Daimler/EADS: Verdacht auf Insider-Handel:Zu gut informierte Kreise

Dem Daimler-Konzern wird eine Art Millionen-Bluff vorgeworfen. Dessen Manager müssen erklären, warum sie Millionen EADS-Aktien verkauften, kurz bevor der Luftfahrtkonzern in Turbulenzen geriet.

Nicolas Richter

Rüdiger Grube, 57, gehört zu den seltenen deutschen Managern, die sich in ihrer Karriere beinahe mit sämtlichen Fortbewegungsmitteln beschäftigt haben. Der neue Chef der Deutschen Bahn kümmerte sich in vergangenen Jahren im Vorstand von Daimler ums Autogeschäft, und als Aufsichtsrat des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS hatte er gleichzeitig Airbus im Blick. Diese Doppelrolle freilich kann zu Interessenkonflikten führen, die nun zwar nicht Grube persönlich, wohl aber der Daimler AG angelastet werden.

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Daimler-Konzern: Misstrauische Behörden in Frankreich.

(Foto: Foto: AP)

Die französische Börsenaufsicht AMF verdächtigt den deutschen Konzern seit Jahren, vertrauliche Informationen missbraucht zu haben, um sich beim Verkauf eigener EADS-Aktien im Jahr 2006 zu bereichern. In diesen Tagen sollen die Verdächtigen - neben Daimler der französische Konzern Lagardère sowie 17 frühere oder amtierende Manager von EADS und Airbus - der französischen Börsenaufsicht AMF schriftlich ihre Argumente vorlegen. Im Spätherbst könnten die Aufseher über Sanktionen entscheiden, parallel ermittelt die französische Justiz.

Der Ermittlungsbericht der AMF vom März 2008 schildert auf 94 Seiten eine Art Millionen-Bluff: Demnach verkauften die Verdächtigen EADS-Aktien, bevor die Öffentlichkeit von großen Problemen bei Airbus erfuhr - Probleme allerdings, die Insider angeblich längst erkannt hatten. So trennte sich die damalige Daimler-Chrysler AG am 6. April 2006 von mehr als 61 Millionen EADS-Titeln. (Das Geschäft wurde zum Festpreis vereinbart, aus steuerlichen Gründen aber erst 2007 ausgeführt.) Als dann im Juni 2006 schwere Produktionspannen beim Großflugzeug A380 bekannt wurden, fielen die Aktien deutlich unter den Wert, zu dem Daimler verkauft hatte. Daimler weist die Vorwürfe zurück.

Der deutsche Großaktionär hatte laut AMF schon im Frühjahr 2005 erfahren, dass die Zukunft im Flugzeuggeschäft weniger rosig aussah, als es die Börsen vermuteten. Zum Beispiel war Daimler-Mann Rüdiger Grube bei einer Sitzung des EADS-Aufsichtsrats am 7. Juni 2005 anwesend, als ein Manager mitteilte, dass die Entwicklungskosten für das neue Langstreckenflugzeug A350 deutlich stärker steigen könnten als erwartet. Wenn dies bekannt würde, warnte der Manager, dann könne der Kurs der EADS-Aktie um bis zu fünf Euro fallen. Etwa zu dieser Zeit sollen Daimler und Lagardère vereinbart haben, ihre Anteile am gemeinsamen EADS-Konzern zu senken. Aus Rücksicht auf das deutsch-französische Gleichgewicht im Unternehmen konnten sie dies nur zusammen tun.

Schrumpfende Gewinnmargen bei Airbus

Ein halbes Jahr später bestätigte die EADS-Spitze ihren Großaktionären, dass sich die Geschäftsaussichten verschlechtern würden: Die Gewinnmargen von Airbus würden in den kommenden Jahren schrumpfen, soll Grube am 9. Dezember 2005 im Aufsichtsrat erfahren haben. Das wusste auch der französische Lagardère-Chef Arnaud Lagardère, der sich in dieser Zeit an der Spitze seines Unternehmens für einen Teilausstieg bei EADS aussprach. Er berief sich dabei sogar ausdrücklich, wie die Börsen-Ermittler behaupten, auf die schlechteren Perspektiven von Airbus. Allerdings wurde dieser präzise Hinweis später aus dem Protokoll der Lagardère-Sitzung gestrichen.

Besonders trüb sollen die Aussichten dann am 7. März 2006 im EADS-Aufsichtsrat gewesen sein, als verschiedene Kostenmodelle für die Entwicklung des A350 diskutiert wurden. Der frühere Daimler-Vorstand und EADS-Aufsichtsratschef Manfred Bischoff beklagte den schlechten Ruf des Projekts, und Grube rügte, dass ständig unterschiedliche Zahlen für das Flugzeug kursierten. Die Börsenaufseher schließen daraus, dass der Daimler-Vorstand (in der Person Grubes) zu diesem Zeitpunkt wusste, dass die Entwicklung des A350 teurer würde als geplant und dass Airbus außerdem mit schwindenden Marktanteilen für das Flugzeug rechnete. Indem Daimler einen Monat später 61 Millionen Aktien abstieß, habe der Konzern gegen seine Enthaltungspflicht verstoßen. Sie entstehe daraus, dass Daimler Details kannte, von denen die Börse nichts wusste.

Nicht nachweisen können die Ermittler hingegen, dass Daimler auch die massiven Probleme bei der Verkabelung des Superjumbos A380 kannte; laut Protokoll der Sitzung vom 7. März wurde die drohende Industriekatastrophe mit keinem Wort erwähnt. Dieses Schweigen sei überraschend, finden die Ermittler, denn bei früheren Sitzungen hoher EADS-Gremien hätten die A380-Pannen bereits erhebliche Unruhe verursacht.

Jedenfalls sind die Ermittler davon überzeugt, dass alle Insider ein klares Bild davon hatten, dass Airbus schwere Zeiten vor sich hatte. Das französische Finanzministerium erhielt Ende Januar 2006 ein Memo, das nach einem Besuch von EADS-Managern zu dem Schluss kam: Es sei jetzt günstig, die Beteiligung an EADS zu reduzieren. Der französische Staat ist - wie Daimler und Lagardère - am Konzern beteiligt. Die Autorin des Memos sagte den Ermittlern, der Aktienkurs sei hoch gewesen, habe aber nicht berücksichtigt, dass EADS nach zuletzt guten Ergebnissen nunmehr eine "Zone von Turbulenzen" vor sich habe. Allerdings gab es damals eine Diskrepanz zwischen diesen internen, pessimistischen Prognosen und dem Optimismus, den der Konzern nach außen zur Schau stellte.

Die Börsen-Ermittler monieren einen ständigen Willen von EADS, "die Erwartungen des Markts nicht zu enttäuschen". Dies habe den Konzern zu öffentlichen Botschaften verleitet, deren Optimismus oder absichtliche Ungenauigkeit die Märkte in die Irre geführt habe. Speziell weisen die Börsen-Kontrolleure darauf hin, dass der damalige EADS-Co-Chef (und heutige Airbus-Chef) Thomas Enders noch am 8. März 2006 öffentlich das Ziel genannt habe, zehn Prozent Gewinnmarge zu erreichen - ohne dafür allerdings ein konkretes Datum zu nennen. Außerdem seien für 2006 zu optimistische Ergebnisziele formuliert worden.

Nun ist es für einen Konzern schwierig, die Börse vor Ereignissen zu warnen, von denen eben nicht sicher ist, ob und wie sie eintreten werden. Die Ermittler weisen allerdings darauf hin, dass EADS in ständigem Kontakt zu einflussreichen Börsenanalysten und Brokern wie etwa Lehman Brothers oder der Schweizer Großbank UBS stand. Aus Sicht der Börsenaufseher hätte EADS die besonders optimistischen Prognosen dieser Händler eindämmen müssen - wozu er jedoch keinerlei Bereitschaft gezeigt habe.

Im Januar dieses Jahres nun mussten zwei hochrangige Daimler-Gesandte - Finanzvorstand Bodo Uebber und der Chief Compliance Officer Gerd Becht - der AMF Rede und Antwort stehen. Ob und in welcher Höhe die Großunternehmen Daimler und Lagardère aber mit Geldbußen zu rechnen haben, ist unklar. Auch droht ein Strafverfahren, da in Frankreich auch juristische Personen verurteilt werden können. Am 29. Mai wurde Arnaud Lagardère bereits von der Finanzpolizei vernommen. Er betonte, dass er als Zeuge ausgesagt habe und dass kein Ermittlungsverfahren gegen seine Firma eingeleitet worden sei. Das erregt nun den Unmut jener EADS- und Airbus-Manager, die wegen des Verkaufs ihrer Privataktien bereits einige Nächte in Polizeigewahrsam verbringen mussten. Sie vermuten, dass der Staat die beiden Großkonzerne schonen will.

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