Das deutsche Valley:Europa ist anders

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Der Stanford-Ökonom Burton Lee sagt: "Wir haben nicht verstanden, dass es im Modell des Silicon Valley große Lücken gibt." Deshalb versucht er seinen Studenten die Kultur und Werte der alten Welt zu vermitteln - und dazu gehört die Tradition der Familienunternehmen.

Von Ulrich Schäfer

Das erste Mal war Burton Lee als Kind in den 1970er-Jahren in Europa, mit seinem Vater ist er durch Skandinavien gereist, durch Frankreich, Spanien, Deutschland. Natürlich hat er, Pflichtprogramm für Amerikaner, Neuschwanstein gesehen, er ist in den Alpen gewandert, und wo es schön war, hat er mit seinem Vater gezeltet.

Den Kindern die Kultur und Geschichte in Europa nahezubringen: Das hat Tradition bei den Lees. Schon seine Urgroßeltern haben ihren Kindern die alte Welt gezeigt, die Großeltern haben es gemacht, ebenso sein Vater, und so war es für Burton Lee nur ein kleiner Schritt, in Deutschland zu studieren: An der Ludwig-Maximilians-Universität in München beschäftigte er sich von 1975 bis 1977 mit Physik und Sowjetischer Wirtschaft, er hatte ein Zimmer in der Maxvorstadt, und weil er die sowjetische Planwirtschaft besser verstehen wollte, besuchte er kommunistische Studentengruppen in Ungarn, die ihn anfangs für einen CIA-Agenten hielten.

Die Faszination für Europa hat Burton Lee sich bis heute bewahrt, er lebt zwar im Silicon Valley, dem Herzen des Digital-Kapitalismus, wo man meint, sich für den Rest der Welt nicht interessieren zu müssen, weil man ja die Googles und Apples hat, aber Europas Ideale und Kultur versucht er auch seinen Studenten an der Stanford-Universität zu vermitteln, an jener Hochschule also, die einst Keimzelle des Valley war. Die Gründer fast aller großen Firmen, von Hewlett-Packard bis Google, haben hier studiert.

Lee glaubt, dass das, was in Stanford vermittelt wird, nicht ausreicht, deshalb ist "Innovation in Europa" seit neun Jahren sein Spezialgebiet, er holt europäische Gründer und Investoren nach Kalifornien und bringt deren Denken den Studenten in Palo Alto nahe. Er verstehe sich als ein Dolmetscher zwischen zwei Regionen, die nicht immer die gleiche Sprache sprechen: "Im Silicon Valley denken die meisten, dass man das dortige Denken einfach nehmen und in den Rest der Welt transportieren kann - aber das funktioniert nicht. Wir haben nicht verstanden, dass es im Modell des Silicon Valley große Lücken gibt. Da fehlt einfach etwas", sagt Lee.

Was er damit meint, illustriert Lee am Beispiel deutscher Familienunternehmen. Deren Geschichte fasziniert ihn sehr, wenn er nach Deutschland kommt - und das ist drei, vier Mal im Jahr, meist für ein paar Wochen -, berät er nicht bloß staatliche Innovationsagenturen, übernimmt Gastprofessuren oder hält Reden auf Digitalkongressen, sondern besucht stets auch ein paar Mittelständler, die sich seit mehreren Generationen in den Händen derselben Familie befinden. "Wir haben diese Familienunternehmen nicht, wir schaffen sie nicht und wir verstehen sie auch nicht", sagt Lee. "Die Firmen im Silicon Valley waren niemals dazu gedacht, von einer Familie geführt zu werden, gar über mehrere Generationen hinweg. Sie werden von ein paar Jungs gegründet, die sich zufällig zusammenfinden und das Ziel haben, das Unternehmen mit hohem Gewinn zu verkaufen. Bei Google oder Facebook können nicht irgendwann die Kinder der Gründer reinkommen und die Führung übernehmen."

Die Antwort auf die Kritik von Karl Marx, dass der Kapitalismus nicht human ist

Der andere große Unterschied: Im Valley gibt es, anders als in Deutschland, keine breit aufgestellte Industrie. Halbleiter, Gadgets: Das war's. Der Elektroautohersteller Tesla sei das einzige bedeutende Industrieunternehmen, das dort in den letzten Jahren entstanden sei. Aber die Valley-Firmen tun so, als wenn Software und Apps alles seien - und Industrie nichts. Lee sagt, er sei "ziemlich gelangweilt von den immer gleichen Tech-Storys. Intellektuell ist das Valley etwas dünn, da wird - wenn überhaupt - als Buch die Biografie von Steve Jobs gelesen, und das gilt dann als große Literatur". Und nicht wenige glaubten auch, moderne Innovationstechniken wie das Design Thinking, bei denen versucht wird, sich in die Probleme der Kunden hineinzudenken, "seien die Antwort auf die Kritik von Karl Marx, dass der Kapitalismus nicht human ist".

Lee möchte seinen Studenten vermitteln, dass die Welt bunter und differenzierter ist - und dass man auch von Europa lernen könne: "Wir sollten zum Beispiel mehr Familienunternehmer haben." Wenn man ihm dann entgegenhält, dass die USA gerade von einer Art Familienunternehmen regiert werden, mit den Trumps, die vor drei Generationen aus Deutschland eingewandert sind, und seither ihr Geld mit Immobilien verdienen, verzieht er den Mund und sagt: "Das ist natürlich der schlechteste Weg, um das bei uns einzuführen."

Als Dolmetscher zwischen den beiden Welten versucht Lee auch den Deutschen aufzuzeigen, was sich bei ihnen verändern müsse. Ganz zentral sei es, die Universitäten zu öffnen: für mehr privates Kapital, mehr Start-up-Denken. Immerhin: Es tue sich etwas, sagt er, die TU München zum Beispiel, mit ihrer Gründerinitiative "UnternehmerTUM", entwickele sich ähnlich wie Stanford zu einem Innovationszentrum, das immer mehr Firmen hervorbringe.

Und so sehr der Mittelstand auch für Stabilität bei seinen Mitarbeitern und im Land sorge: Er müsse bei der Digitalisierung schneller vorangehen. Das Problem dabei, so Lee: "Den Firmen wird ständig gesagt, dass sie sich digitalisieren müssen. Aber ihre Kunden sind oft noch nicht so weit - und dann fehlt dafür der Antrieb."

Burton Lee wird im Herbst wieder nach Deutschland kommen, dann ist er in Sachsen unterwegs. Er will noch besser verstehen, wie Deutschland und seine Wirtschaft funktionieren, und er will weiter zwischen den beiden Welten vermitteln. "My hope is", sagt er in einem hübschen Mix aus Deutsch und Englisch, "that there will be a Wende." Eine Wende in Deutschland, hin zu einer schnelleren Digitalisierung - und im Valley, hin zu mehr Verständnis für Europa.

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