Cum-Ex-Deals:Bankenverband warnte Bund nur halbherzig vor Cum-Ex-Deals

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Der Bankenverband wusste, dass eine Gesetzeslücke dubiose Aktiendeals ermöglichte. Warum warnte er den Staat nicht eindringlicher? Ein Briefwechsel gibt Einblick.

Von Klaus Ott und Katja Riedel, Berlin/München

Die Deutsche Bank hat viele Jahre lang viele zweifelhafte Geschäfte gemacht, aber in diesem Fall hatten die Verantwortlichen frühzeitig den richtigen Riecher: Man müsse den Fiskus vor der Gefahr warnen, mit dubiosen Aktiendeals ausgenommen zu werden und viel Geld zu verlieren.

"Im Sinne eines offenen Dialogs mit der Finanzverwaltung", schrieb die Deutsche Bank dem Bundesverband deutscher Banken (BdB) am 30. Oktober 2002, halte man bestimmte Dinge für geboten. Dazu gehöre auch, auf eine bestehende Gesetzeslücke hinzuweisen. Diese Lücke machte es möglich, dass sich Banken und Kapitalanlagefonds beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrmals erstatten ließen. Profit auf Kosten des Staates also.

Der Arbeitskreis nahm in Kauf, dass bestimmte Deals nicht erfasst wurden

Der BdB, dem neben der Deutschen Bank weitere große Institute angehören, entwickelte damals gerade ein Konzept zur Lösung des Problems. Das im Arbeitskreis Steuer des BdB erarbeitete Konzept hatte aber einen gravierenden Fehler. Der Arbeitskreis nahm "bewusst in Kauf", dass bestimmte Aktiendeals nicht erfasst wurden und der Vorschlag zur Schließung der Gesetzeslücke selbst "lückenhaft" blieb. Auch das ist dem Schreiben der Deutschen Bank an den BdB zu entnehmen.

Der Brief und interne Korrespondenz in der Deutschen Bank vom Herbst 2002 machen deutlich: In der Finanzbranche waren die Gefahren für den Fiskus bei Cum-Ex-Geschäften damals klar erkannt worden. Doch statt die Behörden offen und eindringlich zu warnen, schilderte der BdB dem Bundesfinanzministerium in zwei Schreiben von Ende 2002, Anfang 2003 das Malheur nur sehr verhalten. Und nicht nur das.

Der Bankenverband machte nach Recherchen von SZ, NDR und WDR der Regierung sogar noch eine Lösung schmackhaft, die später zu Schäden in Milliardenhöhe führte. Die Gesetzeslücke wurde erst 2012 vollständig geschlossen. Davon profitierten bis dahin zahlreiche Banken und Kapitalfonds, die nach Schätzungen von Steuerfahndern insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro aus der Staatskasse entwendeten. Mehr als 100 Institute und Fonds stehen unter Verdacht, sich am Fiskus bereichert zu haben. Darunter Fonds, bei denen Millionäre ihr Geld vermehrten.

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Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags soll aufklären, warum die Regierung versagt hat. Warum sie so lange gebraucht hat, um Cum-Ex-Deals auf Kosten des Fiskus zu unterbinden. Jetzt gerät zunehmend der BdB ins Visier. Mit den Akten der Deutschen Bank sei "glasklar erwiesen", dass der BdB das Finanzministerium in die Irre geführt habe, sagt der SPD-Abgeordnete Andreas Schwarz. Er ist Obmann seiner Fraktion im Ausschuss.

Der will nun klären, warum der Bankenverband damals so handelte. Obwohl die Deutsche Bank im Herbst 2002 das Problem voll erkannt und obwohl deren damaliger Chef Rolf Breuer zu dieser Zeit auch den BdB geleitet hatte. Breuer muss damit rechnen, als Zeuge geladen zu werden. Dem Ex-Banker droht neuer Ärger, kaum dass für ihn nach vielen Jahren und Prozessen der Fall Kirch ausgestanden ist. Der hatte 2002 begonnen, als auch das Cum-Ex-Verhängnis seinen Lauf nahm.

"Nicht unerhebliche" Beträge für den Staat

Im November 2002 notierte die Deutsche Bank intern, die Beträge, um die es für den Fiskus bei solchen Aktiendeals gehe, dürften "nicht unerheblich sein". Es könne sein, dass die an diesen Geschäften beteiligten Banken für den "Schaden" in der Staatskasse aufkommen müssten. Um einer Haftung zu entgehen, habe der BdB ein entsprechendes Konzept erarbeitet. Mit einem Manko: "Eine offene Flanke bilden jedoch weiterhin die Leerverkäufe über eine ausländische Bank." Leerverkäufe sind eine spezielle Variante des Börsenhandels. Jemand verkauft Aktien, die er gar nicht besitzt, sondern sich erst noch besorgen muss. Ausländische Banken sind nicht dazu verpflichtet, Steuern auf Börsendeals an den deutschen Fiskus abzuführen.

Leerverkäufe über das Ausland, das war die Lücke, die erst 2012 vom Gesetzgeber geschlossen wurde, aber schon 2002 in der Finanzbranche als das letzte große, noch zu lösende Problem erkannt worden war. Die Deutsche Bank wollte das beim Fiskus offen ansprechen, verwies aber in der internen Notiz vom November 2002 auf ein gewisses Risiko.

Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass "die Finanzverwaltung zu einer drastischen Maßnahme" greife und beispielsweise "Leerverkäufe generell verbieten" werde. An einer derartigen Einschränkung hatte die Finanzbranche, die an der Börse ganz gut verdient, offenbar kein Interesse.

Die Folge: Zehn Jahre ging es soweiter

Die Deutsche Bank vermerkte, es gehe um eine "den Kapitalmarkt schonende" Lösung. War das der Grund dafür, dass der BdB das Finanzministerium Ende 2002 so zurückhaltend auf das Cum-Ex-Malheur ansprach? Der Bankenverband schickte seinen unvollständigen Lösungsvorschlag ans Ministerium. Und fügte hinzu, Leerverkäufe über ausländische Banken seien "nicht erfassbar". Diese Lücke blieb, noch zehn Jahre lang, und wurde für den Staat richtig teuer.

Diverse Institute, die dem BdB angehören, machten nach Erkenntnissen der Behörden bei Cum-Ex-Deals mit. Die Commerzbank, die Hypo-Vereinsbank (HVB), Barclays aus Großbritannien und das inzwischen geschlossene Institut Maple. Die HVB hat als erste Bank bereits ein Geständnis abgelegt und zusammen mit Geschäftspartnern dem Fiskus rund 200 Millionen Euro zurückgegeben sowie zehn Millionen Bußgeld gezahlt.

Dass der Bankenverband die Gesetzeslücke teilweise offengehalten habe, um seinen Mitgliedern lukrative Aktiendeals zulasten des Staats zu ermöglichen, weist der BdB zurück: "Wir haben nie Steuergestaltungswissenschaft getrieben." Es war wohl eher so, dass die Finanzbranche kein Verbot von Leerverkäufen provozieren wollte, um sich an der Börse nicht einschränken zu müssen. Mit dem Nebeneffekt, dass eine entscheidende Lücke blieb, die systematisch ausgenutzt wurde. Auf kriminelle Art und Weise, wie Staatsanwälte und Steuerfahnder glauben. "Gier sticht Redlichkeit", sagt SPD-Mann Schwarz.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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