Darlehensverträge:Bestraft fürs Kleingedruckte

Immobilien-Krise in Spanien: Orihuela Costa, 2012

Viele Spanier konnten 2008 ihre Häuserkredite nicht mehr zahlen.

(Foto: Johannes Simon)

Jahresbilanz verhagelt: Spanische Banken müssen zwei Millionen Kunden entschädigen, weil Kreditverträge aus der Zeit vor der Finanzkrise unverständlich waren, urteilt der Europäische Gerichtshof.

Von Thomas Urban, Madrid

Eigentlich waren die spanischen Bankmanager schon in Festtagsstimmung. Nach den harten Jahren der Krise sind in diesem Jahr die Aktienkurse bei fast allen Geldhäusern gestiegen, parallel zum Wirtschaftswachstum. 2015 hatten sie noch zu den Schlusslichtern in der Euro-Zone gehört. Gleichzeitig sank der Anteil der faulen Kredite. Doch nun hat der Europäische Gerichtshof ihnen die Jahresbilanzen verhagelt: Insgesamt fast 4,5 Milliarden Euro müssen mehrere Banken an ihre Kunden zurückzahlen.

Der Grund: eine rechtswidrige Klausel in Verträgen über Hypothekendarlehen, nach der die Kunden einen festen Zinssatz zu akzeptieren hatten, selbst wenn der Leitzins darunter lag. Der entsprechende Passus war durchweg im Anhang zu den Verträgen versteckt und überdies verklausuliert formuliert, so dass die möglichen Konsequenzen nach Auffassung der Richter von Durchschnittskunden nicht erkannt werden konnten. Nach einem Urteil des Obersten Gerichts in Madrid von 2015 waren bereits Rückzahlungen von mehr als 5,3 Milliarden Euro für überhöhte Zinssätze aus den beiden vorhergehenden Jahren zu leisten. 2013 hatte das Parlament eine Gesetzesnovelle verabschiedet, die entsprechende Zinsklauseln untersagte. Einige Banken setzten diese jedoch nicht um, woraufhin ein Interessentenverband von Kreditgeschädigten klagte. Fast ein Drittel der Verträge über Hypothekendarlehen enthielten diese nichtigen Klauseln.

Die Luxemburger Richter datierten den Beginn der Rückzahlungen auf 2008 zurück, das Jahr, in dem die spanische Immobilienblase platzte. Die Klauseln seien nicht erst mit der Entscheidung des Madrider Gerichtes unwirksam gewesen, sondern "von Anfang an". Somit müssen die Banken für ihre "Tricksereien im Kleingedruckten", wie es die linksliberale Tageszeitung El País nannte, insgesamt fast zehn Milliarden Euro aufbringen.

Das Urteil hat der Madrider Wirtschaftspresse zufolge die Branche völlig überrascht, man hatte sich bereits sicher gewähnt. Nun müssen Rückstellungen in Milliardenhöhe vorgenommen werden.

Welche Belastung dies darstellt, verdeutlicht ein Blick auf die Rettung des spanischen Bankensektors vor vier Jahren: Die auf der Verlustseite zu verbuchende Summe macht etwa ein Viertel der 41 Milliarden Euro an Krediten von der Europäischen Union und vom Internationalen Währungsfonds aus, mit denen 2012 die spanischen Banken vor dem Zusammenbruch bewahrt wurden.

Die Schieflage war die Folge des Platzens der gigantischen Immobilienblase vor knapp neun Jahren, an der die Banken mit der leichtfertigen Vergabe von Krediten sowie illusorischen Angaben über Wertsteigerungen einen großen Anteil hatten. Auch als mit der Krise innerhalb weniger Monate Zehntausende Kreditnehmer arbeitslos wurden und nicht mehr in der Lage waren, die Raten für die meist noch nicht fertiggestellten Immobilien zu begleichen, bestanden die Banken durchweg auf Vertragserfüllung und boten weder Kompromisse, noch Stundungen an. Die Luxemburger Entscheidung gibt den Klägern recht, die den Standpunkt vertreten, es habe sich dabei um Knebelverträge gehandelt, über deren Konsequenzen die Kunden nicht aufgeklärt worden seien.

Nach Bekanntgabe des Luxemburger Urteils gaben die Aktienkurse sämtlicher spanischer Banken nach. Betroffen sind vor allem Liberbank, La Caixa, der baskische Finanzkonzern BBVA sowie die ohnehin schwer angeschlagene Banco Popular. Für BBVA dürften die Rückzahlungen kein Problem darstellen, die Basken haben ihr Hauptgeschäftsfeld längst nach Lateinamerika verlegt.

Die Banco Popular ist zum Symbol des Größenwahns geworden. Jetzt könnte es für sie eng werden

Doch bei der Banco Popular könnte es nach der Einschätzung Madrider Experten eng werden. Die Bank hat nicht nur wegen Spekulationen Probleme bekommen. Sie hat außerdem langjährige Kunden verloren, nachdem sie Gebühren für einfache Dienstleistungen drastisch erhöht hatte. Seit dem Sommer hat die einst rentabelste Bank Spaniens nur mit Schreckensnachrichten aufwarten können: Die Aktionäre setzten wegen des Kursverfalls den Vorstand ab, und für das laufende Jahr wurden gar Verluste in Milliardenhöhe angekündigt, ganz gegen den Trend im spanischen Finanzsektor. Die unverkäuflichen Immobilien, die der Bank gehören, taxiert Standard & Poor's auf 30 Milliarden Euro. Ein theoretischer Wert, denn nur ein Bruchteil davon ist auf dem Markt zu erlösen. Ihre Aktien sackte weiter ab und verstärkte somit den Negativtrend der vergangenen Monate noch.

Die Bank wurde damit zu einem herausragenden Beispiel für den Größenwahn der spanischen Bankenmanager in Zeiten des Baubooms. Doch keiner von ihnen musste sich für die grob fahrlässige Geschäftspolitik verantworten, die nach Meinung von El País "dem gesunden Menschenverstand widersprochen hat".

Der Verband der spanischen Geschäftsbanken (AEB) erklärte, man werde das Urteil akzeptieren. Die nun erforderlichen Rückstellungen und Rückzahlungen gefährdeten die Stabilität des Bankensektors in keiner Weise.

Ein Sprecher der konservativen Volkspartei (PP), die unter Ministerpräsident Mariano Rajoy das Minderheitskabinett in Madrid stellt, sagte, die Regierung werde Sorge dafür tragen, dass die betroffenen zwei Millionen Kreditnehmer möglichst schnell ihr Geld erhalten. Auch die oppositionellen Sozialisten (PSOE) machten sich dafür stark.

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