Das Leben nach der Arbeit:Umzug ins Ungewisse

Manche Senioren suchen im Ruhestand ihr Glück in der Ferne. Sie gehen ins Ausland oder in Gegenden, wo schon viele Gleichaltrige leben. Die mobilen Alten - ihre Hoffnungen, ihre Enttäuschungen.

Von Michael Kuntz

Das Erbe bestand aus einer Rechnung. Ein Krankenhaus in Thailand forderte von den Hinterbliebenen 30 000 Euro für medizinische Leistungen, die letztlich das Ableben des deutschen Auswanderers nicht abwenden konnten. Leichnam gegen Geld - das Begleichen der Forderung sei Voraussetzung für eine Bestattung des Verstorbenen. Die Familie in Deutschland war schockiert. Ein Sohn machte sich auf den Weg nach Asien, und tatsächlich ließen die Medizin-Manager dort mit sich reden. Die endgültige Rechnung fiel nach dem Besuch vor Ort deutlich niedriger aus, und auch eine würdige Trauerfeier ließ sich arrangieren.

Eher selten endet ein Leben mit so abenteuerlichen Begleiterscheinungen wie in diesem Fall, der realer war, als es sich die Beteiligten jemals hätten ausmalen wollen. Denn nur wenige Menschen wagen den Umzug in die weite Ferne, wenn sie nach dem Berufsleben vom düsteren Winter in der Heimat die Nase voll haben und auch über die nötigen finanziellen Mittel verfügen. Einige kaufen erst einmal ein Wohnmobil, nur die ganz Mutigen bestellen gleich den Spediteur.

Darauf deuten jedenfalls die Zahlen der Deutschen Rentenversicherung. Die überwies im vorigen Jahr an 229 160 Deutsche ihre Renten ins Ausland. Die wilden Alten sind unterwegs - mit 70 Jahren heute in der Regel fit und gesund wie vor zwei Jahrzehnten die 60-Jährigen. "Das Lebensalter sagt immer weniger über die Fähigkeiten des Einzelnen aus", lautet die Diagnose von Manfred Gogol, Direktor der Klinik für Geriatrie in Coppenbrügge. Nach den durch zwei Weltkriege dezimierten Jahrgängen erreicht eine andere Generation das Rentenalter: Quicklebendige und erlebnishungrige Menschen, die gesünder sind und wohlhabender, mobiler.

Die meisten Deutschen, die ins Ausland umziehen, bleiben in Europa. Die Schweiz, Spanien und Portugal sind beliebte Ziele. Neben den USA und Südafrika werden exotische Länder wie Thailand und die Philippinen angesteuert. Auch außerhalb der Europäischen Union bleibt ein Rentenanspruch erhalten, solange die Empfänger ihre Staatsbürgerschaft erhalten.

Auswanderer sollten sich nicht auf Touristen-Visa verlassen. Die müssen oft nach neunzig Tagen erneuert werden. Schlecht, wenn das mal nicht klappt. Einige Staaten haben spezielle Visa für Ruheständler. Voraussetzung kann ein monatliches Mindesteinkommen sein, auch ein nachgewiesenes Bankguthaben. Die Vorschriften ändern sich immer mal. Mitunter verändern sich auch die Verhältnisse in einem Land.

Illu Rente

Illustration: Stefan Dimitrov

Ein aktuelles Beispiel ist die Türkei: War die Überwinterung in einem Küstenort im Süden bisher sicher keine schlechte Idee, so ist das vielleicht nicht mehr so eindeutig zu beurteilen nach den jüngsten politischen Entwicklungen im Land.

Wer sich allgemein über die Lebensbedingungen in fremden Ländern informieren will, kann dies im Internet auf unterhaltsame Weise tun auf der Seite www.ifitweremyhome.com, wo sich der Lebensstandard zwischen dem Heimatland und der Auslandsziel vergleichen lässt.

Nun muss man nicht gleich ins Ausland umziehen, auch in den Alpen und an den Küsten scheint die Sonne kräftiger und ist die Luft sauberer als in den Wirtschaftszentren der Großstädte, im Rhein-Main-Gebiet oder an Rhein und Ruhr.

Es gibt durchaus Orte in Deutschland, wo es sich im Alter aushalten lässt und man Senioren sogar ausdrücklich willkommen heißt. Dazu zählt das Tegernseer Tal mit vielen gemäßigt sportlichen Aktivitäten, einem eher klassisch sortierten Einzelhandel, der traditionellen und teilweise edlen Gastronomie sowie Menschen als Nachbarn, die noch in der Blüte ihres Fußballer-Lebens stehen oder sonst irgendwo mal ordentlich Karriere gemacht haben.

Baden-Baden ist der Klassiker unter den Alterssitzen, traditionell auch beliebt bei vermögenden Gästen aus Osteuropa. Dort verteilen sie einen Senioren-Ratgeber, der alles penibel auflistet von den Thermen, Fahrdiensten und Pflegeheimen bis zum Spielcasino. Broschüre lesen statt googeln, das ist Baden-Baden.

Weniger auffällig hat sich Bad Kissingen zu einem Lieblingsort für gut situierte Senioren entwickelt. Das Hotel ruft routiniert den Rettungswagen, die Gastronomie bietet kleinere Portionen, Kurkonzerte finden ihr Publikum und lange Spaziergänge sind am schönen Ufer der Saale möglich, auch mit Rollator. Die klare Arbeitsteilung: Rüstige Alte haben das Geld und junge Dienstleistungskräfte, oft aus Osteuropa, verdienen Geld in Bad Kissingen.

Auch wenn das oft anders gesehen wird, aber ein Anspruch darauf, dort im Alter wohnen zu bleiben, wo man gearbeitet hat und sich nun den Ruhestand nicht mehr leisten kann - einen solchen Anspruch mag es politisch geben, rechtlich gibt es ihn jedenfalls nicht. Also wird mancher Umzug schlicht und spaßfrei der Senkung der Kosten für die Lebenshaltung dienen.

Irgendwann ist es zu spät für einen Rückflug aus der neuen Heimat

Wer im Alter sparen muss, zieht in das konkurrenzlos billige Wilhelmshaven. Wer sich dem revoluzzergeprägten Wendland oder dem multikultihaften Bergmannkiez in Berlin mental entwachsen fühlt, dem gefällt es vielleicht in den menschenleeren Gebieten in Nordhessen oder dem Saarland. Oder er zieht in die Uckermark; nach den Maßstäben der Unesco handelt es sich um unbesiedeltes Gebiet. Längst kein Geheimtipp unter Älteren mehr ist Görlitz mit etlichen preiswerten Wohnungen in Jugendstilhäusern und den polnischen Billigwerkern am gegenüberliegenden Ufer der Neiße. Da immer mehr Singles alt werden, spielt es bei der Ortswahl auch keine so große Rolle mehr wie früher, ob die Familie in der Nähe wohnt. Wo Angehörige sich nicht besuchen, ist letztlich egal.

SZ-Serie

SZ-Serien-Finale: Folge 26

Viele glauben, am Beginn des Ruhestandes mit der eben ausbezahlten Lebensversicherung die vor ihnen liegenden Jahre perfekt organisieren zu müssen. Neues Auto, neue Wohnung, neue Partner. Doch so funktioniert das Leben nicht. Es bietet Überraschungen, angenehme und weniger angenehme: Niemand weiß, wann er dement wird, wann er Hilfe braucht, wann eine Pflegekraft ihm Windeln anlegen muss, wann die Kräfte nur noch für ein Leben zwischen Bettkante und Toilettenstuhl ausreichen - im Heim oder daheim. In der Nähe oder in der Ferne. Irgendwann ist es zu spät für den Rückflug aus dem Ausland.

Auch das letzte Drittel des Lebens besteht aus mehreren Abschnitten, die sich nicht immer leicht erkennen lassen. Sie lassen sich erahnen am Anteil der Pflegebedürftigen an der jeweiligen Altersgruppe. Liegt diese Pflegequote für 65-jährige bei drei Prozent, so erhöht sie sich zehn Jahre später auf zehn Prozent und mit 85 bis 90 Jahren braucht jeder Dritte Hilfe.

Ein Leben in der Ferne mag locken, später mag auch die Nähe reizvoll sein. Wer sich dessen bewusst ist, wird sich nicht der Illusion von auf Dauer perfekten Lösungen hingeben und sich seine Freiheit erhalten, solange es geht. Die Voraussetzungen dafür sind gut, sagt der Nürnberger Altersforscher Frieder Lang: "Mehr Menschen als früher haben die Möglichkeit, ihr Alter nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Das erhöht die Lebensfreude und dadurch die Gesundheit." Auch in Thailand ist das so, zumindest eine Zeit lang.

Reicht die Rente in Zukunft zum Leben? Wie kann ich zusätzlich vorsorgen? Wie ändert sich das Leben alter Menschen? Die SZ-Serie "Unsere Zukunft, unsere Rente" beschäftigt sich mit den wichtigsten Aspekten des Ruhestands.

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