Das extreme Wetter und seine Folgen:Kümmerkorn und olle Knollen

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Abwechselnd Dauerregen und extreme Hitze: Die Folgen dieses eigenwilligen Rekordsommers bekommen vor allem die Landwirte zu spüren. Die Weizenernte wird miserabel ausfallen und sogar die Pommes frites werden kürzer.

Martin Kotynek

Es knirscht und knackt, wenn Bauer Hans-Heinrich Blanke über seine Felder geht. Seine Getreidepflanzen haben sich gelb verfärbt, seine Weiden gleichen einer Steppe, der Landwirt fürchtet um die Ernte. "Das wird eine Katastrophe", sagt Blanke, der im Allertal zwischen Hannover und Bremen mehrere Hektar Ackerland bewirtschaftet. "Die Hälfte des Roggens werden wir wohl verlieren." Dabei hat Blanke noch Glück. Seinen Nachbarn, die den empfindlichen Weizen anbauen, droht Schlimmeres.

Eine Handvoll Kummer: Besonders deutlich sind die Auswirkungen des extremen Wetters auch bei den Spätkartoffeln zu erkennen. Die Hitze hält die Knollen klein - und damit schrumpfen auch die Pommes frites. Ein Landwirt aus dem westfälischen Ort Werl zeigt, was ihn bedrückt. (Foto: dpa)

Während sich viele Menschen im Frühjahr über Dauerregen geärgert haben und sich nun über eine lange Hitzewelle freuten, machen die extremen Wetterverhältnisse in diesem Jahr den Bauern zu schaffen. Vor allem in Nord- und Ostdeutschland rechnen die Landwirte mit starken Einbußen bei der Ernte. Beim Weizen, Deutschlands wichtigstem Getreide, könnten die Erträge gegenüber dem Vorjahr um ein Fünftel zurückgehen, schätzt der Bauernverband.

Erst war es sehr lange sehr kalt, noch im März gab es Frosttage, an denen die Temperatur nicht über null Grad Celsius stieg. Weil der Schnee lange auf den Feldern liegengeblieben war, konnten viele Landwirte erst sehr spät Gerste, Zuckerrüben, Mais und Kartoffel aussäen. Kaum gepflanzt, konnte sich das Getreide nur verzögert entwickeln, im April blieb es recht kühl. Doch dann kippte das Wetter ins andere Extrem: Normalerweise können die Pflanzen ihren Entwicklungsrückstand aufholen, sobald wieder die Sonne scheint und es feucht ist. Seit Mitte Juni bleibt der Regen aber aus, eine Dauerhitze plagt die Pflanzen. Laut Deutschem Wetterdienst wird der Juli im Vergleich zu historischen Daten deutlich zu warm ausfallen.

Darauf reagieren die Getreidepflanzen in Teilen Nord- und Ostdeutschlands mit etwas, vor dem sich Bauern fürchten: der Notreife. Wegen des Wassermangels kann die Pflanze nicht ausreichend Nährstoffe von den Wurzeln zur Ähre transportieren. Um die nächste Generation zu retten, beeilt sich die Pflanze mit der Reifung: Statt eine pralle Ähre auszubilden, entstehen viel zu früh wenige, winzige Körner. Statt 60 bis 80 Körner pro Ähre zählen Landwirte vielerorts gerade einmal 20. In der freien Natur würde die Pflanze absterben und darauf setzen, dass die Körner aufkeimen, sobald wieder Regen fällt. Für Landwirte bedeuten kleine Körner eine frühe Ernte mit wenig Ertrag. Als wertvolles Getreide für Backwaren können sie das winzige Kümmerkorn nicht mehr verkaufen - stattdessen müssen sie die wenigen, kleinen Körner als billiges Futtermittel abgeben, das an das Vieh verfüttert wird.

Notreife tritt regional immer wieder auf, doch es ist selten, dass sie so früh im Jahr zu beobachten ist und so große Teile des Landes betroffen sind, klagt der Bauernverband. Je früher sie eintritt, desto weniger weit entwickelt ist das Korn und desto schlechter die Ernte. "Mein Vater ist jetzt 85 Jahre alt, er kann sich nur an das Jahr 1959 erinnern, in dem bei uns so etwas passiert ist", sagt Bauer Blanke. Landwirte wie er, die auf den sandigen Böden in Nord- und Ostdeutschland anbauen, sind bei einer drohenden Notreife besonders gefährdet. Solche Böden können das Wasser nicht so gut speichern wie die lehmige Erde im Süden des Landes. In Bayern haben die Bauern daher auch kaum Probleme, hinzu kommt, dass es dort in diesem Jahr viel häufiger geregnet hat als in Norddeutschland. Während der Mais in Ostdeutschland zu verkümmern droht, ist er in Bayern oft schon zweieinhalb Meter hoch.

In der Landwirtschaft ist es normal, dass auf gute Jahre auch immer wieder schlechte folgen. Im vergangenen Jahr haben die deutschen Bauern fast 50 Millionen Tonnen Getreide geerntet - ein Rekordwert. In diesem Jahr werden es wohl nur 45 Millionen sein. Doch auch im Jahr 2007, als die Landwirte nur 40 Millionen Tonnen Getreide eingefahren haben, kamen sie damit zurecht. Wenn die Erträge sinken, steigt nämlich der Preis für das Getreide auf dem Markt. Schon jetzt wird Getreide, das im November geliefert werden soll, an der Euronext-Börse in Paris so teuer gehandelt wie seit zwei Jahren nicht mehr. Die Ernteausfälle und die Investitionen in Dünge- und Unkrautvernichtungsmittel können die Bauern daher meist durch die höheren Abnahmepreise ausgleichen. Weniger glücklich sind darüber hingegen jene Bauern, die ganz klassisch Gras, Getreide und Mais anbauen, um damit das eigene Vieh zu füttern - meist sind das Milchbauern, die wegen des niedrigen Milchpreises ohnehin oft finanzielle Sorgen haben. Wer auf sandigen Böden lebt, muss in diesem Jahr wohl Futter auf dem Markt zukaufen, um die Tiere über den Winter zu bekommen - zu deutlich höheren Preisen als sonst.

Über Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln müssen sich die Verbraucher jedoch keine Sorgen machen. Mängel lassen sich leicht durch Importe ausgleichen. Die zu erwartenden Ernteausfälle werden jedoch dazu führen, dass vor allem wenig verarbeitete Lebensmittel wie Obst und Gemüse teurer werden. Der Bauernverband rechnet hier mit "moderaten Preiserhöhungen". Brot und Gebäck sollten aber nach Ansicht der Bauernvertreter kaum teurer werden. Bei Backwaren macht das Getreide nämlich nur fünf Prozent des Produktpreises aus.

Deutlich sichtbar werden die Auswirkungen des extremen Wetters jedoch bei den Spätkartoffeln: Die Hitze hält die Knollen klein - und damit schrumpfen auch die Pommes frites. Der deutsche Pommes-Jahrgang 2010 wird mit einer Maximallänge von 4,5 Zentimetern auf den Teller kommen.

© SZ vom 24.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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