"Degler denkt":Wulff findet in der Wirtschaft statt

Christian Wulff hat sich in alle Ruhe zum wichtigsten Wirtschaftspolitiker der Union vorgearbeitet.

Dieter Degler

Stellen Sie sich mal kurz einen Regierungschef vor, der tatsächlich regiert. Der zum Beispiel die Zahl aller Gesetze halbiert. Wäre doch nicht übel! Und der dann noch die Neuverschuldung der Staatskasse um 80 Prozent senkt. Geht nicht? Und der zu guter Letzt auch noch freiwillig seine Macht teilt und den Parteivorsitz einem anderen überlässt? Gibt's nicht?

Christian Wulff, Foto: dpa

Christian Wulff zieht bei Conti und Volkswagen im Hintergrund die Strippen.

(Foto: Foto: dpa)

Christian Wulff, Ministerpräsident von Niedersachsen, hat es vorgemacht.

Der Mann, der mit fast 50 Jahren immer noch so aussieht, als käme er gerade vom Fotoshooting für ein Feuerzangenbowle-Remake, macht so erfolgreich Politik, dass ihm die Wähler des lange Zeit von den Sozialdemokraten beherrschten Bundeslandes im vergangenen Jahr mit genügend Stimmen ausstatteten, um trotz des Einzugs der Linken ins Parlament eine liberalkonservative Regierung bilden zu können.

Kurz: Linke drin, Schwarz-gelb regiert - der Traum im Albtraum der großkoalitionär gefrusteten Konservativen für die Bundestagswahl.

Seither ist Wulffs Revier stetig gewachsen, auch wenn der Stellvertreter von Parteichefin Angela Merkel weitergehende Absichten stets unkommentiert lässt, behutsam dementiert oder auf sein ausgefülltes Leben als Landesvater verweist. Beharrlich und unauffällig hat er jene Lücke geschlossen, die der Abgang des ehrgeizigen Friedrich Merz ins Profil der Partei gerissen hat.

Der Sonnyboy aus dem Norden

Wenn heute jemand die ökonomische Kompetenz der Union verkörpert, ist es nicht der medial begabte Jungtürke Klaus-Theodor zu Guttenberg, der sich nach einem fruchtarmen Gespräch bei General Motors am Broadway inszeniert, als hätte er erfolgreich die gesamte Autowelt restrukturiert. Es ist auch nicht Laurenz Meyer, der offizielle Wirtschaftspolitische Sprecher der Partei, den die NRW-Union für die Wahl so weit auf der Landesliste nach unten durchreichte, dass er dem nächsten Bundestag kaum angehören dürfte.

Nein, es ist der Sonnyboy aus dem Norden, der aus den ausgedörrten Tiefebenen christdemokratischer Wirtschaftskompetenz fast schon wie ein kleiner Gigant herausragt. "Ich will mithelfen", bescheidet er sich, "das marktwirtschaftliche Profil der Union zu schärfen."

"Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt", sagte einst der inzwischen verstorbene Bundeswirtschaftsminister Günther Rexrodt. Für Wulff gilt: Er findet in der Wirtschaft statt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Christian Wulff - mittendrin im Machtkrimi.

Mittendrin im Machtkrimi

Der Ministerpräsident greift aktiv ein. Wo andere Wirtschaftsgrößen der Union reden und danach in die Kamera sympathische Nullsätze sprechen, mischt er bei großen Konzernen direkt mit. Zum Beispiel im Fall Schaeffler-Continental. Seit das vergleichsweise kleine fränkische Familienunternehmen Schaeffler aus Herzogenaurach sich mit der Übernahme des Global Players Conti übernommen hat, zieht Wulff aus Hannover die Fäden.

Er will den Hannoveraner Autozulieferer aus dem Strudel herauszuhalten oder gar ein reverse takeover erreichen - die Übernahme von Schaeffler durch Conti. Da zieht er den Betriebsrat und den Vorstand auf seine Seite.

Auch im Machtkrimi zwischen den Weltfirmen Porsche und Volkswagen mischt Wulff mit - als Vertreter des niedersächsischen 20-Prozent-Anteils an VW und als Verbündeter von Ferdinand Piech, des mächtigen VW-Chefaufsehers.

Beharren auf 20 Prozent

Beharrlich behauptete Wulff die gesetzlich abgesicherte Ausnahme-Sperrminorität von 20 Prozent, die Porsche zur Weißglut bringt, weil sie den Zugriff der Sportwagenbauer auf die gut gefüllten Kassen der Wolfsburger vereitelt. Diese Schlüsselposition bringt den VW-Aufsichtsrat Wulff nun, da sich Porsche angeblich in gewisse Finanzierungsrobleme manövriert hat, in die Rolle des Moderators zwischen den beiden Fraktionen.

Am Ende, hoffen viele in Wolfsburg, könnte mit Wulffs Hilfe auch hier eine Umkehrung der Übernahme herauskommen - also das Modell reverse takeover wie bei Conti. Die in Zuffenhausen einst geplante Zerschlagung von VW durch Porsche jedenfalls hat der CDU-Politiker mit der Sperrminorität des Landes Niedersachsen verhindern können. Im Wolfsburger Aufsichtsrat kann er sich dabei der Stimmen der Arbeitnehmervertreter sicher sein.

Sicher, Wulff gelingt nicht alles. Den Cabriobauer Karmann in seiner Heimatstadt Osnabrück hat er nicht retten können. Seine Bildungspolitik ist umstritten, in der Umweltpolitik ist das Land von einem Spitzenplatz auf die hinteren Ränge zurückgefallen. Es ist auch schon etwas her, dass ihn das Weltwirtschaftsforum in Davos (im Jahr 1995) zu einem der "100 Global leaders for tomorrow" machte. Und manchmal rutscht dem sonst so zivilisiert auftretenden Regierungschef auch was Grobes raus, etwa wenn er die SPD wegen ihrer Forderung nach einer Reichensteuer "Vollpfosten" nennt.

Doch der niedersächische Landeschef und Wirtschafts-Strippenzieher ist in der Union auf dem Vormarsch. Der Verzicht auf den Vorsitz der Landespartei hat ihm Spielräume in der Wirtschaftspolitik und auf Bundesebene eröffnet - und eine Lauerposition auf die Poleposition: Scheitert Angela Merkel im Herbst oder zeigt sie große Schwächen, dann läuft alles auf Wulff als Ersatzkandidat zu.

Oder wenn die Kanzlerin nach dem 27. September weiterhin mit der SPD eine Kompromissregierung führen, könnte der innerparteiliche Unmut so groß werden, dass Wulff der Parteivorsitz zufiele. Wenn alles anders kommt, und es Merkel doch gelingt, in Berlin eine bürgerliche Mehrheit aus CDU/CSU und FDP zu etablieren, bleibt der Jurist einfach in Hannover.

Das, wird Wulff dann sagen, habe er schließlich immer gewollt. Und sich dann um Conti und VW kümmern.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: