustellen, Hochgeschwindigkeitstrassen und Langsamfahrstellen.

Weil Geld fehlt, wiegt der chronisch ineffiziente Einsatz der Mittel umso schwerer. Welche Strecke gebaut wird, hängt in erster Linie davon ab, wer sich im Geflecht der Interessen von Bahn, Bund und Ländern durchsetzt. Und Prestigeprojekte lassen sich allemal besser verkaufen als ein paar langweilige, aber effiziente Oberleitungen, Überholgleise oder Lückenschlüsse.

Deshalb bejubelten Bahnchef Rüdiger Grube und Verkehrsminister Peter Ramsauer am Dienstag die erste Fahrt eines ICE nach London wie eine Weltsensation. Nichts gegen eine schnelle Verbindung von London nach Köln - aber die Zukunft der Deutschen Bahn liegt weder unter dem Ärmelkanal noch unter dem Stuttgarter Schlossgarten.

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