Curevac:Pioniere der Biotechnologie

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Jeder Mensch hat sie in sich: die DNA und RNA. Ihre Entschlüsselung revolutioniert die Medizin. Krankheiten können gezielter behandelt werden.

(Foto: imago)

Der Biologe Ingmar Hoerr baut in Tübingen mit dem Geld von Microsoft-Gründer Bill Gates eine Produktion für Impfstoffe auf RNA-Basis auf.

Von Helga Einecke, Frankfurt

Ingmar Hoerr muss seit einigen Wochen immer dieselbe Frage beantworten, wenn er irgendwo auftritt: "Wie war es denn mit Bill Gates?" Denn Hoerr hat den US-Milliardär getroffen und ihn als Investor für sein Biotech-Unternehmen Curevac in Tübingen gewonnen. Darauf bilde er sich nichts ein - sagt er zumindest. Nicht seine Person oder seine Firma, einzig allein die Impfstoffe und deren möglichst schnelle Verfügbarkeit hätten Gates interessiert, stellt er klar.

Das Treffen fand in Paris statt, in einem riesigen Raum mit Kelleratmosphäre. Irritierend genug, wollte Gates keine Computer-Präsentation, sondern einen Ausdruck, stieg gleich bei Seite 20 ein, hakte schnell und konzentriert nach. Der Microsoft-Gründer sei fachlich in der Biologie erstaunlich versiert, arbeite mit Pokerface, habe nur einmal gelächelt. Da ging es um den Curevac-Vorsprung vor anderen Unternehmen. So war es also mit Bill Gates.

Hoerr, 47, kommt gerade aus dem Urlaub an der Ostsee. Seine im März geborenen Zwillinge Lasse und Ole halten ihn ganz schön auf Trab. Die späte Vaterschaft aber lässt ihn strahlen. Früher war Curevac sein einziges Baby, ein schwieriges Kind, denn es kam kurz vor dem Platzen der Technologieblase um die Jahrtausendwende zur Welt.

Die Behandlung und Prävention von Krankheiten könnte revolutioniert werden

Kern der Curevac-Story ist die Ribonukleinsäure, kurz RNA, die Schwester des Erbgutträgers DNA. Lange Zeit galt es als unmöglich, sie medizinisch zu nutzen. Heute weist der Unternehmer stolz daraufhin: "Mit Pioniergeist und Zielstrebigkeit ist es uns gelungen, seine natürlichen Strukturen für den Einsatz in der Medizin zu optimieren". Es handele sich nämlich um das älteste Biomolekül der Welt. Die RNA erfüllt viele Aufgaben im Körper. Die wichtigste: sie fungiert als Überbringer der exakten Bauanleitung. Auch Gates fasziniert dieses Prinzip: "Wenn wir den Körper dazu anleiten können, die eigene Abwehr zu bilden, können wir die Behandlung und Prävention von Krankheiten revolutionieren".

Nun also bauen Hoerr und seine 200 Mitarbeiter mit insgesamt 46 Millionen Euro von Gates eine neue Produktion auf. 30 Millionen Impfdosen pro Jahr sollen künftig aus Tübingen für die Gates-Stiftung kommen, erst mal gegen Aids, gegen Durchfall durch Rotaviren und den Grippeerreger RSV. Die Mittel benötigen keine Kühlkette, verursachen keine Nebenwirkungen, sind ideal für arme Länder, denen sich die Stiftung widmet.

Mit Armut kennt sich Hoerr aus, er hat selbst lange in Indien mit Lepra, HIV und dem Aufbau von Kühlketten zu tun. Dies war sicher auch ein Pluspunkt im Umgang mit Gates. Der Schwabe hat schon seine Doktorarbeit über RNA geschrieben und predigt seither deren Vorteile. Anfangs glaubten ihm wenige, und Geldgeber fand er schon gar nicht. Später bissen zahlengetriebene Manager an. Zunächst SAP-Gründer Dietmar Hopp, dann Gates. "Der Einstieg von Bill Gates über seine Stiftung ist ein Ritterschlag für Curevac", sagt der Tübinger über seinen neuen Geldgeber. Er zieht Parallelen zu den Produkten der beiden Software-Entwickler. Denn auch seine RNA tue nichts anderes, als menschliche Zellen neu zu programmieren.

Die Innovationen aus Tübingen wissen inzwischen auch Pharmaunternehmen wie Boehringer Ingelheim, Sanofi-Pasteur, Johnson & Johnson sowie die Nichtregierungsorganisationen Trias (TBC) und Iavi (HIV) schätzen, die mit Curevac zusammenarbeiten. Hoerr sieht sich bestätigt: "Ich lag also doch richtig mit meinen Thesen, es hat sich gelohnt, sich über die zahllosen Bedenkenträger hinweg zu setzen".

Sein Geldgeber Hopp hat inzwischen über einen Börsengang von Curevac nachgedacht. Dazu sagt Hoerr lediglich, er sei ein Pionier der Biotechnologie. Ob er es auch am Kapitalmarkt sein mag, lässt er offen. Tatsächlich gibt es auf dem deutschen Kurszettel kaum Biotech-Unternehmen, sie gelten Investoren seit der geplatzten Technologieblase als zu riskant. Genau diese Risikoscheu sieht Hoerr sehr kritisch.

Hoerr kritisiert, dass Deutschland die wichtigsten Technologien der Zukunft verschlafe

In der Gesundheitswirtschaft würden mit die wichtigsten Technologien der Zukunft entwickelt. Und ausgerechnet diesen Trend verschlafe Deutschland. Zwar gebe es hierzulande exzellente Wissenschaftler, aber keinen vernünftigen politischen Rahmen für aufstrebende Unternehmen. Es fehle an Geldgebern, sobald die jungen Unternehmen den Sprung von der Universität in die Reinraum-Labore wagen. Da kann sich der schwäbische Biologe richtig in Rage reden.

Den Widerspruch zwischen dem Tüftlerland Deutschland, seinen exzellenten Ingenieuren, Auto- und Maschinenbauern und den Scheuklappen vor neuen Bio-Technologien kann sich Hoerr nicht erklären. Er steht damit nicht allein, denn viele Manager warnen vor verlorenem Terrain, speziell in den Bereichen Pharma, Chemie und Datentechnik. Früher war Hoerr politisch aktiv bei Umweltthemen, der grüne Tübinger Bürgermeister sein Kommilitone. Bei den heutigen Schülern und Studenten, denen Hoerr gerne etwas von seinen Erfahrungen, auch den schlechten, vermitteln möchte, vermisst er echtes Interesse. Es fehle der Hunger, die Leidenschaft.

Damit wagt sich der Mann, der bisher noch kein einziges Produkt hergestellt, aber schon 200 Millionen Euro eingesammelt hat, weit vor. Er brennt für seine Sache, das merkt man ihm an. Natürlich verfolgt Hoerr die Trends der Branche, auch den des Google-Ablegers Calico, der Chancen auf ein längeres Leben erforscht. Er glaubt auch, dass sich die Menschen Gesundheit und ein längeres Leben kaufen wollten. Noch seien die nötigen Proteine sehr teuer, auch patentgeschützt. Aber die neuen Technologien könnten in Zukunft die Preise drücken, die Wirkstoffe und Therapien deutlich verbilligen.

Bei aller Bewunderung für die Freiheiten, die Start-ups und Wissenschaftler in den USA haben, hängt das Herz des Schwaben Hoerr auch an seiner Heimat. Deutschland komplett den Rücken zu kehren, wie es schon mancher enttäuschter Konkurrent tat, kann er sich nicht vorstellen. Ohnehin geht es ja in Tübingen erst richtig los. Ein paar Ableger hat Curevac aber schon, einen in Frankfurt und einen zweiten in Cambridge bei Boston. Da profitiert man von der Nähe zu Pharmaunternehmen und deren Personal.

Denn Mobilität gehört zur Biotechnologie wie die RNA zur DNA. Schon packt Hoerr seinen Rollkoffer, zieht ihn bis zur Haltestelle der Straßenbahn hinter sich her, die ihn zu seinen Leuten ins Frankfurter Westend bringt. Von da hat er es auch zum Flughafen nicht mehr weit.

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