Cum-Ex-Geschäfte:Verlorene Jahrzehnte, verlorene Milliarden

Lesezeit: 3 min

Der Staat hatte schon frühzeitig Hinweise auf dubiose Aktiendeals zu Lasten des Fiskus, handelte aber lange nicht. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zeigt die Dimension des Skandals.

Von Klaus Ott, München

Blick auf die Skyline des Bankenplatzes Frankfurt: Durch Cum-Ex-Geschäfte ist dem Fiskus ein riesiger Schaden entstanden. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Der größte Steuerbetrug, den die Bundesrepublik je erlebt hat, zog sich lang hin, sehr lang - ohne dass jemand eingriff, auch nicht das Bundesfinanzministerium. Bereits im Jahr 1992 waren der Deutschen Bank seltsame Aktiengeschäfte aufgefallen, bei denen die Papiere offenbar auf Kosten des Fiskus sehr schnell hin- und her verkauft wurden: mal mit Dividendenanspruch (Cum), mal ohne (Ex). Und dies allein mit dem Ziel, sich möglichst viele Millionen vom Finanzamt erstatten zu lassen - für Steuern, die tatsächlich nie bezahlt wurden. Man sei damals "hellhörig geworden", sagte ein Vertreter der Deutschen Bank im Untersuchungsausschuss des Bundestages. Ein Vierteljahrhundert hat es gedauert, ehe der Ausschuss nun ein wenig Licht in diese seltsamen Geschäfte gebracht hat, bei denen Banken, Steuerberater, Anwälte, Kapitalanlagefirmen und ausländische Pensionsfonds trickreich zusammenarbeiteten und eine Steuerlücke zu ihren Gunsten ausnutzten.

Der Ausschuss hat Dutzende Zeugen gehört, Tausende von Akten ausgewertet und nun seinen Abschlussbericht vorgelegt. Mehr als zehn Milliarden Euro gingen dem deutschen Staat wohl verloren, weil offenkundige Betrüger ihn schröpften und Beamte, die das eigentlich sehen mussten, nicht richtig eingriffen. Der Vorsitzende des Ausschusses, der SPD-Abgeordnete Hans-Ulrich Krüger, und seine Kollegen stießen in den vielen von ihnen gesichteten Akten auf einen weiteren Vorgang aus dem Jahr 1992. Damals hatte die Landeszentralbank Hessen in einem von ihr herausgegebenen Finanzmarkt-Bericht vor einer "Produktion von Steuererstattungsansprüchen" gewarnt. Dies ziele darauf ab, dass der Fiskus Abgaben erstatte, "die überhaupt nicht gezahlt wurden", notierte die Landeszentralbank. "Sie werden es kaum glauben", was damals alles möglich war, schilderte auch ein anderer der Zeuge, der Leiter der Steuerabteilung von Trinkaus & Burkhardt dem Bundestag. Vor gut zwei Jahrzehnten hatte die Bank Trinkaus & Burkhardt Geld eingesammelt, das aus fragwürdigen Aktiengeschäften stammte und das nach Ansicht des Instituts dem Fiskus zustand. Die Bank überwies die Beträge, wie sich das gehört, an das damalige Bundesamt für Finanzen. "Die haben uns das Geld zurückgeschickt und gesagt: Wir können das nicht verbuchen." Die Aussage des Zeugen findet sich auszugsweise in dem Abschlussbericht des Ausschusses.

Samstagsdienst und wochenlange Sonderschichten: Nur so kann der Fiskus die vielen Fälle aufarbeiten

Diesem Bericht zufolge hat der große Steuerbetrug früher begonnen als bisher angenommen, nämlich spätestens Anfang der 1990er-Jahre. Insider berichten, von der Jahrtausendwende an sei dann nach und nach das große Rad gedreht worden. Der Bericht zeigt zudem, wie zögerlich Behörden und Regierungen reagiert haben, ehe diesem Treiben 2012 endlich ein Ende bereitet wurde. Bei den Aktiendeals wurden in riesigem Umfang Papiere hin und her schoben. Dies geschah so trickreich, dass der Fiskus in großem Umfang mehrmals Kapitalertragsteuern auf Dividendenerlöse erstattete, obwohl die Abgaben nur einmal gezahlt worden waren. Dazu kam es, weil die Cum-Ex-Akteure bei ihren Geschäften von Banken auch dann Bescheinigungen über abgeführte Steuern erhielten, wenn diese Steuern gar nicht an die Finanzbehörden überwiesen worden waren. Die Landeszentralbank Hessen bezeichnete das bereits 1992 als eine "bewusste Produktion von Steuerbescheinigungen". Zehn Jahre später, Ende 2002, machte der Bundesverband Deutscher Banken das Bundesfinanzministerium auf das Problem aufmerksam. Allerdings nicht sehr eindringlich. Der zuständige Referatsleiter im Ministerium antwortete dem Bankenverband: "Wir verstehen das nicht." Im Ausschuss sagte der Beamte, man habe den Eindruck gehabt: "Da brennt im Augenblick nichts an". Erst 2007 schob die Bundesregierung solchen Geschäften im Inland einen Riegel vor, ließ aber eine Lücke bei Aktiendeals über das Ausland offen. Diese Lücke wurde erst 2012 geschlossen. Jetzt jagen Staatsanwälte, Steuerfahnder und Kriminalbeamte mühsam dem verlorenen Geld hinterher. Das dürfte noch Jahre dauern. Der Schaden ist riesig. Demnach stiegen die Steuererstattungsanträge bei Cum-Ex-Deals über das Ausland von 524 Millionen Euro im Jahr 2005 auf 1,25 Milliarden Euro in 2010. Und 2011, im letzten Jahr, in dem diese Geschäfte möglich waren, machten die Anträge noch 840 Millionen Euro aus. Danach, als das Schlupfloch geschlossen war, gab es solche Aktiendeals über das Ausland fast gar nicht mehr - und damit auch fast keine Erstattungsansprüche. Was den Schluss zulässt, dass den Steuererstattungen, die von 2006 bis 2011 beantragt wurden, alles in allem 5,35 Milliarden Euro, fast ausschließlich unsaubere Geschäfte zugrunde lagen. Was vorher an Betrügereien lief, auch über das Inland, ist in der Zahl noch nicht enthalten.

Man habe ein "kriminelles Netzwerk von Banken" und deren Geschäftspartnern offengelegt, kommentiert der SPD-Abgeordnete Andreas Schwarz das Untersuchungsergebnis. Die Finanzverwaltung müsse "zwingend auf Augenhöhe" mit Akteuren solcher Deals agieren können. Ein schöner Wunsch. Das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn, das viele der Fälle aufarbeitet, musste Samstagsarbeit anordnen, um eine Verjährung von Ansprüchen zu verhindern. Laut Eberhard Petersen, Präsident des Amtes, sind sogar von der Arbeit freigestellte Vorstandsmitglieder des Personalrats von außerhalb eingeflogen und hätten "wochenlang im Hotel gearbeitet", im Interesse der Steuergerechtigkeit, sagte Petersen im Bundestag.

© SZ vom 21.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: