Derivatehandel:Maßgeschneidert

Derivatehandel: In wenigen Schritten zum eigenen Produkt: Anleger können bestimmte Merkmale wie den Basiswert und die Laufzeit eines Zertifikats selbst festlegen.

In wenigen Schritten zum eigenen Produkt: Anleger können bestimmte Merkmale wie den Basiswert und die Laufzeit eines Zertifikats selbst festlegen.

(Foto: Robert Haas)

Banken und Börsen bieten immer mehr Plattformen an, um Produkte selbst zu konfigurieren. Damit lassen sich Konditionen besser vergleichen.

Von Norbert Hofmann

Wenn die Eltern einst ein Auto kauften, war es meist identisch mit dem Vorführmodell ihres Händlers. Doch das ist längst vorbei. Heute konfiguriert der Käufer das neue Fahrzeug nach seinen Wünschen. Was Autofahrer schätzen, ist dank moderner Finanztechnologie (Fintech) jetzt auch bei den Kapitalanlage- und Hebelprodukten des Derivatemarkts machbar.

Die Börse Stuttgart und das Finanzportal OnVista haben gerade ihr Online-Angebot "Wunschzertifikat" gestartet, bei dem sich Anleger über die von der Commerzbank entwickelte Plattform Primegate ihr Produkt selbst maßschneidern können. "Die Plattform ist ohne Vorgabe von Mindestvolumen für jeden Privatanleger zugänglich und das selbst konfigurierte Zertifikat binnen weniger Minuten handelbar", sagt Philipp Kalb, Leiter Produktmanagement Primegate bei der Commerzbank.

Primegate ist nicht die erste Plattform, auf der sich Anleger von verschiedenen Emittenten Angebote für ein ganz nach ihren Wünschen gestaltetes Derivat erstellen lassen können. Seit Ende August ermöglicht es der Schweizer Vermögensverwalter Vontobel auf seiner Plattform mein-zertifikat.de, passende Zertifikate zu kreieren. Neben Vontobel tritt auf der Plattform bislang HSBC Trinkaus Burkhardt als potenzieller Emittent auf. Weitere sollen hinzukommen. Dabei ist die Plattform auch eine wichtige Informationsquelle. "Anleger sind nicht zur Bestellung verpflichtet und können sich mit nur drei oder vier von ihnen festgelegten Vorgaben wie etwa dem Basiswert, der gewünschten Laufzeit und der angestrebten Rendite erst einmal zeitnah ein Bild von den aktuellen Marktkonditionen verschaffen", sagt Wolfgang Gerhardt, Leiter Financial Products Deutschland bei Vontobel.

Derzeit konzentriert sich das Angebot der Plattform auf Aktienanleihen, Discount-Zertifikate und Bonus-Zertifikate. Vontobel stützt sich auf die von ihr selbst entwickelte Deritrade Technologie, die sich im Heimatmarkt Schweiz bewährt hat. Dort treten auf der Plattform bereits sieben Emittenten auf, wobei Banken und Vermögensverwalter sich für das gewünschte Derivat ein Angebot erstellen lassen und dann direkt den Auftrag erteilen können. In Deutschland dagegen wird auf der Plattform nur das Produkt kreiert, das dann wenige Minuten später an der Börse erworben werden kann.

Anleger profitieren von den Plattformen, weil sie durch die selbstgesteuerte Produktgestaltung schneller die passende Lösung finden und Konditionen vergleichen können. "Fintech ermöglicht den wichtigsten Umbruch im Zertifikatemarkt seit Langem: weg vom Anbieter- und hin zu einem Nachfragermarkt", sagt Gerhardt. Der Marktpionier berichtet von einem starken Anlegerinteresse. Dass nun Wettbewerber auf den Plan treten, stört Gerhardt nicht: "Das trägt dazu bei, dass sich die Idee am Markt durchsetzt."

Die Konkurrenz wirbt mit neuen Modalitäten. So ist das über Primegate angebotene "Wunschzertifikat" ohne vorherige Registrierung zugänglich. Die Plattform der Commerzbank soll zudem von den Stärken der beiden Partner profitieren. Das Finanzportal OnVista ist eine führende Adresse für Suchanfragen zu Derivaten. Die Börse Stuttgart gewährleistet einen öffentlich-rechtlich organisierten Handel der Produkte im Sekundärmarkt. Teilnehmender Emittent ist neben der Commerzbank zunächst die Société Générale. Noch im ersten Halbjahr 2017 sollen weitere hinzukommen. Als erste Plattform bietet Primegate die Möglichkeit, neben Discount- und Bonus-Zertifikaten auch Hebelprodukte wie Optionsscheine selbst zu konfigurieren. Gerade bei diesen Instrumenten kommt der Vorteil der Anpassung an aktuelle Marktbewegungen zum Tragen. Denn das klassische, von Banken erstellte Produktangebot ist bei starken Kursbewegungen der Basiswerte oft nicht mehr aktuell. "Hinzu kommt, dass selbst die derzeit rund 1,34 Millionen in den Markt eingeführten Produkte nicht jeden individuellen Bedarf abdecken und ein genauer Preisvergleich bei diesem großen Angebot oft zeitaufwändig ist", sagt Kalb.

Die Digitalisierung bringt auch Kostenvorteile

Was die Plattformen jetzt anbieten, hat die HypoVereinsbank (HVB) mit onemarkets in Teilen vorweggenommen. Filialkunden lassen sich dort ab einem Mindestvolumen von 10 000 Euro schon seit einigen Jahren Anlagezertifikate und Aktienanleihen maßschneidern. Allerdings ist die HVB dabei der einzige Emittent. Mit dem Produktkonfigurator "my.one direct" ist die Bank nun den nächsten Schritt gegangen. Über den Online-Broker Flatex können private Trader und Selbstentscheider neuerdings Hebelprodukte selbst bauen. Innerhalb von zwei Minuten nach Bestellung erhält das Produkt eine Wertpapierkennnummer und ist dann ohne Medienbruch über Flatex gleich an den Börsenplätzen Frankfurt, München und Stuttgart sowie außerbörslich handelbar. "Im Durchschnitt werden aktuell etwa zehn Produkte pro Tag aufgelegt - Tendenz steigend", berichtet Sebastian Bleser von HypoVereinsbank onemarkets.

In Kürze soll my.one direct einem breiten Anlegerkreis zugänglich sein. Auch zusätzliche Produkttypen sind vorgesehen. "Die Digitalisierung im Bereich verbriefter Derivate wird weiter an Bedeutung gewinnen und es wird noch mehr in Richtung Individualisierung und Automatisierung des Produktangebots gehen", ist Bleser überzeugt. Dass sich die Digitalisierung in Kostenvorteilen niederschlägt, zeigt die Plattform Gettex der Bayerischen Börse. Dort sind seit Juli alle von der HypoVereinsbank emittierten Zertifikate und Hebelprodukte ohne Börsenspesen handelbar. "Anleger können also deutlich günstiger handeln und sich trotzdem die Vorteile eines regulierten Börsenplatzes in Form der öffentlich-rechtlichen Handelsüberwachung sichern", sagt Bleser.

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