Der neue ICE:Premiere mit Trommelwirbel

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Die Bahn stellt den ICE 4 vor: Es gibt mehr Sitzkomfort, neue Lichtfarben, Extraplätze für Familien - und erstmals Fahrräder an Bord. Der Staatskonzern will damit neue Kunden im Fernverkehr gewinnen.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Ein alter Eisenbahnerwitz geht so: Die Bahn hat, wie einst der Sozialismus in der DDR, vier große Feinde: Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Dafür stand zuletzt vor allem der ICE 3, bei dessen Einführung sich die Pannen häuften. Mal funktionierten die Toiletten nicht, mal streikte die Klimaanlage, mal brach sogar die Radsatzwelle. Nun aber bekommt die ICE-Familie Zuwachs. Mit Trommelwirbel und einer Lichtshow hat die Bahn im Berliner Hauptbahnhof den neuen ICE 4 vorgestellt. Er soll "das Rückgrat unseres zukünftigen Fernverkehrs werden", sagte Bahnchef Rüdiger Grube. Er solle ein Aushängeschild für die Bahn und die Technik "made in Germany" werden, sagt Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU).

Doch was haben die Bahnreisenden davon? Birgit Bohle, Fernverkehrschefin bei der Bahn, verspricht schon jetzt, dass sich die Kunden in dem neuen Zug "sehr wohlfühlen werden". Tatsächlich haben sich die Ingenieure des neuen ICE einiges einfallen lassen, um mehr Menschen in die Züge zu locken - das zeigt eine erste Besichtigung.

Sitzplätze

Der ICE 4 bietet mit 830 Sitzplätzen in seiner zwölfteiligen längeren 346-Meter-Variante 130 Sitzplätze mehr als der alte ICE 1. Außerdem gibt es in jedem Wagen der 2. Klasse vier zusätzliche Regale als Stauraum für Gepäck - auch auf dem Fußboden und in Sichtweite zum Sitzplatz.

Komfort

Am Platz für die Beine und auch am grau-blauen Design innen ändert sich nichts. Die ergonomischen Sitze haben aber einen neuen Vorteil: Wird die Rückenlehne verstellt, wird der hintere Sitznachbar nicht gestört, weil die Rückenlehnen beim Verstellen in der Sitzschale gleiten.

1. Klasse

Auch hier gibt es die neuen Regale für Gepäck - aber nur zwei pro Wagen. Dafür hat jeder der Sitze mit Echtlederbezug eine Leselampe und eine Steckdose.

Familien und Fahrräder

Es wird künftig neben den Kleinkindabteilen ausgewiesene, farbenfrohere Bereiche für Familien in den Großraumwagen und dort mehr Platz für Gepäck wie Kinderwagen geben. Außerdem bietet die Bahn erstmals im neuen ICE acht Plätze für Fahrräder. Diese sind reservierungspflichtig, Sitzplätze befinden sich im angrenzenden Abteil. Der Preis ist so hoch wie im IC oder Eurocity: neun (mit Bahn-Card sechs) Euro.

Rollstuhlfahrer

Der ICE 4 verfügt über eingebaute Lifte, mit denen Rollstuhlfahrer in den Zug kommen können. Über einen Taster außen können sie die Lifte anfordern. Im ICE gelangen sie dann gleich in einen Wagen mit breiterem Gang, so dass sie den Rollstuhl wenden können. Ihr Stellplatz hat einen höhenverstellbaren Tisch. Auch im Bistro gibt es einen Extra-Tisch für Rollstuhlfahrer.

Speisewagen

Neu im Bistro ist die gläserne geschwungene Glasvitrine, in der die Bahn etwa Croissants oder Brote zum Mitnehmen präsentiert. Der Speisewagen, der jetzt mehrere Kleiderhaken hat, wirkt durch hellere Holztöne freundlicher. In den Zügen will die Bahn auch testen, wie neue Gerichte ankommen. Wer beim Reisen gerne die Landschaft betrachtet, kann sich über größere Fenster im ganzen Zug freuen.

Licht und Klimaanlage

Wo auch immer die Fahrgäste sitzen, Lichtfarbe und ihre Intensität passen sich, mal orange-rot, mal bläulich, der Tageszeit an. Künftig sollen zwei Kühlkreisläufe Kaltluft produzieren. Wenn einer ausfällt, soll die Anlage weiterlaufen. Die Klimaanlage ist jetzt auf bis zu plus 45 Grad Celsius ausgelegt und damit deutlich leistungsfähiger als die Vorgängermodelle.

Geschwindigkeit

Der ICE 3 kann mehr als 300 Stundenkilometer schnell fahren. Beim ICE 4 ist bei 250 Schluss, weil die 300 wegen der vielen Haltestellen in Deutschland und hügeligen Landschaft ohnehin nur selten zu erreichen sind. Dafür beschleunigt der neue Zug schneller, und es ruckelt weniger. "300 zu fahren, bringt nicht mehr. Das ist Energieverschwendung", sagt Lokführer Markus Paetow im Führerstand bei der Vorstellung des Zuges. So verbraucht der Zug mit seinen 13 400 PS gut ein Fünftel weniger Energie als seine Vorgänger.

Klarere Orientierungshilfen

Die Platz- und Reservierungsanzeigen sind beim ICE 4 an den Kopfstützen der Gangplätze zu finden. Neue Piktogramme und Banderolen weisen spezielle Sitzbereiche aus. Der grüne Taster zum Öffnen der Tür wurde vergrößert.

Handy und Internet

Der Konzern will im ICE 4 besser informieren und unterhalten. Auf Bildschirmen im Wagen sehen die Reisenden, ob sich ein Anschlusszug beim nächsten Halt verspätet. Das Telefonieren und kostenlose Surfen im Internet per Wlan soll wie bereits vom Jahresende an in der gesamten ICE-Flotte deutlich besser klappen.

Erteilt das Eisenbahnbundesamt wie geplant bald die Zulassung, werden die ersten ICE 4 im Herbst auf Probe fahren - auch mit Fahrgästen an Bord. Zum Fahrplanwechsel im Dezember 2017 gehen die Züge dann in den Regelbetrieb, etwa auf der Strecke Hamburg-Berlin-München (siehe diesen Artikel). Der ICE 4 soll helfen, den Fernverkehr voranzubringen. Die Bahn will bis 2030 mehr Metropolen und Städte miteinander verbinden, ihr Angebot um 25 Prozent erhöhen und so 50 Millionen zusätzliche Fahrgäste gewinnen.

Auch deshalb hat der Staatskonzern bei der Entwicklung des neuen Zugs die Kunden von Anfang an einbezogen. Einst bezeichnete die Bahnindustrie ihre Züge als "grüne Bananen" - also Produkte, die beim Kunden reifen. Jetzt verspricht Bahnchef Grube: "Wir sorgen dafür, dass die Kinderkrankheiten abgestellt werden, bevor die Kunden einsteigen."

© SZ vom 15.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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