Denkschulen:Eine neue Generation

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Früher waren Deutschlands Ökonomen angebotsorientiert, ordoliberal, wirtschaftskonservativ. Dafür fochten sie. Ihre Nachfolger sind geschmeidiger und oft auch pragmatischer.

Von  Marc Beise

Sigmar Gabriel hat mal Lehrer gelernt, mit den Fächern Germanistik, Politik und Soziologie, heute ist er SPD-Vorsitzender. Seine Generalsekretärin Yasmin Fahimi, 47, ist Diplom-Chemikerin. Sie engagierte sich zunächst bei der SPD-Jugend und gehörte in Hannover der Leitung der marxistischen "Juso-Linken" an. Es gibt Wirtschaftsprofessoren, die diese Lebensläufe kürzlich gegoogelt haben - nachdem beide SPD-Politiker sich abfällig über das aktuelle Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geäußert hatten. Namentlich Fahimi ließ es krachen, für sie wurde die mehrhundertseitige Studie wissenschaftlichen Anforderungen nicht gerecht, sie "scheint mir in seiner ganzen Methodik nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein."

Darüber kann man nun streiten, interessant aber war die Einlassung vor allem deshalb, weil sie einen Autoritätsschwund belegt. Merke: Man darf heute, auch ohne eigene Sachkompetenz, Deutschlands höchstrangige Wirtschaftsprofessoren mal eben so abwatschen. Ganz offensichtlich verschiebt sich gerade etwas im Verhältnis zwischen Wirtschaftswissenschaft und Politik.

Der Einfluss der "Fünf Weisen" auf die praktische Politik war in den Sechziger- und Siebzigerjahren offensichtlich. Und noch des Kanzlers Schröder Agenda 2010 fußte wesentlich auf einem Jahresgutachten aus Wiesbaden. Mehr noch: Früher war der Sachverständigenrat eine Instanz, so wie Verfassungsgericht, Kartellamt und Bundesbank. Heute dagegen wird das Gremium um den Präsidenten des Essener Forschungsinstituts RWI, Christoph M. Schmidt, 51, vermehrt als Club ewig-gestriger Prinzipienreiter wahrgenommen, und der einzige "Linke" im Gremium, der Würzburger Professor Peter Bofinger, 60, gerät dann sogar in Mithaft.

"Ordnungspolitik", das ist die Fahne, unter der die Mehrheit im Sachverständigenrat marschiert, und das heißt: Im Zweifel mehr Markt und weniger Staat, mehr Wettbewerb und weniger Dirigismus. Wer es noch ein bisschen zugespitzter will, kann das auch "neoliberal" nennen, allerdings nicht in dem abfälligen Sinne, wie das Wort heute verwendet wird, also als Ruf nach einem Kapitalismus pur, sondern als freiheitliche Antwort auf die Planwirtschaften von rechts (NS-System) und links (Staatssozialismus).

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov / SZ)

Es ist interessant, dass sich ausgerechnet SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Gabriel kürzlich bei der Jahrestagung der weithin bekannten Denkfabrik Ifo-Institut in München als Anhänger eines richtig verstandenen Neoliberalismus outete und auch sonst viele freundliche Worte für die klassischen deutschen Ökonomen fand. Der Festredner war allerdings so auffällig milde, wie man das kennt, wenn jemand in den Ruhestand oder sonstwohin verabschiedet wird. In diesem Fall war der Jubilar der im kommenden Jahr aus seinen Ämtern scheidende Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, 67, mit dem die SPD sonst nicht sehr viel am Hut hat. Der überaus streitbare und populäre Sinn war zwar nie Mitglied des von der Politik bestimmten Sachverständigenrats, da waren die Sozis vor, er gehört aber in die Riege der traditionellen Ökonomen, die man in einer groben Einteilung als eher "rechts" bezeichnen kann.

Sinns bereits gewählter Nachfolger, Clemens Fuest, ist 46 und also zwei Jahrzehnte jünger. Er kommt von einem anderen großartigen Institut, dem ZEW in Mannheim, wo er auch bereits Nachfolger eines älteren Herren war: Wolfgang Franz, 71, ebenfalls ein furchtloser ordnungspolitischer Kämpfer und einst Vorsitzender des Sachverständigenrats. Dort gibt es übrigens das ungeschriebene Gesetz, dass ein Mitglied den Segen der Gewerkschaften haben soll, und eines den der Arbeitgeber. Franz brachte das Kunststück fertig, erst auf dem "linken" und dann auf dem "rechten" Ticket berufen zu werden; wobei die erste Zuordnung aus heutiger Sicht eher ein Betriebsunfall war.

Das besonders traditionsreiche und regierungsnahe Institut wiederum , das DIW in Berlin, wurde lange von Klaus Zimmermann, 62, geführt, der auch am privaten Bonner IZA den Chef-Hut aufhat. In Berlin folgte ihm Marcel Fratzscher 44, den Wirtschaftsminister Gabriel nicht nur bei Jubiläen lobt, sondern eigentlich immer. Beim IWH in Halle ging die Zeit der älteren Herrn 2013 mit der neuen Chefin Claudia Buch, 49, zu Ende, die nun Vize-Präsidentin der Bundesbank ist; ihr Nachfolger Reint E. Gropp, 48, ist zwar wieder ein Mann, aber auch ein jüngerer.

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SZ-Grafik: Lisa Bucher; Quelle (6): Dritte große Ökonomenumfrage von Neuewirtschaftswunder.de / SZ, Mai/Juni 2015

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SZ-Grafik: Lisa Bucher; Quelle (6): Dritte große Ökonomenumfrage von Neuewirtschaftswunder.de / SZ, Mai/Juni 2015

Auch im Sachverständigenrat sitzt mittlerweile eine Frau, Isabel Schnabel, 43, Professorin an der Universität Mainz, die früher mit Rolf Peffekoven, heute 76, einen Traditionalisten entsandte. In München lehrt Monika Schnitzer, 53, die seit diesem Jahr auch neue Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik ist, der wichtigsten und größten Ökonomen-Vereinigung in Deutschland. Auch Sinn war hier schon Chef.

So könnte man die Aufzählung fortsetzen, und stellt dann fest, dass sich an der Spitze der Ökonomengilde derzeit ein Generationenwechsel vollzieht. Diejenigen, die nachkommen, darf man nicht über einen Kamm scheren, zu unterschiedlich sind die Leuchttürme der Profession. An vielen Universitäten wird vor allem gerechnet, oder es werden Feldversuche organisiert. Die allgemeine Wirtschaftspolitik, die eher eine Denkübung ist und ein Werturteil, gerät aus der Mode. An der früher für ihre Ordnungspolitiker gerühmten Kölner Universität gab es vor einigen Jahren eine durchaus exemplarische Debatte darüber, wie Lehre und Forschung heute betrieben werden sollten.

Zwar lassen sich auch Professoren wie Fuest und Fratzscher, die im Einflussranking Sinn bereits auf dem Fuße folgen, auf ordnungspolitische Debatten ein, aber sie sind geschmeidiger, im Ton verbindlicher und auch fokussierter. Sie sind übrigens auch internationaler, als man es aus der jetzt abtretenden Generation kennt. Der neue Ton wird wohl eines bewirken: Wissenschaft und Politik kommen wieder mehr ins Gespräch.

Es wird spannend sein zu sehen, wann der Generationenwechsel auch die Mehrheit im Sachverständigenrat erreicht, und ob dieser dann an seine gestaltende Wirkung früherer Jahrzehnte wieder anknüpfen kann. Und ob das überhaupt gut ist, oder ob der Sachverständigenrat nicht doch besser der ordnungspolitische Mahner von außen bliebe.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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