Cum-Ex-Geschäfte:Banken sollen für Steuer-Raubzug haften

Markus Söder

Wer den Staat "bescheißen" wolle, müsse mit mehr Kontrollen rechnen, sagt Bayerns Finanzminister Markus Söder. Der Münchner Fiskus macht jetzt ernst bei Cum-Ex-Fällen.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Finanzbehörden schicken erste Zahlungsbescheide an Institute, die mit falschen Bescheinigungen ermöglicht haben, dass Investoren den Fiskus ausnehmen. Nun drohen Banken Forderungen in Milliardenhöhe.

Von Klaus Ott

Der Paragraf 44 des Einkommensteuergesetzes, der von Aktiengeschäften handelt, ist ellenlang und hoch kompliziert. Aber die entscheidende Stelle lässt sich leicht verstehen: Wer dazu beiträgt, dass jemand unerlaubt in die Staatskasse greift, der muss dafür haften. Auch wenn er selbst gar nicht der Übeltäter ist. So steht es sinngemäß in Absatz fünf. Diesen Passus nutzen Bayerns Finanzbehörden nun, um gegen Banken vorzugehen, die einen der größten Steuer-Raubzüge in Deutschland ermöglicht haben sollen. Nach Angaben aus Finanzkreisen sind bereits zwei Haftungsbescheide in Millionenhöhe ergangen und beglichen worden. Bayerns Finanzministerium äußert sich dazu wegen des Steuergeheimnisses nicht, erklärt aber generell: "Der Freistaat tut alles, um Steueransprüche des Staates zu sichern." Ein Mittel dafür seien auch Haftungsbescheide.

Mindestens einen der beiden Bescheide hat eine internationale Großbank erhalten. Die hat offenbar lieber gezahlt, statt bei Gericht über sogenannte Cum-Ex-Geschäfte zu streiten und so ihren Ruf zu riskieren. Diesem Musterfall dürften etliche weitere Haftungsbescheide deutscher Behörden, vor allem aus Nordrhein-Westfalen, gegen Banken aus dem In- und Ausland folgen. Die Finanzbranche muss mit staatlichen Forderungen in Milliardenhöhe rechnen. Zahlreiche Institute aus London und New York, Frankreich und der Schweiz bis zu hin deutschen Landesbanken sind in den Fokus der Ermittler geraten. Das Finanzamt München etwa hat vor mehr als zwei Jahren eine Spezialeinheit eingesetzt, die auch die Rolle der Banken untersucht. Ohne deren Hilfe wären mutmaßliche Kriminelle wohl nicht imstande gewesen, den Staat viele Jahre lang beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende gezielt auszunehmen. Börsenhändler, Fondsbetreiber und teils auch die Banken selbst ließen sich von trickreich getäuschten Finanzämtern eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrmals erstatten.

Diese Steuer ist auf Dividendenerlöse fällig, wird aber mit anderen Abgaben verrechnet und vom Fiskus in der Regel zurückgezahlt. Diesen Umstand und eine bis zum Jahr 2012 bestehende Regellücke hatten die Akteure genutzt, um sich aus der Staatskasse zu bedienen. Inzwischen ermitteln Steuerfahnder, Staatsanwälte und Kriminalbeamte quer durch die Republik gegen mehr als 50 mutmaßliche Steuerbetrüger. Anklagen und Prozesse werden vorbereitet.

Nun kommt eine weitere Variante hinzu, mit der die Behörden das viele Geld zurückholen wollen: Haftungsbescheide gegen Banken. Die Institute sollen geradestehen für Profite von Firmen, die nach ihren Steuer-Raubzügen genauso schnell wieder verschwunden sind, wie sie zuvor aufgetaucht waren. Und bei denen für den Fiskus nichts mehr zu holen ist. Dafür aber bei den Banken, die solche Aktiengeschäfte als Dienstleister begleitet haben.

In Deutschland ansässige Institute, darunter auch viele Ableger ausländischer Finanzkonzerne, haben beim Abwickeln von Aktiengeschäften nach Erkenntnissen der Behörden Tausende falsche Steuerbescheinigungen ausgestellt: Bescheinigungen, die besagten, dass Steuern auf Dividendenerlöse an den Fiskus abgeführt worden seien. In vielen Fällen traf das aber gar nicht zu. Diese Bescheinigungen waren für Cum-Ex-Akteure Gold wert, weil die Finanzämter auf dieser Basis Steuern erstatteten, die nie bezahlt worden waren.

Seit Jahren streiten Fiskus und Banken über solche Steuerbescheinigungen. Die Finanzbranche wendet ein, man habe bei Cum-Ex-Geschäften automatisch diese Bescheinigungen ausgestellt. Es sei nicht Aufgabe der Banken gewesen, zu prüfen, ob tatsächlich Steuern abgeführt worden seien. Das sei Aufgabe des Staates.

Die Justiz hat den Fiskus geradezu zum Einschreiten gegen Geldinstitute aufgefordert

Bayerns Finanzbehörden wiederum verweisen in ihren Bescheiden auf das Einkommensteuergesetz, Paragraf 44, Absatz fünf: Banken hafteten für nicht gezahlte Abgaben, sofern sie ihre Pflichten "weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt" hätten. Aus Sicht des Fiskus liegt bei falschen Steuerbescheinigungen aber zumindest grobe Fahrlässigkeit vor.

Dass die Haftungsbescheide jetzt erfolgt sind, dürfte kein Zufall sein: Das Hessische Finanzgericht in Kassel hat im März 2017 in einem Cum-Ex-Fall, der gleich mehrere Banken betraf, den Fiskus geradezu zum Einschreiten aufgefordert. Die Behörden müssten prüfen, ob falsche Steuerbescheinigungen eine "gängige Praxis" gewesen seien. Um die einschlägigen Institute dann gegebenenfalls in Anspruch nehmen zu können.

In der Finanzbranche sorgt das für Unruhe. Eine Frankfurter Großbank will anders als das Institut, das jetzt gezahlt hat, von Haftung nichts wissen. Eine gütliche Einigung sei nicht vorstellbar. Es läuft also alles auf ein Musterverfahren bei Gericht hinaus. Bayerns Finanzministerium ist davor nicht bange: "Wir befürworten auch eine gerichtliche Klärung der Rechtmäßigkeit eines solchen Haftungsbescheides."

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