Der vergessene Markt:Ökonomie des Verbrechens

Die Justiz steht unter Erfolgsdruck. Um Täter vorzuweisen, kriminalisiert sie immer weitere Bereiche des Lebens. Doch womöglich hätte sie in manchen Bereichen mehr Erfolg, wenn sie Verbote streichen würde.

Hans von der Hagen

Der Staat versucht, dem Verbrechen mit Verboten beizukommen. Dabei gerät aber in Vergessenheit, dass auch die Unterwelt nach den Gesetzen des Marktes funktioniert. Berücksichtigte man dies stärker, ließen sich in manchen Bereichen wirkungsvollere Mechanismen für die Verbrechensbekämpfung finden - sagt Valentin Landmann*), einer der bekanntesten Strafverteidiger der Schweiz. Er hat kürzlich das Buch "Verbrechen als Markt"**) veröffentlicht.

Der vergessene Markt: Valentin Landmann

Valentin Landmann

sueddeutsche.de: Geld oder Liebe - welche Antriebskräfte überwiegen beim Verbrechen?

Landmann: Die weitaus meisten Verbrechen werden aus finanziellen Gründen begangen. Die reinen Emotionsdelikte, etwa Morde aus Eifersucht, kommen vergleichsweise selten vor.

sueddeutsche.de: Warum entscheidet sich jemand für die Unterwelt? Ist es die Aussicht auf höhere Rendite?

Landmann: Das lässt sich nicht einfach ökonomisch begründen. Da spielen psychologische Fragen eine Rolle, die Entstehungsgeschichte der einzelnen Personen oder auch deren Ausbildung. Doch ein Krimineller handelt in der illegalen Welt nach den gleichen Prinzipien wie jeder andere auch: Bei möglichst geringem Risiko soll ein möglichst hoher Ertrag erzielt werden. Es gelten die Gesetze des Marktes, sogar in einer etwas rauheren Variante - Kündigungsschutz kennt die Unterwelt nicht.

sueddeutsche.de: Gibt es besondere Anforderungen an das Personal?

Landmann: Ob einer in der Unterwelt Erfolg hat, ist letztlich von den gleichen Eigenschaften abhängig wie in der legalen Welt: Führungsqualität, Intelligenz und rasche Auffassungsgabe sowie eine gewisse Ruchlosigkeit. Man sollte nicht vergessen: Auch in der legalen Welt steigen nicht die Rücksichtsvollen auf.

sueddeutsche.de: Und doch muss sich ein Bandenchef mit manch anderen Problemen beschäftigen als ein Vorstandsvorsitzender ...

Landmann: Die Rahmenbedingungen sind unterschiedlich: In der legalen Welt setzt man sich mit Steuerproblemen, Tarifverträgen, Streiks und behördlichen Vorschriften auseinander. Der Kriminelle hingegen widmet sich besonders der Risikoanalyse. Denn über allem, was er tut, steht das Verbot. Dabei stellt gar nicht das Verbot an sich das größte Risiko dar, sondern dessen Durchsetzung: Eine hohe Aufklärungsquote lässt die Kosten der Gesetzesüberschreitung steigen.

Die Risikoanalyse kann aber auch in andere Richtungen gehen. Verwendet beispielsweise jemand eine Spielzeugpistole bei einem Raub, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass er mit einer geringeren Strafe davonkommt.

sueddeutsche.de: Diese Erkenntnis überrascht nicht ...

Landmann: ... und doch wird die Marktcharakteristik der Unterwelt oft vergessen. Wir haben sie dauernd vor Augen, in jeder Schlagzeile, in jedem Film über das Verbrechen. Doch wenn der Gesetzgeber eingreift, berücksichtigt er sie meist nicht. Daher besteht die Gefahr, dass neue Gesetze mehr Schaden als Nutzen anrichten. Auch der Drogenmarkt rentiert erst durch Verbote.

sueddeutsche.de: Sie wollen ihn freigeben?

Landmann: Das will ich nicht sagen. Aber erst das Verbot schafft die hohen Preise und erst die hohen Preise machen den Drogenmarkt attraktiv für die kriminellen Gruppierungen. Natürlich ist klar, warum der Staat handelt, wie er handelt: Er steht unter Erfolgsdruck. Der Bürger verlangt etwas für seine Steuern, er will etwas sehen. Und das setzt einen eigentümlichen Prozess in Gang, denn vieles, was wir nicht wollen, ist ja schon längst verboten. Damit der Staat dennoch Erfolge vorweisen kann, beginnt ein Down-Scaling-Prozess: Die Justiz schraubt die Tatbestände so weit herunter, bis genügend Leute von ihnen erfasst werden.

**) Verbrechen als Markt, Zur Ökonomie der Halbwelt und Unterwelt; Orell Füssli Verlag, Zürich 2006, 224 Seiten, ISBN 3-280-05164-9 23,50 Euro

Ökonomie des Verbrechens

sueddeutsche.de: Zum Beispiel?

Landmann: Nehmen Sie das Rotlichtmilieu. Es ist verboten, eine Prostituierte in der Prostitution festzuhalten. Nun gab es Entscheidungen, wonach ein Zuhälter, der vergleichsweise anständig zu den Frauen ist, womöglich Kondome verteilt und korrekt abrechnet, sich im Sinne der Bestimmungen schuldig macht, weil er durch die angenehmere Arbeitsatmosphäre die Prostituierte vom Ausstieg abhält. Das ist paradox.

sueddeutsche.de: Der Down-Scaling-Prozess unterstützt die Kriminalisierung der Bevölkerung?

Landmann: Genau. Denn nur so kann die Justiz mehr Erfolge vorweisen.

sueddeutsche.de: Auch die Justiz denkt ökonomisch. Doch was Sie fordern, ist eine stärkere Liberalisierung ...

Landmann: ... Was nicht kriminalisiert werden muss, kann entkriminalisiert werden. Ein Verbot der Prostitution trifft nicht den Zuhälter. Der lässt sich das zusätzliche Risiko gut bezahlen. Es trifft einzig und allein die Frau, die man eigentlich schützen will. Je mehr wir den Rotlichtbereich liberalisieren, desto eher erlangt die einzelne Frau Rechtsschutz. Arbeitet sie legal, kann sie zur Polizei gehen, wenn sie unter Druck gesetzt wird.

sueddeutsche.de: Was machen wir mit der Moral?

Landmann: Sie ist wichtig, denn sie sagt, was wir anstreben sollen. Sie gibt das Ziel vor. Aber die Ökonomie sagt uns, wie wir es erreichen können. Wenn wir beispielsweise die Vermietung von Räumlichkeiten an Prostituierte erlauben, dann treiben wir sie nicht in die Arme derer, die sich das Risiko teuer bezahlen lassen.

Verbote sollten so beurteilt werden wie Medikamente: Wenn man sieht, dass sie zu viele Nebenwirkungen haben oder gar nicht wirken, muss man auf sie verzichten. Ich weiß natürlich, dass das in der Praxis sehr schwierig ist, weil so viele Interessen von den Verboten abhängig sind. Es gibt ja eine ganze Verbotsindustrie, die von ihnen profitiert - gerade in der Justiz. Auch ich als Strafverteidiger zähle mich im gewissen Sinne dazu.

© * Landmann war Lehrbeauftragter an den Universitäten St. Gallen und Zürich für Privat-, Handels- und Versicherungsrecht. Zwichenzeitlich arbeitete er als Untersuchungsrichter und Ersatzrichter. In der Schweiz wurde er durch seine Verteidigigung der Hell's Angels bekannt. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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