Deutsche Bahn: Neue Züge:Ein Baukasten gegen die Pannenserie

Das Image der Deutschen Bahn ist schlecht. Um das zu ändern, präsentiert sie nun gemeinsam mit Siemens die neue Generation ICx. Doch das "historische Ereignis" beginnt mit einem bekannten Bahn-Phänomen: Verspätung.

M. Hesse und D. Kuhr

Das historische Ereignis, wie es der stets um Superlative bemühte Siemens-Chef Peter Löscher später nennt, beginnt mit 22 Minuten Verspätung. Doch bei der Deutschen Bahn hat es ja schon ganz andere Pannen gegeben, und außerdem soll ja bald alles besser werden.

Neue ICx-Fernzüge bis Tempo 249 schnell

Die künftigen ICx-Fernzüge der Bahn (Simulation: Siemens) sollen durch eine leichtere Bauweise einen um 30 Prozent geringeren Energieverbrauch haben.

(Foto: dpa)

Eben deshalb sind am Montag Bahnchef Rüdiger Grube, Löscher und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer im Kaiserbahnhof in Potsdam zusammengekommen. Kaiserwetter, stolze Gesichter und ein feierlicher Anlass: Es geht um die Unterzeichnung eines der größten Verträge in der Industriegeschichte, nie hat Siemens eine größere Bestellung an Land gezogen, nie die Bahn eine größere Order vergeben.

Bis zu 300 neue Hochgeschwindigkeitszüge will die Bahn in den kommenden Jahren von Siemens erwerben. Allein die ersten 220 Züge, die der Konzern jetzt fest bestellt hat, kosten 6,3 Milliarden Euro. Weitere 80 könnten zwei bis vier Milliarden Euro kosten, je nach Ausgestaltung. Es ist ein Moment für große Worte. "Wir legen den Grundstein für den Fernverkehr der Zukunft", sagt Grube. "Ein kleines Konjunkturprogramm für unser Land", wittert Ramsauer.

Vor allem bei Siemens hofft man, dass die ICx-Bestellung Folgen hat, die weit über den hohen Auftragswert hinausreichen. Es gehe um eine Revolution für den Fernverkehr, heißt es. Wie das?

Der ICx ist, salopp gesagt, eine Art Do-It-Yourself-Baukasten. Die Bahn selbst kann sich noch nach Lieferung Züge mit unterschiedlicher Länge und Geschwindigkeit basteln. Möglich wird das durch das, was Siemens Powercar-Konzept nennt. Das sind Wagen mit integrierten Antrieben. Sie lassen sich beliebig mit einfachen Wagen kombinieren, so dass Züge auf 24 Arten mit fünf bis 14 Wagen und bis zu 400 Meter Länge komponiert werden können. So kann die Bahn kurzfristig für Großereignisse wie Weltmeisterschaften längere Züge einsetzen.

Alles wird besser

Auch die Geschwindigkeit lässt sich so variieren, je nachdem, wie viele Powercars pro Zug die Bahn einsetzt. Statt überall Züge fahren zu lassen, die Höchstgeschwindigkeit schaffen, könnten etwa auf der kurvigen Strecke zwischen Nürnberg und Berlin langsamere Züge mit weniger Powercars unterwegs sein. Bewährt sich das Konzept, so die Hoffnung bei Siemens, ziehen andere Bahnbetreiber nach.

Doch vor allem muss sich die neue Zug-Generation bei den Bahnreisenden bewähren. Mit den neuen Zügen will die Bahn von 2016 an schrittweise fast ihre gesamte Fernverkehrsflotte erneuern: Erst werden die zum Teil 40 Jahre alten Intercity und Eurocity ersetzt, später die ICE-1- und ICE-2-Flotte.

Damit soll endlich die Pannenserie ihr Ende finden, mit der die Bahn in den vergangenen zwei Jahren immer wieder in die Schlagzeilen geraten ist. Achsen, Klimaanlagen oder Elektronik - es gab immer neue Probleme. Um das in Zukunft zu verhindern, hat sich die Bahn bei dem neuen Auftrag besser abzusichern versucht. Beispielsweise wird sie keine Anzahlung leisten, sondern den Zug erst bezahlen, wenn er zugelassen und abgenommen ist.

Die ersten zwei ICx-Züge fahren zudem zunächst 14 Monate im Probetrieb, davon zwei Monate ohne Fahrgäste. Siemens garantiert für die Achsen eine Laufleistung von vier Millionen Kilometern. Der ICx ist das erste Großprojekt, bei dem das neue Handbuch Eisenbahn zur Anwendung kommt. Dieser Leitfaden, den Industrie, Bahn und Verkehrsministerium gemeinsam entwickelt haben, sieht während des gesamten Produktionsprozesses eine sehr enge Abstimmung zwischen Bahn und Hersteller vor.

Nach der Inbetriebnahme hat sich die Bahn verpflichtet, alle Daten und Erkenntnisse, die sie durch den Betrieb gewinnt, der Industrie zur Verfügung zu stellen, damit diese sie für ihre weitere Produktion verwenden kann. Anders als ihre Vorgänger sollen die neuen Triebzüge auch bei extremen Witterungen wie Eis, Hitze oder Platzregen keine Probleme bereiten. Ihre Form wird im Windkanal getestet, dank eines geringeren Luftwiderstandes sollen sie weniger Energie benötigen. Außerdem sind die neuen Züge leichter und die Wagen länger, insgesamt soll der Energieverbrauch pro Fahrgast dadurch um 30 Prozent sinken.

Erfüllen sich die hoch gesteckten Erwartungen an den ICx, profitiert davon neben Siemens auch eine Armada von Zulieferern. Angeführt werden sie von Bombardier. Der Entwicklungspartner von Siemens baut unter anderem die sogenannten Wagenkästen und beziffert sein Auftragsvolumen für die ersten 220 Züge auf 2,1 Milliarden Euro.

Insider schätzen, dass mindestens 100 weitere Firmen in den Bau des ICx involviert sind. Verkehrsminister Ramsauer sagte, die Produktion liege komplett in Deutschland und sichere dadurch tausende Arbeitsplätze bei mittelständischen Zulieferern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: