Der neue Mr. Siemens:"Was ist los, Peter?"

Klaus Kleinfeld geht, Peter Löscher kommt. Am 1. Juli bekommt Siemens einen neuen Chef. Und was der Östereicher ankündigt, verspricht viel: einen Stilwechsel im Konzern.

Markus Balser

Der Anruf erreichte ihn in den USA auf dem Heimweg nach New Jersey. Es war Mitte Mai, erst ein paar Stunden zuvor war Peter Löscher in München zum Siemens-Chef gekürt worden.

Aus dem fernen 6000-Einwohner-Flecken Fellach in Kärnten rief seine Mutter an: Fernsehteams belagerten den Löscher-Hof am Fuße des gut 2.000 Meter hohen Drobatsch im Dreiländereck zwischen Österreich, Italien und Slowenien.

"Was ist los, Peter?'', wollte Agnes Löscher wissen. Er habe geahnt, dass sich mit der Berufung zum Siemens-Chef vieles in seinem Leben ändern würde, sagt der 49-jährige Österreicher heute, den bis dahin in Deutschland kaum jemand kannte. Dass der Spitzenposten von Anfang an ein so öffentliches Amt sein werde, habe ihn aber "wie der Blitz getroffen'', sagt Löscher.

Noch sind sich der Konzern und sein neuer Chef fremd. Als der 1,95 Meter-Mann am Dienstagabend schon fünf Tage vor seinem Amtsantritt am 1. Juli erstmals bei einem Empfang im historischen Rathaussaal in Nürnberg auftritt, geht ein Raunen durch die Reihen. Geladene Führungskräfte tuscheln, als der neue "Mr. Siemens'' den Raum betritt.

80 Milliarden Euro Umsatz in 190 Ländern

In wenigen Tagen wird er Herr über einen Weltkonzern sein, mit 80 Milliarden Euro Umsatz in 190 Ländern. Lange geheim gehalten von den Konzernstrategen, nutzt Siemens seine jährliche Medienkonferenz überraschend zur Präsentation Löschers.

Selten zuvor waren die ersten Sätze und Gesten eines neuen Topmanagers in Deutschland mit soviel Spannung erwartet worden, denn der ehemalige Pharmamanager übernimmt einen der wichtigsten Jobs, den die deutsche Industrie zu vergeben hat - aber auch einen der schwersten.

Er soll das in ein Korruptionsverfahren bislang nie gekannten Ausmaßes verstrickte Traditionshaus wieder zu einem angesehenen Unternehmen machen, "auf das die Mitarbeiter stolz sind und die Welt mit Respekt schaut'', wie es Aufsichtsratschef Gerhard Cromme fordert.

Nur fragten sich zuletzt Spitzenmanager des Konzerns offen: Kann jemand wie Peter Löscher, der bisher bei Merck eine Pharmasparte mit 37.000 Mitarbeitern dirigiert hat, einen 470.000 Mann starken Technologiekonzern in ruhiges Fahrwasser führen?

"Es gibt hervorragende Regeln bei Siemens gegen Korruption"

Das Murren mancher Vorstände über den Newcomer aus der zweiten Reihe weicht am Abend angespannter Erwartung. Löscher lässt keinen Zweifel daran, dass die Korruptionsaffäre für ihn noch lange nicht ausgestanden ist. Für Siemens werde die Affäre wohl zum Marathonlauf werden, sagt Löscher.

Mit Managern, die in die Affäre verstrickt seien, werde das Unternehmen kurzen Prozess machen, sagt er ruhig. "Es gibt hervorragende Regeln bei Siemens gegen Korruption - aber es muss klar sein, dass sie auch von oben bis unten gelebt werden.''

Folgen der harten Linie für das Geschäft müsse der Konzern akzeptieren. "Manchen Auftrag werden wir in Zukunft nicht mehr bedienen. Wachstum mit schlechter Ethik kann kein gutes Geschäft sein.''

Zerlegen und neu aufstellen

In der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München weicht die Sorge um die Durchschlagskraft des ersten konzernfremden Chefs in der Siemens-Geschichte zusehends der Angst, auch das Machtzentrum des Konzerns könnte von Umbauten getroffen sein.

Gerüchte machen die Runde, Löscher könnte Stellen in der Verwaltung streichen, den Vorstand verkleinern und mehr Verantwortung in die operativen Sparten verlagern. "Ich trete nicht an, um alles beim Alten zu lassen'', sagt der Manager.

"Wenn Sie aber denken, der Löscher fängt an und die Revolution beginnt, muss ich Sie enttäuschen.'' Der Konzern werde sich wandeln wie schon in den vergangenen Dekaden, aber es gehe um eine Evolution, nicht um einen radikalen Umbruch.

Löscher steckt in einer Zwickmühle. Einerseits erwarten US-Behörden und Justiz rasche Ergebnisse bei der Korruptionsaufklärung und Investoren eine klarere Strategie.

Auf der anderen Seite bedeutet jeder Umbau eine weitere Verunsicherung der seit Monaten gebeutelten Mannschaft. Welchen Schwerpunkt Löscher setzen wird? Betriebsräte bei seinem früheren Arbeitgeber Hoechst erinnern sich an ehrgeizige Vorgaben ihres Ex-Managers.

"Was ist los, Peter?"

In den neunziger Jahren hatte Löscher bei dem Chemiekonzern gelernt, wie man ein über Jahrzehnte gewachsenes und auch verwachsenes Unternehmensgebilde zerlegt und neu aufstellt. "Die Kollegen bei Siemens können sich auf einiges gefasst machen'', glaubt ein Ex-Arbeitnehmervertreter.

Wie man Unternehmen umbaut und rationalisiert, lernte Löscher bei seinem ersten Job im nordrhein-westfälischen Gummersbach. Als Assistent von Firmengründer Gerhard Kienbaum in der gleichnamigen Unternehmensberatung fiel Löscher in den achtziger Jahren als intelligenter, wissbegieriger Mitarbeiter auf.

Eine nachdenkliche Persönlichkeit mit "seltener Brillanz''

Keinen schillernden Karrieretypen habe man da erlebt. Eher eine nachdenkliche Persönlichkeit mit "seltener Brillanz'', sagt der heutige Firmenchef Jochen Kienbaum und attestiert Löscher kulturelles Feingefühl. "Er zählt zu den Leuten, die Brücken bauen können, im Unternehmen aber auch zu den Gewerkschaften.''

Der neue Siemens-Chef werde ein Hauptaugenmerk auf die Kommunikation und die Außendarstellung des Konzerns legen müssen, glaubt Kienbaum. Auch in ummersbach erwies sich Löscher als Netzwerktalent.

Jochen Kienbaum beeindruckte, dass Löscher lange nach dem Ausscheiden "immer den Kontakt gehalten'' hat und zur Beerdigung Gerhard Kienbaums 1998 sogar "aus dem Ausland herbeigeflogen kam''.

Eine der wenigen Siemens-Führungskräfte, die ihn bereits vor der Berufung kannten, ist Erich Reinhardt. Der Medizintechnik-Chef hatte Löscher bei einer Kooperation mit dem US-Konkurrenten Amersham kennengelernt, das später von General Electric übernommen wurde.

"Wir hatten eine sehr gute Zusammenarbeit'', sagt er. Vorgänger Kleinfeld lernte Löscher dagegen erstmals zwei Tage nach der Berufung kennen, als sich die beiden in New York zu einem ersten Gespräch trafen. Ob er schon im Unternehmen angekommen ist? Er sei immerhin in München angekommen, sagt Löscher.

Das Haus in New Jersey sei verkauft, seine Frau derzeit auf der Suche nach einem Zuhause in München. Noch wohnt der künftige Chef des Weltkonzerns bei Freunden in München.

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