Cum-Ex-Geschäfte:Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Milliarden-Raubzugs

An office building is photographed from a tourist platform early evening in Frankfurt

Bürogebäude in Frankfurt.

(Foto: REUTERS)
  • Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hat im Cum-Ex-Skandal mehrere Ex-Banker sowie einen aus Hessen stammenden Rechtsanwalt angeklagt.
  • Die Angeschuldigten sollen zu den Drahtziehern dubioser Aktiengeschäfte zählen, bei denen die Steuerzahler offenbar um insgesamt zehn Milliarden Euro betrogen wurden.

Von Klaus Ott

Die Aktenlieferung, die in den vergangenen Tagen bei der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden einging, war außergewöhnlich umfangreich. Es handelt sich um rund 50 000 Blatt Ermittlungsunterlagen, plus eine dicke Anklage. Auf den vielen Seiten werden bis ins kleinste Detail dubiose Aktiengeschäfte beschrieben, bei denen zahlreiche Banken und Börsenhändler mithilfe von Steueranwälten dem deutschen Staat insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro gestohlen haben sollen. Dem nach Ansicht von Ermittlern größten Steuerraubzug in der Geschichte der Bundesrepublik soll nun erstmals ein Strafprozess gegen mutmaßliche Drahtzieher solcher Aktiendeals folgen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hat nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR Anklage gegen frühere Aktienhändler der Hypo-Vereinsbank und gegen den aus Hessen stammenden Rechtsanwalt Hanno Berger erhoben, der in der Schweiz lebt. Das ist nach jahrelangen Ermittlungen von Staatsanwälten in Frankfurt, Köln, Düsseldorf, München und Stuttgart gegen inzwischen gut 100 Beschuldigte der Musterfall für die Justiz. Berger gilt als einer der Hauptakteure sogenannter Cum-Ex-Geschäfte, denen auch ein Untersuchungsausschuss des Bundestags nachging. Berger und die anderen Angeschuldigten in Wiesbaden, denen Steuerdelikte in Millionenhöhe angelastet werden, bestreiten die Vorwürfe.

Großbanken aus dem In- und Ausland sollen, gemeinsam mit Partnern, beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende den Fiskus systematisch getäuscht haben - mit dem Ziel, sich eine nur einmal an den Fiskus abgeführte Kapitalertragsteuer auf Dividendenerlöse mehrmals zurückzahlen zu lassen. Diese Abgabe wird in der Regel mit anderen Steuern verrechnet und dann erstattet. Im Bundestag haben Politiker von Union und SPD, Grünen und Linken derartige Deals als "skrupellos" und "Schweinerei", als "Betrug" und "Raubzug" von Multimillionären und als eine der schlimmsten Verfehlungen in der Finanzindustrie bezeichnet.

Ob diese Geschäfte kriminell waren oder nicht, muss die Justiz entscheiden. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt bezichtigt Berger und die anderen Angeschuldigten der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall. Das betrifft Aktiengeschäfte bei der Hypo-Vereinsbank im vergangenen Jahrzehnt. Wer "in großem Ausmaß (...) nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt", kann laut Gesetz mit bis zu zehn Jahren Gefängnis geahndet werden. Die Ermittler in Frankfurt und anderswo wollen, das hat sich in Anwaltskreisen bereits herumgesprochen, lange Haftstrafen erwirken. Erst einmal aber muss das Landgericht Wiesbaden entscheiden, ob die Anklage überhaupt zugelassen und ein Prozess angesetzt wird.

Vor allem Hanno Berger ist dafür bekannt, sich vehement zu wehren. Er könnte versuchen, mit Eingaben bei Gericht einen Prozess zu verhindern. Viele Cum-Ex-Akteure und deren Verteidiger verweisen auf eine von Bundesregierung und Bundestag erst 2012 geschlossene Gesetzeslücke. Diese Lücke hatte bis dahin Börsengeschäfte zu Lasten des Fiskus möglich gemacht. Zahlreiche Beschuldigte machen geltend, der Staat habe diese Aktiendeals somit bewusst hingenommen und könne nicht nachträglich Strafen verhängen.

In Kreisen der Verteidiger heißt es, das von der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft angestoßene Verfahren werde am Ende nicht in Wiesbaden, sondern beim Bundesgerichtshof oder gar beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. "Dort gehört das auch hin", bekundet einer der Anwälte. Auch den Staatsanwälten wird nachgesagt, den Musterfall bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung durchziehen zu wollen, um Klarheit zu bekommen. Bundesregierung, Finanzbehörden und Ermittler glauben, die Gesetzlücke habe nicht zum Griff in die Staatskasse berechtigt. Sollten sich die Frankfurter Strafverfolger durchsetzen, dann ist mit etlichen weiteren Anklagen zu rechnen.

Steuerfahnder und Staatsanwälte quer durch Deutschland untersuchen unter anderem Geschäfte von internationalen Großbanken wie JP Morgan und Morgan Stanley aus New York, Barclays und HSBC aus London, BNP Paribas aus Paris und UBS aus Zürich. Auch deutsche Landesbanken wie die West-LB stehen unter Verdacht.

Die Hypo-Vereinsbank kooperierte und kam deshalb mit geringem Bußgeld davon

Die Hypo-Vereinsbank (HVB), deren Aktiendeals Gegenstand der Anklage sind, hat als erstes Geldinstitut reinen Tisch bei den Finanzbehörden gemacht. Die HVB zahlte zusammen mit früheren Geschäftspartnern rund 200 Millionen Euro an den Fiskus zurück. Weil die HVB bei der Aufklärung der Cum-Ex-Deals nicht blockierte, sondern kooperierte, kam die Bank mit rund zehn Millionen Euro Bußgeld glimpflich davon. Bislang sind nur wenige Institute dem Beispiel der HVB gefolgt.

Es sei ein "schmerzhafter Prozess" gewesen, hatte HVB-Chef Theodor Weimer als Zeuge im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestags ausgesagt. Dazu habe es aber keine Alternative gegeben. Es könne und dürfe nicht sein, so Weimer, dass eine einmal an den Fiskus abgeführte Steuer mehrmals erstattet werde. Für die Hypo-Vereinsbank ist das weitgehend ausgestanden. Damalige Aktienhändler der Bank sollen nun zusammen mit Steueranwalt Berger wegen dieser Geschäfte vor Gericht kommen. Berger hatte sich Ende 2012 nach einer Razzia bei der HVB in die Schweiz abgesetzt. Er war am Dienstag telefonisch nicht erreichbar.

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt teilte auf Anfrage mit, dass man "zum jetzigen Zeitpunkt aus rechtlichen Gründen keine Medienauskunft erteilen" dürfe. Die Behörde erklärte, dass sie "die Namen von Beschuldigten grundsätzlich weder nennt noch bestätigt. Auch die Namen von Kreditinstituten oder sonstigen Unternehmen werden von uns weder genannt noch bestätigt." Auch das Landgericht Wiesbaden nahm nicht Stellung. Behörden dürfen eine Anklage erst dann bekannt geben, wenn diese den Angeschuldigten vorliegt.

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