Der neue Feminismus (6): Pornofreie Werbung:Sex sells? Von wegen!

Werbung hat immer gerne Tabus gebrochen - häufig auch mit nackten Frauenkörpern. Doch inzwischen denkt die Werbeindustrie um. Wo ist der Sex geblieben? Eine Spurensuche.

Tobias Dorfer

Lasziv windet sich die schöne Blondine auf einem weißen Laken. Dann schwenkt die Kamera nach rechts, ein gutgebauter Mann legt sich auf sie und küsst ihr den Hals. Schnitt. Ein zweiter Mann nähert sich der Frau. Dann zielt die Kamera auf ihre Brüste, sie steigt aus dem Bett, läuft nackt durch einen Gang - und hält sich schließlich eine Packung Lätta-Margarine an die Wange. Das war im Jahr 2002.

Der neue Feminismus (6): Pornofreie Werbung: Lokalkolorit - oder einfach nur geschmacklos? Der Werberat hatte an diesem Werbeplakat nichts auszusetzen.

Lokalkolorit - oder einfach nur geschmacklos? Der Werberat hatte an diesem Werbeplakat nichts auszusetzen.

(Foto: Foto: oh)

Sechs Jahre später, wieder Lätta: Heute tanzen auf der Internetseite der Margarine-Marke gutgebräunte Models am Strand - mit Kleidung. Sie trägt Jeans und einen weißen BH, er Badeshorts, Sonnenhut und Sonnenbrille. In sechs Jahren wurde aus heißem Sex lauwarme Erotik. Vielleicht noch nicht einmal das.

2008 ist das Jahr der Feuchtgebiete und der Vagina-Sekrete. Es ist ein Jahr, in dem Frauen offen über Sex sprechen - im Kinofilm "Sex and the City", und in der Realität ist es wahrscheinlich nicht viel anders. 2008 ist ein Jahr, in dem Tabus weitgehend Geschichte sind - und in dem gleichzeitig aus einer Werbekampagne mit viel Sex und nackter Haut eine Soft-Kampagne mit Sommerfeeling am Strand wird.

Komiker ersetzen nackte Haut

Sex sells - das Prinzip Porno war immer ein zuverlässiger Begleiter durch die vergangenen Werbejahre. Noch vor wenigen Jahren räkelte sich eine fast nackte Frau verführerisch in einer Tropenlandschaft - irgendwie erinnerte die Szene an einen Softporno aus der "Emanuelle"-Reihe. Aus dem Off ertönte eine verführerische Stimme: "Jetzt wird's feucht im Mund." Geworben wurde für ein Hustenbonbon. Auch eine Kampagne der Elektronik-Kette Media-Markt sorgte vor knapp sieben Jahren für Schlagzeilen. Die Plakate zeigten eine Frau mit drei nackten Brüsten. Passender Slogan: "Mehr drin, als man glaubt".

Inzwischen zeigt Werbung nackte Brüste nur noch selten - und Media-Markt steht auf Komiker wie Olli Dittrich oder Oliver Pocher. Wo ist der Sex geblieben?

Wer sich auf die Suche nach den Tabus von einst begibt, landet unweigerlich in Berlin bei Volker Nickel. Er ist Sprecher des Deutschen Werberats und zuverlässiger Indikator für die Werbe-Befindlichkeiten der Bevölkerung. Beschweren sich die Zuschauer, dann beschweren sie sich vor allem beim Werberat. Nickel ist sozusagen der oberste Sittenwächter der deutschen Werbe-Republik.

"Die Phase der Aufregung ist vorbei"

269 Beschwerden landeten im vergangenen Jahr auf seinem Schreibtisch - das ist, verglichen mit den Vorjahren, relativ viel. Doch um Hardcore-Sex geht es immer seltener. Hauptbeschwerdegrund sind zwar nach wie vor Werbeanzeigen oder -filme, durch die sich Frauen diskriminiert fühlen - "Herabwürdigung von Frauen" heißt es dann in Nickels Jahresbericht. Doch unter Herabwürdigung fallen nicht nur nackte Brüste. Eine Elektronikmarkt-Kette zeigte Plakate mit einem genervt dreinschauenden Mann und seiner Frau im Hintergrund. Eine Sprechblase legte dem Mann Worte in den Mund: "Nervt eure Alte auch?" Es gibt viele Möglichkeiten, warum Frauen sich diskriminiert fühlen können - Sex ist nur eine von vielen.

Pornographische Motive in der Werbung seien längst nicht mehr so häufig, sagt Nickel. Und eine leicht anzügliche Werbung, so sagt er, störe heute fast niemanden mehr: "Die Phase der Aufregung ist vorbei." In seiner täglichen Arbeit bemerkt der Sprecher des Werberats diese Entwicklung ganz deutlich: "Beschwerden über Sex in der Werbung werden allmählich weniger", berichtet Nickel.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum die Gesellschaft sich nicht mehr über nackte Haut in der Werbung beschwert - und was das bayerische Lokalkolorit damit zu tun hat.

Sex sells? Von wegen!

Auch der Wirtschaftspsychologe Klaus Moser von der Universität Erlangen konstatiert inzwischen "wenig Aufregung" beim Thema Sex. Moser kann auch die Wandlung der Lätta-Werbung in Worte fassen, die stellvertretend den Sinneswechsel der gesamten Werbewirtschaft beschreibt: "Die plumpe Frontalnacktheit ist zurückgegangen."

Und das wohl aus purem Pragmatismus. Denn die Industrie habe bemerkt, dass nackte Körper nicht immer helfen, ein Produkt zu verkaufen, sagt der Psychologe. Werbung mit nackten Körpern sei "gar nicht so zweckmäßig", erklärt Moser. Es entstünden gewisse "Ablenkungseffekte". Im Klartext bedeutet das: Der Zuschauer konzentriert sich auf die nackte Frau - aber nicht auf das Produkt, das sie in der Hand hält.

Auch aus einem anderen Grund verkauft sich Sex längst nicht mehr so gut wie früher: "Die Gesellschaft ist offener und liberaler geworden", sagt Volker Nickel. Was früher ein Aufreger war, ist heute Normalität. "Werbung spiegelt immer die Entwicklung der Gesellschaft wieder", sagt der Werbe-Experte. Deutschland im Jahr 2008 ist aufgeklärter, auch das Internet mit vielen kostenlosen Sex-Seiten hat dazu beigetragen, dass die Tabus von einst heute keine mehr sind. Also gibt es auch keine Aufreger mehr. Die Gesellschaft ist abgestumpft.

Ärger um die "Löwengrube"

Die Industrie hat das eingesehen, lässt den Sex aus den Spots - und setzt nun lieber auf softe Erotik und halbnackte Körper. "Es gibt mehr Erotik in der Werbung als früher", hat Werberat Nickel bemerkt - und das vor allem in Medien, in denen man erotische Frauenmotive am wenigsten erwartet. In einer Untersuchung hat der Erlanger Professor Moser herausgefunden, dass ausgerechnet in Frauenzeitschriften überdurchschnittlich viele leichtbekleidete Frauen zu sehen sind. Damit sollten die Frauen jedoch nicht stimuliert werden, sagt Moser: "Es geht darum, zu zeigen: So schön kannst du aussehen."

Wenn Nickels These stimmt, wenn Werbung tatsächlich die Entwicklung einer Gesellschaft widerspiegelt und Frauen gar selbst mit erotischen Körpern zum Kauf von Produkten angeregt werden wollen - dann erklärt das zwangsläufig, warum die Sex-Klagen beim Werberat seltener werden. Natürlich gibt es keine einhellige Meinung aller Frauen. Doch in einem Feminismus, wie ihn etwa Alice Schwarzer vertritt, erkennen sich heute immer weniger Frauen wieder. Möglicherweise hebt das die Toleranzschwelle.

Ausnahmen gibt es natürlich immer: Beim Werberat ging kürzlich eine Klage über ein Plakat der Münchner Löwenbräu-Brauerei ein. Das Motiv zeigt ein weibliches Dekolleté in Großaufnahme. Die Dame trägt Dirndl, so viel ist gerade noch zu sehen, sie hält eine Maß Bier in der Hand. Darunter steht: "Löwengrube".

"Es gibt ein gewisses Rückzugsverhalten"

Die Beschwerde - sie kam von einer Frau - ist die Ausnahme. Frauen würden sich immer seltener über derartige Motive beschweren, sagt Werberats-Sprecher Nickel. Professor Moser glaubt, das liegt auch an einem wachsenden Egoismus, der sich in der Gesellschaft breitmacht. Immer weniger Menschen würden sich in Vereinen oder Organisationen engagieren, sagt Moser: "Es gibt ein gewisses Rückzugsverhalten." So sei auch die Bereitschaft, sich die Mühe einer Beschwerde zu machen, wohl zurückgegangen - auch wenn die Werbebranche noch immer gerne an allen möglichen Tabus kratzt: "Geschmacklose Werbung gibt es nach wie vor", betont Moser.

Die Löwenbräu-Werbung gehört nach Ansicht von Volker Nickel jedoch nicht dazu. Man müsse bedenken, dass viele Kellnerinnen in Bayern in Dirndln arbeiteten, die "naturgemäß tiefe Einblicke geben".

Der Deutsche Werberat hat die Beschwerde abgelehnt.

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