Deutsche Bahn:"Brachialkurs der Bahn zur Börse"

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Die Bundesregierung wirft der Deutschen Bahn vor, wichtige Teile des Schienennetzes nicht mehr zu sanieren und modernisieren, obwohl für den Bau oder zumindest die Planung genügend öffentliche Mittel vorhanden seien. Für einen Börsengang sei das "kontraproduktiv". Die Bahn weist die Kritik zurück.

Von Klaus Ott

Die Fahrgäste der Deutschen Bahn (DB) müssen offenbar mit Ärger rechnen, falls Vorwürfe des Bundesregierung zutreffen. Das Verkehrsministerium in Berlin befürchtet, dass die DB ihr Schienennetz vernachlässigt.

Staatssekretär Ralf Nagel kritisiert in einem Brief an Bahnchef Hartmut Mehdorn, das Staatsunternehmen wolle zahlreiche Vorhaben streichen, für die der Bund trotz der Kürzung des Schienenetats noch genügend Mittel bereitstelle.

Die DB beabsichtige sogar, bei der Instandhaltung bestehender Strecken zu sparen. Das verstoße gegen Vereinbarungen mit der Regierung, heißt es sinngemäß in Nagels Brief.

Alte Fehler könnten sich wiederholen

Im Jahr 2000 hatte sich die Bahn schon einmal in einer ähnlichen Lage befunden und so stark bei der Wartung des Schienennetzes gespart, dass viele Züge wegen maroder Trassen verspätet ankamen. Damals drohte sogar die Sperrung von Hauptstrecken, ehe Mehdorn als neuer Vorstandschef zusätzliche Bundesmittel besorgte und das Netz instandsetzen ließ. Jetzt könnten sich bei der Bahn alte Fehler wiederholen.

Das Verkehrsressort listet im Anhang zu Nagels Protestbrief etliche Linien auf, für die das Staatsunternehmen kein Geld mehr ausgeben wolle. So sei die notwendige "Grunderneuerung" von drei Linien der Berliner S-Bahn gestrichen.

Außerdem wolle die DB mehrere Elektronische Stellwerke nicht mehr bauen, die aber vom Unternehmen selbst als "wichtig eingestuft" würden, beispielsweise für eine Strecke mit internationalem Güterverkehr nach Polen. Das Ministerium betont, es gebe der Bahn 2,5 Milliarden Euro pro Jahr für das bestehende Schienennetz. Das genüge, um die Trassen zu sanieren und modernisieren.

Nicht einmal Planungskosten

Ganz aufgeben will die Bahn laut Nagels Unterlagen die vorgesehene Verbindung zum Flughafen Berlin-Schönefeld, obwohl der Bund sich bemühe, zusätzliche Mittel für dieses Vorhaben aufzutreiben. Hier entstünden der DB nicht einmal Planungskosten.

Die Absicht, dieses Projekt zu stornieren, sei mit dem Ministerium "nicht abgestimmt" und widerspreche den Abmachungen. Das treffe für weitere Vorhaben in Berlin und dem Umland zu. Dabei habe die DB vor drei Jahren 460 Millionen Euro als "Planungsreserve" für zusätzliche Vorhaben bekommen. Für den Bau dieser Strecken könne man voraussichtlich bald Mittel bereitstellen, erklärte Nagel.

Das Ministerium kritisiert ferner die Absicht der Bahn, bedeutende Hauptstrecken auf Dauer nur noch teilweise auszubauen, weil das Geld in den nächsten Jahren nicht für alle Maßnahmen reiche.

Die Bahn sei aber "nicht berechtigt", diese Projekte zu reduzieren, da man eine spätere Fertigstellung vereinbart habe. Genannt sind die Linie Karlsruhe - Basel, die Sachsenmagistrale von Karlsruhe über Nürnberg nach Leipzig und Dresden, der Bahnknoten Halle/Leipzig sowie die Strecke von Berlin nach Hamburg und von Dortmund nach Kassel.

"Nahezu vollständigen Investitionsstopp"

Das Verkehrsministerium sieht einen Zusammenhang zwischen den Sparmaßnahmen der Bahn und dem von Mehdorn geforderten Börsengang. Offenbar wolle die DB bei den eigenen Mitteln für Schienenprojekte sparen und so ihre Kosten reduzieren, unabhängig von den Folgen fehlender Investitionen für das Unternehmen. Das sei "kontraproduktiv". Der Verkehrsexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dirk Fischer, wirft Mehdorn einen "nahezu vollständigen Investitionsstopp" vor.

Für einen raschen Börsengang, für den statt der bisherigen Verluste unbedingt Gewinne ausgewiesen werden müssten, nehme die Bahn auf Kosten der Reisenden "verspätete Züge und verpasste Anschlüsse" in Kauf.

Der Abgeordnete Albert Schmidt von den Grünen warnt vor einem "Brachialkurs der Bahn zur Börse", der jetzt schon zu Lasten des Schienennetzes und der Fahrgäste gehe. Die Bahn wies die Kritik der Regierung zurück.

Aus der Konzernspitze verlautete, wegen der langen Haushaltsberatungen beim Bund seien viele Mittel erst spät verfügbar. Die Planung von Projekten, deren Finanzierung nicht gesichert sei, könne man sich nicht mehr leisten. Und beim vorhandenen Netz müsse die DB bestimmte Maßnahmen aufschieben, weil insgesamt viel Geld fehle.

© SZ vom 09.09.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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