Cyber-Policen:Cyberspace und Brexit

Cyber-Policen: Immer mehr Unternehmen automatisieren ihre Betriebsabläufe. Doch damit steigt das Risiko von Cyberangriffen. Versicherer sehen daher ein großes Potenzial, um neue Policen zu verkaufen.

Immer mehr Unternehmen automatisieren ihre Betriebsabläufe. Doch damit steigt das Risiko von Cyberangriffen. Versicherer sehen daher ein großes Potenzial, um neue Policen zu verkaufen.

(Foto: mauritius images / redsnapper / Alamy)

Die Industrieversicherer wittern zusätzliche Geschäftsfelder für neue Risiken. Einige Branchen wie etwa die Fleischherstellung haben es hingegen nach großen Schäden deutlich schwerer, an Policen zu kommen.

Von Patrick Hagen und Herbert Fromme

Es waren dramatische Bilder. Am Ostermontag 2016 zerstörte ein Feuer zwei Produktionshallen des Fleischherstellers Wiesenhof. Mehrere Stunden stand eine schwarze Rauchsäule über dem Gelände im niedersächsischen Lohne, ein Arbeiter und ein Feuerwehrmann wurden verletzt. Für die Versicherer von Wiesenhof bedeutete das Feuer einen Großschaden. Geschätzte 250 bis 300 Millionen Euro mussten HDI, Mitsui Sumitomo, die R+V und andere Gesellschaften zahlen. Es war der zweite große Schaden aus der Fleischindustrie innerhalb weniger Monate. Bereits im Februar 2016 war ein Schlachtbetrieb des Wiesenhof-Konkurrenten Westfleisch in Paderborn abgebrannt.

Einige Firmen haben Probleme - die anderen genießen seit Jahren niedrige Preise

Die Branche gilt seitdem bei Versichern als schlechtes Risiko. Das bedeutet, dass es für die Unternehmen schwerer ist, Versicherungsschutz zu bekommen und sie dafür deutlich mehr zahlen müssen als Firmen aus anderen Branchen. Neben Fleischbetrieben betrifft das Problem auch holzverarbeitende Betriebe und die Recycling-Branche. Aber auch Unternehmen aus anderen Branchen, die einen großen Schaden hatten, haben es nicht immer leicht, die nötige Deckung zusammenzubekommen.

Dass die Versicherer genauer hinschauen, macht Jörg Henne Sorgen. Er ist Geschäftsführer des Gesamtverbands der versicherungsnehmenden Industrie (GVNW) und vertritt damit Unternehmen in Versicherungsfragen. "Als schlechtes Risiko gilt ein Unternehmen mittlerweile oft nicht nur, wenn es selbst einen Schaden hatte", klagt Henne. "Es reicht schon, wenn es in der Branche Großschäden gab."

Diese Firmen haben Probleme - aber die anderen genießen seit Jahren niedrige Preise für ihre Versicherung. Das Geschäft ist stark umkämpft. Um trotz der niedrigen Preise noch Gewinne auszuweisen, reagieren die Versicherer mit Kostensenkungen. Allianz Global Corporate & Specialty, der Industrieversicherer der Allianz-Gruppe wird die Zahl der weltweit 5000 Beschäftigten bis 2018 um 10 Prozent reduzieren. Außerdem suchen die Versicherer neue Geschäftsfelder. Das aktuell heißeste Segment ist die Absicherung von Cyberrisiken, die nach Hackerangriffen oder Erpressungssoftware greift.

Bislang sind die Erfolge überschaubar. Die Prämieneinnahmen liegen bei weniger als 100 Millionen Euro im Jahr. Für den Schutz vor Feuer und Naturkatastrophen gaben deutsche Unternehmen 2016 dagegen satte 8,4 Milliarden Euro aus. Doch viele Manager erwarten kräftiges Wachstum durch die Cyberrisiken. "Wir sehen eine deutlich erhöhte Nachfrage, die sich auch in Abschlüssen niederschlägt", sagt AGCS-Vorstand Andreas Berger. Ein Grund dafür ist die jüngste Angriffswelle mit den Verschlüsselungstrojanern Wanna Cry und Petya. Betroffen von den Attacken waren auch eine Reihe von Großunternehmen wie der dänische Schifffahrtskonzern Maersk und der Hamburger Nivea-Hersteller Beiersdorf. Für die Versicherer könnten diese Angriffe den Durchbruch bringen. Erste Konzerne haben bereits Deckungen in Höhe von bis zu 500 Millionen Euro abgeschlossen, sagt Berger von AGCS. Für so hohe Summen müssen sich mehrere Versicherer zusammenschließen. AGCS alleine deckt Cyberrisiken bis 100 Millionen Euro.

Cybervorfälle können bei großen Unternehmen schnell Millionenschäden verursachen, weiß Johannes Behrends, Cyberexperte beim Großmakler Aon. Der größte Teil kommt zustande, wenn Anlagen oder Onlineshops stillstehen. Aber auch für das Finden und Schließen der Sicherheitslücke und die Wiederherstellung verseuchter Systeme fallen hohe Kosten an. Auch Behrends rechnet damit, dass die Sparte jetzt schnell wachsen wird. 2017 könnte sich das von den Versicherern eingenommene Prämienvolumen verdoppeln. "Unternehmen, die noch vor einem Jahr gesagt haben, Cyberdeckungen interessieren sie zurzeit nicht, melden sich jetzt wieder bei uns", sagt er.

Die Policen bergen allerdings erhebliche Risiken für die Versicherer selbst. Bisher haben sie kaum Erfahrung damit, das macht die Kalkulation schwierig. Die größte Sorge macht ihnen dabei ein möglicher Kumulschaden: "Eine globale Cyberattacke könnte zahlreiche unserer Kunden gleichzeitig treffen, gerade wenn Kommunikations- oder Infrastrukturanbieter ausfallen", erklärt AGCS-Vorstand Berger.

Nicht nur das neue Risiko Cyberkriminalität sorgt dafür, dass die Industrieversicherung vor großen Veränderungen steht. Bei den Kunden aus der Industrie macht sich der digitale Wandel bemerkbar, die digitale Fabrik wird zunehmend zur Realität. Viele Abläufe sind bereits automatisiert. Sensoren und Funkchips liefern eine Unmenge an Daten. Das hat auch Folgen. "Wenn Unternehmen etwa im Anlagenbau Sensoren einsetzen, so sind die Daten daraus hervorragend geeignet, um auch im Underwriting eingesetzt zu werden", sagt Berger. Unter Underwriting verstehen die Versicherer die Prüfung der Risiken und die Festsetzung des Preises. Auf der anderen Seite wird es in Zukunft möglicherweise weniger Schäden geben, weil intelligente Maschinen frühzeitig Alarm schlagen. Dann würden zwangsläufig auch die Einnahmen der Industrieversicherer schrumpfen.

Als wenn das nicht genug Veränderung wäre, schüttelt auch der bevorstehende Brexit die Branche durch. Große Unternehmen versichern sich häufig über den Versicherungsmarkt Lloyd's of London. "Hier stellt sich die Frage, wie wird dieser Zugang nach dem Brexit möglich sein", sagt Henne vom Verband GVNW. Lloyd's sagt zwar, dass dies über die Niederlassung in Brüssel weiter möglich sein wird. Aber Fragezeichen bleiben. Für Industrieversicherer wie AGCS, HDI, Chubb, oder AIG kann das große Chancen bedeuten. Nichts hassen Konzernkunden mehr als rechtliche Unklarheiten bei der Versicherung.

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