Daimler und Renault:Kleiner Anfang mit großen Visionen

Zwei Männer, ein Ziel: Gemeinsam wollen Daimler und Renault den Markt für Kleinwagen aufmischen. Die Hoffnungen sind gewaltig.

Dagmar Deckstein, Brüssel

Als dann endlich die Unterschriften vor aller Medienöffentlichkeit unter den Kooperationsvertrag gesetzt waren, nahm das Händeschütteln für die zahllosen Fotografen schier kein Ende mehr. Carlos Ghosns flinke Augen blinzelten vergnügt in die Menge, und Dieter Zetsches voluminöser Oberlippenbart hüpfte auch irgendwie vor Freude.

Endlich war unter Dach und Fach, worüber nun schon seit vielen Wochen spekuliert und gerätselt wurde: Der deutsche Autokonzern Daimler und der französische Partner mit Nissan im Schlepptau gehen eine dauerhafte Verbindung ein, die beiden Autoherstellern größere Wettbewerbsfähigkeit und höhere Marktanteile sichern soll. Ein wenig gemahnte die Szenerie an jenen legendären Auftritt vor zwölf Jahren, als Daimler-Vorstandsvorsitzender Jürgen Schrempp und Chrysler-Chef Bob Eaton in London die große Fusionsshow veranstalteten, durch die die Grundlage zur Auto-Welt-AG gelegt werden sollte.

"Arbeit ist der Vater des Vergnügens"

Aber diesmal war alles viele Nummern kleiner und bescheidener, wozu nicht zuletzt der karge Konferenzsaal in Brüssels Begegnungscenter "Square" beitrug. Statt von einer Hochzeit im Himmel zu posaunen wie Schrempp ehedem, hielt es Zetsche eher philosophisch mit dem Franzosen Voltaire: "Arbeit ist der Vater des Vergnügens", begann er seine Erklärung und meinte damit, dass die Teams der beiden Konzerne fürs Konzipieren gemeinsamer Projekte schon viel Schweiß vergossen hätten, bevor jetzt Kooperationsnägel mit Köpfen gemacht werden konnten, also der vergnügliche Part beginne.

Um bloß keine Erinnerung an alte Zeiten aufkommen zu lassen, erklärte Zetsche auch gerne den Unterschied zur seinerzeitigen Chrysler-Euphorie: "Damals waren wir uns einig über eine Fusion, haben uns aber nicht viele Gedanken über eine konkrete Zusammenarbeit gemacht. Mit Renault ist es genau umgekehrt." Da wollte auch Renault-Partner Ghosn philosophisch nicht hintanstehen und bemühte den Deutschen Hegel: "Nichts Großes auf der Welt ist je ohne Leidenschaft erzielt worden."

Aber was vielleicht einst groß werden könnte, beginnt erst einmal klein. Daimler übernimmt zunächst je 3,1 Prozent an den beiden Unternehmen, im Gegenzug steigt die Allianz Renault-Nissan mit zusammen 3,1 Prozent bei dem deutschen Konzern ein. Warum nicht zwei, warum nicht zehn Prozent? Es sollte irgendetwas zwischen null und fünf Prozent werden, sagte Ghosn, also habe man sich schließlich auf 3,1 Prozent geeinigt, um die Ernsthaftigkeit des gemeinsamen Engagements zu unterstreichen. Aber die Anteile seien zu gegebener Zeit durchaus ausbaufähig. Wie überhaupt "mein Freund Dieter und ich" viele gemeinsame Visionen teilten, die Anlass böten zu den schönsten Hoffnungen, die Kooperation im Laufe der Jahre auf weitere Projekte auszubauen.

Kapazitäten besser ausgelastet

Zunächst aber wollen Daimler, Renault und Nissan in erster Linie den Kleinwagenmarkt aufrollen, wobei vor allem Daimler dringend auf einen Partner angewiesen ist für sein Miniauto Smart sowie die Einsteigerautos der A- und B-Klasse. Da hat Mercedes bisher kaum die Butter aufs Brot verdient, und mit der Fortentwicklung der dritten Generation des Zweisitzers Smart wäre der Konzern allein überfordert gewesen. So sollen dieser City-Flitzer sowie ein neuer Smart-Viersitzer und der nächste Renault Twingo auf Basis einer gemeinsamen Architektur entwickelt werden und von 2013 an auf den Markt rollen.

Das Smart-Werk im französischen Hambach wird die Zweisitzer produzieren, die Viersitzer übernimmt Renault in seinem slowenischen Werk in Novo Mesto. Zudem wollen die frischverbandelten Partner sowohl Benzin- als auch Dieselmotoren gemeinsam nutzen. So bekommt Infiniti, die Luxusmarke von Renault-Nissan, original Mercedes-Motoren geliefert. Die Renault-Nissan-Allianz wird Antriebe mit drei und vier Zylindern an Daimler liefern. So lastet das Bündnis aus Daimler und der Renault-Nissan-Allianz seine Kapazitäten besser aus.

Solche Kooperationsmöglichkeiten sollen auch für den Bereich der leichten Nutzfahrzeuge genutzt werden. Alles in allem - so viel verrieten Zetsche und Ghosn - werde wohl jeder der beiden Autohersteller durch das neue Bündnis zwei Milliarden Euro sparen, allerdings innerhalb der nächsten fünf Jahre. Die bemühte sich vor allem Renault-Chef Ghosn in den günstigsten Farben auszumalen: Ein regelrechtes Technik-Kraftwerk werde man gemeinsam bauen, und das bedeute weit mehr als ein Zusammengehen aus reinen Kostensenkungserwägungen. Dann musste noch ein deutscher Philosoph fürs Zukunftsszenario herhalten, Friedrich Nietzsche: "Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker", dozierte Ghosn. Worin immerhin auch die Möglichkeit des Umkommens mitschwang.

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