Deutsche Bahn:In den Ruinen von Babylon

Bahnchef Hartmut Mehdorn hat schon viele Krisen überlebt, doch die neuerliche Ausspähung von 173.000 Mitarbeitern macht es auch Getreuen schwer, loyal zu bleiben - die Stimmung im Konzern ist "hoch gespannt".

Michael Bauchmüller und Klaus Ott

Vergangenen Donnerstag hätte noch einmal so ein Tag sein können, ein Tag ganz nach dem Geschmack von Hartmut Mehdorn. In Warschau sollte er einen Vertrag unterschreiben, zur Übernahme der größten privaten Eisenbahn Polens. Inmitten der Krise sollte der Kauf zeigen, dass die Bahn weiter nach vorn blickt.

Deutsche Bahn: Zweitverrücktester Job der Republik

Zweitverrücktester Job der Republik

(Foto: Foto: AP)

Gespräche mit dem Chef der polnischen Staatsbahn und mit dem Verkehrsminister standen auch an; die Herren sollten besänftigt werden. Die Expansion der Deutschen Bahn ins benachbarte Polen ist heikel, hochpolitisch und deshalb eine Chefsache. Doch Hartmut Mehdorn kam nicht, in letzter Minute sagte der Bahnchef die Reise ab. Er hat jetzt andere Probleme. Probleme mit der Vergangenheit und mit sich selbst.

Größte Spähaktion in der Unternehmensgeschichte

Sein derzeit größtes Problem hört auf den Namen "Babylon" und ist bisher die größte Spähaktion in der Geschichte des Unternehmens, jedenfalls die größte bekannte.

173.000 Mitarbeiter der Bahn wurden darin überprüft, mit Namen, Adressen, Kontonummer. "Babylon" sollte sicherstellen, dass keiner von ihnen insgeheim Geschäfte zu Lasten der Bahn treibt, etwa durch Scheinfirmen, die lukrative Aufträge abfangen. Fast 200 Mitarbeiter fielen dabei auf, wie viele letztlich ins Netz gingen, ist ungewiss.

Am Mittwoch erst hatte Mehdorns oberster Korruptionsbekämpfer Wolfgang Schaupensteiner das eingestanden, vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages. Einen Tag später verzichtete Mehdorn vorsorglich auf die Reise nach Warschau, am Freitag trat er zusammen mit Schaupensteiner vor die Öffentlichkeit.

Eine Datenaffäre bei der Bahn? Humbug. Ein Fehltritt des Bahnchefs? Infam. Kritik aus der Bundesregierung? Eine Frechheit. Nach einer knappen Stunde war der Zauber vorbei. "Mit dem Auftritt hat er sich keinen Gefallen getan", sagt einer, der Mehdorn nahesteht. Weshalb er nun so nah am Ende seiner Karriere steht wie lang nicht mehr.

Bislang hatte Mehdorn, 66, eine Lebensversicherung, die Police lag im Bundeskanzleramt. Gerhard Schröder selbst hatte den ehemaligen Airbus-Manager 1999 zur Bahn geholt, auf den "zweitverrücktesten Job der Republik" (Schröder).

"Dicht verzweigtes Netz von Freunden und Kollegen"

Auch die Kanzlerin und mehrere SPD-Chefs gingen mit Mehdorn durch dick und dünn. Verkehrsminister, Aufsichtsräte, Staatssekretäre - sie kamen und gingen. Mehdorn blieb.

Ungestört baute er sich ein dicht verzweigtes Netz von Freunden und Kollegen in der Politik auf. Mit den Gewerkschaften schloss er einen Friedensvertrag, in dem er deren Stillhalten mit Beschäftigungsgarantien erkaufte. Einen seiner engsten Mitstreiter, Norbert Hansen, beförderte er sogar vom Chefsessel der Gewerkschaft Transnet zum Personaldirektor der Deutschen Bahn. Jahrelang funktionierte das System perfekt. Dann kam der 9. Oktober 2008.

Bis zum Vorabend noch hatte Hartmut Mehdorn geglaubt, er werde den Staatskonzern schon irgendwie privatisieren können, Finanzkrise hin oder her. Notfalls sollten Staatsfonds oder Scheichs Anteile zeichnen. Dann zogen die Kanzlerin und ihr Finanzminister die Notbremse, sie verschoben die schon fest geplante Erstnotiz der Bahn-Logistik.

Seither fallen die Aktien des Hartmut M. schneller als der Dax. Wenn Mehdorn in sein Reich blickt, sieht er inzwischen überall Anzeichen des Verfalls. Die Gewerkschaften Transnet und GDBA hielten lange zu ihm. Aber seit Mehdorn den Gewerkschafter Hansen zu sich holte, ist das Verhältnis ramponiert.

Wie auf der Flucht segnete die Bahn am Wochenende den Tarifvertrag mit den Gewerkschaften ab. "Einen Streik hätten wir jetzt kaum durchgehalten", sagen Mitarbeiter des Bahnchefs. Gemessen an der schwierigen Lage des Unternehmens aber sei der Abschluss "gefährlich hoch".

Dennoch hat die Causa Babylon die Gewerkschaften auf die Barrikaden gebracht. Freude haben sie am Bahnmanagement ohnehin nicht mehr so recht.

Denn während der Konzern für die meisten Beschäftigten schöne neue Tarifverträge abzeichnet, gründet die Bahn munter Tochtergesellschaften, die sich mit niedrigen Löhnen und jenseits der üblichen Tarife um Aufträge im Regionalverkehr bemüht. Ein Burgfrieden sieht anders aus.

Auch im Berliner Bahntower schwindet der Rückhalt für den Bahnchef. "Wir scheitern handfest an den einfachsten Dingen", sagt ein ranghoher Mitarbeiter, "weil wir uns ständig verhakeln." Zu oft müsse sich die Bahn mit Themen herumschlagen, die mit dem Transport von Gütern und Personen nichts zu tun hätten. Die Stimmung, heißt es im Konzern, sei inzwischen "hoch gespannt".

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In den Ruinen von Babylon

Das wiederum dürfte für Mehdorns Verhältnis zu Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee erst recht gelten. Die beiden stritten über große Themen wie den Bahn-Börsengang und vermeintlich kleine wie das Gedenken der Bahn an den Holocaust oder die Entlohnung von Lokführern.

Als im Herbst die Affäre um Bonus-Zahlungen an die Bahnmanager hochkochte, der Streit um Privatisierungs-Belohnungen mit dem Segen des Verkehrsministeriums, da wollte Mehdorn dem Minister sogar den entscheidenden Stoß geben: "Enttäuscht und verwundert" äußerte sich der Bahnvorstand damals in einer Erklärung über Tiefensee.

Doch statt auf das Ministeramt verzichtete dieser auf den Bahn-Börsengang. Seitdem geht es Mehdorn wie Tausenden seiner Güterzüge in der Wirtschaftskrise: Sie könnten Großes bewegen, doch man lässt sie nicht.

Selbst die Kanzlerin, bislang in Bahnthemen stets zurückhaltend, macht nun Druck auf Mehdorn. Und in aller Eintracht sandten die verkehrspolitischen Sprecher der fünf Bundestagsfraktionen am Montag einen Brief an Mehdorn.

Umfassender Beitrag zur Aufklärung

Es gehe in der Affäre "um grundlegende Fragen der Unternehmenskultur", schrieben sie dem Bahnchef. "Wir erwarten, dass in dieser Affäre ein umfassender Beitrag zur Aufklärung geleistet und alles unterlassen wird, was diesem Ziel zuwiderläuft." Mitunterzeichner ist auch der SPD-Parlamentarier Uwe Beckmeyer, der den Bahnchef in der Vergangenheit oft genug stützte. Gegner hat Mehdorn inzwischen genug, in allen Fraktionen.

Wenn man so will, war gerade das auch immer eine der Qualitäten Mehdorns. Der Bahnchef, der sich seiner mangelnden Fähigkeit zur Diplomatie zuweilen selber rühmt, diente stets auch als Blitzableiter für die Politik. Probleme rund um die Bahn landeten selten beim Eigentümer der Bahn, dem Bund.

Umso häufiger aber bei Hartmut Mehdorn; die Rücktrittsforderungen sind ungezählt. Gleichzeitig allerdings baute er gegen alle Widerstände den Konzern um und auf. Dass die Bahn seit Jahren Gewinne macht, dass sie als Unternehmen ähnlich straff geführt ist wie mancher Börsenkonzern, das ist vor allem Mehdorns Werk.

Jetzt aber geht es um anderes als nur straffes Management. Es geht um abstrakte Begriffe wie "Vertrauen", wie "Unternehmenskultur". Für das Energiebündel Mehdorn, das so gerne zupackt, so gerne macht, ist das ein schwieriges Feld: Es lässt sich nicht recht greifen.

Am Dienstag, nach fünf Tagen der blindwütigen Vorwärtsverteidigung, ging Mehdorn erstmals auf seine Mitarbeiter zu. In einem Mitarbeiterbrief tat der Bahnchef so etwas wie Buße.

Natürlich habe weder er selbst noch der Vorstand insgesamt die Mitarbeiter unter Generalverdacht stellen wollen, schreibt Mehdorn. Sollte der Eindruck entstanden sein, "dann bedaure ich das ausdrücklich". Mehr noch: "Aus heutiger Sicht waren wir übereifrig."

Für Hartmut Mehdorn muss es ein unendlich langer Weg gewesen sein. Und vielleicht ist er noch nicht zu Ende. Denn nachdem die Bahn die Schnüffelaktion im Verkehrsausschuss des Bundestages eingeräumtworden hatte, erfuhr der Bahn-Aufsichtsrat wenig später, dass es eine zweite Ausforschung in noch größerem Umfang gegeben hatte, von der Mehdorn bislang nicht gesprochen hatte. Diese neuerliche Aktion löste im Kontrollgremium Entsetzen aus. Die sonst so wirkungsvolle Taktik des Konzernchefs, seine Widersacher bei Gesprächen im kleinen Kreis auf seine Seite zu ziehen, geht nun nicht mehr auf.

Für diesen Mittwoch ist ein Treffen Mehdorns mit den Chefs der Bahngewerkschaften Transnet, GDBA und GDL geplant. Sie wollen über die Affäre reden. Damit ist es aus Sicht der Gewerkschaften aber nicht getan.

Die Vorsitzenden von Transnet und GDBA lassen sich nicht mit dem Termin beim Konzernchef abspeisen, sie beharren auf einer Sondersitzung des Aufsichtsrats, der binnen einer Woche zusammentreten soll. Dann soll der Vorstand alles auf den Tisch legen. Es wird wohl Mehdorns schwierigste Sitzung als Bahnchef. Es könnte auch seine letzte werden.

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