Daimler:Im Schwebezustand

Daimler wird kurz vor der Aktionärsversammlung von Ermittlungen wegen Betrugsverdachts bei Dieselmotoren aufgeschreckt. Die Firma weiß nicht, worum es geht.

Von Thomas Fromm, Max Hägler und Stefan Mayr, Stuttgart

Operations Inside Daimler AG's Mercedes-Benz Sindelfingen Plant

Wurde beim Autobauer Daimler mehr aufpoliert als rechtlich zulässig? Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt - gegen namentlich bekannte und unbekannte Personen aus dem Konzern.

(Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist in einem grauen und tristen Gebäude an der Neckarstraße untergebracht, keine 500 Meter entfernt vom Neckartor, Deutschlands angeblich schmutzigster Straßenkreuzung. Hier werden regelmäßig die EU-Grenzwerte für Feinstaub- und Schadstoffbelastung überschritten und wenn die Staatsanwälte ihre Fenster öffnen, dann weht ihnen der Feinstaub direkt in die Nase. Unten fahren besonders viele Daimler-Fahrzeuge vorbei.

Gegen den Autobauer, das wichtigste Unternehmen der Stadt, haben die Staatsanwälte aus der Neckarstraße nun ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Vorwurf lautet: Betrug und strafbare Werbung im Zusammenhang mit Manipulationen der Abgas-Nachbehandlung bei Dieselmotoren. Nach Volkswagen und Audi jetzt also auch Daimler, und das ausgerechnet eine Woche vor der Daimler-Hauptversammlung in Berlin? Die Behörde ermittelt nach eigenen Worten gegen Unbekannt wie auch gegen "namentlich bekannte Personen".

Gerne hätte man bei Daimler gewusst, um wen es da genau geht, schließlich weiß man spätestens seit der VW-Affäre, wie schnell man führende Topmanager los sein kann. Allerdings, so heißt es aus dem Konzern, habe man keine detaillierte Auskunft bekommen. Geht es bei den Vorwürfen um eine Schummelsoftware in den Motoren, die den Prüfstand erkennt und dann den Schadstoffausstoß reduziert? Dies wäre ein so genanntes "Defeat device", eine Abschalteinrichtung, das Modell Volkswagen. Oder geht es um jene umstrittene Software, die die Abgas-Reinigung bei gewissen Temperaturen reduziert, um, wie es bei den Herstellern heißt, den Motor zu schonen? "Wir wissen es nicht", sagt ein Daimler-Sprecher. "Keine Namen, keine Grundlage, nur einen schmalen Satz", habe man von der Staatsanwaltschaft erfahren. Nachdem man Monate lang bei den Vorermittlungen umfänglich mit den Staatsanwälten kooperiert habe, sei das schon erstaunlich, heißt es pikiert.

Die Manager haben mit den Staatsanwälten kooperiert, aber jetzt gibt es keine Informationen

So ist Daimler nur wenige Tage vor dem Aktionärstreffen ein Konzern im Schwebezustand. Aktionäre, Journalisten werden viele Frage stellen, und dann ist es immer besser, wenn ein Unternehmen wie Daimler weiß, was Sache ist.

Dass man eine Technologie an Bord hat, mit der Abgasreinigung bei niedrigeren Temperaturen heruntergefahren wird, hatte Daimler bereits eingeräumt. Allerdings beteuerte der Autohersteller stets, dass dies nur dem Schutz des Motors diene und vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) auch bestätigt worden sei. So oder ähnlich argumentieren bislang viele Hersteller. Und Behörden wie das KBA hatten bislang stets erklärt: Optimal sei das nicht, aber auch nicht richtig illegal.

Sieht man das nun anders?

Möglich auch, dass die Arbeit französischer Ermittler bei Renault-Nissan die Sache angetrieben hat. Der Konzern ist ein enger Kooperationspartner von Daimler, die beiden Chefs Carlos Ghosn und Dieter Zetsche können gut miteinander. Vor einigen Tagen hatte die französische Anti-Betrugsbehörde nun ihre Vorwürfe gegen Renault-Nissan verschärft: Seit mehr als zwei Jahrzehnten soll der Hersteller Abgasanlagen so eingestellt haben, dass auf Prüfständen weit niedrigere Stickoxid-Werte gemessen werden als auf der Straße, bei Benzin- wie auch bei Dieselmotoren. Mercedes verbaut in einigen Modellen Motoren aus dem Hause Renault-Nissan. Andererseits hieß es aus Stuttgart zuletzt, man habe sich schriftlich versichern lassen aus Paris, dass alles in Ordnung sei.

Einer, der seit langem der Meinung ist, dass hier nichts in Ordnung ist, ist Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). "Daimler täuscht seine Kunden", sagt er. Die DUH hat den Abgas-Ausstoß von Mercedes-Fahrzeugen auf der Straße getestet, dabei habe die Mercedes-B-Klasse den Grenzwert der Stickoxid-Emissionen um das 13-fache überschritten, obwohl das Modell der neuesten und strengsten Euro 6-Abgasnorm entspreche. Die C-Klasse stoße das Zehnfache des erlaubten aus, die S-Klasse das Fünffache. Resch betont auch, dass bei einigen Mercedes-Motoren die Abgasreinigung um 90 Prozent reduziert werde, sobald die Außentemperatur unter 17 Grad falle. Das heiße, an 80 Prozent aller Tage stoße das Premiumfahrzeug aus Stuttgart stark erhöhte Schadstoffe aus.

Daimler und KBA sehen darin keine Straftat, sondern eine nötige Vorkehrung zur Langlebigkeit des Motors. Jürgen Resch von der DUH bezeichnet den Schutz der Motoren dagegen als "Fake-Argument", von Oktober bis März seien diese Autos "Giftgasschleudern", ohne dass es dafür einen technischen Grund gebe.

Die DUH geht zivil- und verwaltungsrechtlich gegen die Auto-Hersteller vor. Vor dem Verwaltungsgericht Schwerin klagt sie gegen das KBA auf Widerruf der Typzulassung für den VW Golf Diesel, und vor dem Landgericht Stuttgart ist eine Unterlassungsklage gegen Daimler anhängig, wegen irreführender Werbung, weil der Mercedes C 220 BlueTEC als besonders sauber und umweltfreundlich dargestellt werde.

Harsche Kritik am KBA übt auch Martin Führ, Professor für öffentliches Recht an der Hochschule Darmstadt. Führ hat für den Diesel-Untersuchungsausschuss des Bundestages im November ein Gutachten erstellt, sein Urteil ist radikal: "Alle genannten Hersteller nutzen illegale Abschalteinrichtungen." Für zwei Motoren von VW und Mercedes bat er im Dezember das KBA um deren Emissionsdaten. Die Reaktion der Behörde enttäuschte ihn sehr: "Die Antwort des KBA war klar rechtswidrig, ich habe die Daten zu dem Mercedes-Motor nicht bekommen." Das Amt habe argumentiert, das seien Geschäftsgeheimnisse und könnten deshalb nicht herausgegeben werden. "Aber hier geht es um Emissionen", betont der Professor, "das sind Umweltinformationen, die das KBA veröffentlichen muss." Führ: "Das KBA verweigert der Öffentlichkeit hiermit ihr Recht auf Information." Im Dezember schrieb das KBA an Führ, es werde die Fragen mit Daimler klären und sich dann bei ihm melden. "Seitdem habe ich nichts mehr gehört." Eine Anfrage beim KBA über die Gründe der Wartezeit blieb am Donnerstag unbeantwortet.

Daimler teilte dazu mit, man sei vom KBA "jüngst schriftlich darüber informiert" worden, "dass die betroffenen Fahrzeuge die Grenzwerte einhalten und durch die freiwilligen Service-Maßnahmen die Stickoxid-Emissionen über einen erweiterten Temperaturbereich reduziert werden".

Dennoch steigt in Stuttgart die Nervosität, denn noch kann hier niemand einschätzen, wie groß diese Ermittlungen am Ende sein werden. Erst in der vergangenen Woche hatte es eine Diesel-Razzia bei der VW-Tochter Audi in Ingolstadt gegeben, am Tag der Jahrespressekonferenz in Ingolstadt. Bei Daimler kann man sich etwas Schöneres vorstellen.

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